Seewolf überlegte kurz, und plötzlich ging ihm ein Licht auf. „Mann, Ben!“
„Was ist?“
„Das sind möglicherweise leichte Mädchen aus Frankreich!“
Ben Brighton, der alles im Leben etwas ruhig und besonnen anging, zog ein Gesicht, als sei ihm soeben ein leibhaftiges Gespenst erschienen.
„Wie kommst du denn auf so was?“ fragte er irritiert.
„Ich habe verschiedentlich davon gehört, daß man Mädchentransporte für die Neue Welt zusammengestellt hat, und zwar vorwiegend in Frankreich. Zwielichtige Händler sollen damit gute Geschäfte tätigen. Man verfrachtet Straßendirnen auf Schiffe und verschleppt sie. Manche sollen sogar freiwillig an Bord gehen, weil sie den wundersamen Versprechungen der Händler glauben.“ Ben runzelte die Stirn. „Und was sollen die hier auf Gran Cayman? Hier gibt es doch nichts für sie – ich wollte sagen, hier gibt es doch niemanden, den sie beglücken könnten.“
Jetzt grinste der Seewolf. „Du scheinst vergessen zu haben, daß hier drei Schiffe vor Anker liegen, deren Besatzungen sich bereits die Augen ausstarren.“
Der Erste Offizier der „Isabella IX.“ schnappte nach Luft. „Aber …“
„Ich weiß schon, was du sagen willst“, unterbrach ihn Hasard, „und du hast auch recht damit. Woher sollen die Frauen gewußt haben, daß hier drei Schiffe vor Anker liegen, nicht wahr? Wahrscheinlich laufen die Franzosen die Insel nur deshalb an, weil ihnen das Trinkwasser knapp geworden ist.“
„Nun ja“, meinte Ben Brighton, „wir werden ja sehen, was es mit diesen Ladys auf sich hat.“
3.
Die Gefechtsbereitschaft der „Isabella“, der „Le Vengeur III.“ und des Schwarzen Seglers erwies sich als völlig überflüssig.
„Wir können doch den Weibern nicht die Röcke wegschießen“, stellte Edwin Carberry fest. Er bedachte die überraschten Rufe, die von den beiden anderen Schiffen herübertönten, mit einem Grinsen, zumal er deutlich sehen konnte, wie sich der Wikinger irritiert am Helm kratzte.
Der alte O’Flynn meldete erneute Bedenken an.
„Weiber hin und Weiber her“, sagte er zu Ed. „Ich traue der Sache immer noch nicht.“
„Hast du etwa Angst vor ihnen, was, wie?“
Old Donegal tat entrüstet. „Ich und Angst vor hübschen Frauen? Daß ich nicht lache! Aber es könnte ja sein, daß dieses verrückte Schiff etwas mit der Black Queen zu tun hat. Was ist, wenn sie die Frauenzimmer losgeschickt hat, um uns – nun ja – um uns abzulenken …“
„Und wenn wir mit ihnen drüben am Strand Reigen tanzen, pirscht sich die Queen an uns heran“, unterbrach ihn der Profos. „Das wolltest du doch sagen, wie?“
„Genau, Ed, du hast das schnell begriffen. Ob ich mal mit Hasard darüber reden soll?“
Ed winkte ab. „Laß das lieber sein, unser Kapitän ist selbst nicht auf den Kopf gefallen. Er wird schon wissen, wie er sich zu verhalten hat. Im Moment jedenfalls droht uns keine Gefahr. Sollten weitere Schiffe hier auf kreuzen, dann müßten wir sie allemal rechtzeitig bemerken, wenn wir keine Bretter vor den Klüsen haben.“
Die Männer verstummten, denn auf der verrückten Galeone tat sich etwas. Ein untersetzter vollbärtiger Mann, bei dem es sich wohl um den Kapitän handeln mußte, signalisierte um die Erlaubnis, in der Bucht ankern zu dürfen. Die gefechtsbereiten Schiffe schienen ihn nicht im geringsten zu stören.
Hasard, der diese Anfrage erwartet hatte, ließ dem fremden Kapitän sein Einverständnis übermitteln, und so dauerte es nicht lange, bis die Galeone neben der „Isabella“ und den beiden anderen Schiffen vor Anker ging.
Die vielen Mädchen an Bord ließen bereits helle Begrüßungsrufe hören, und zwar eindeutig in französischer Sprache.
„Verstehst du etwas davon?“ fragte Old Donegal den Profos.
„Klar“, erwiderte Ed ungerührt. „Mit Französisch habe ich noch nie Schwierigkeiten gehabt.“
Old O’Flynn, der nur zu gut wußte, welch ein gräßliches Französisch Ed sprach, warf ihm einen listigen Blick zu.
„Was rufen sie denn?“ fragte er.
„Alles mögliche“, antwortete Ed und deutete dabei auf eine füllige Blondine von etwa zwanzig Jahren. „Die, zum Beispiel, hat mich so merkwürdig angesehen, und jetzt ruft sie ständig ‚Wulle wuh‘ …“
„Aha! Und was heißt das?“
„Nun ja“, druckste Ed herum. „Sie fragt damit, ob ich – ob ich …“
Donegal winkte ab. „Hör schon auf, bei deiner Aussprache kriegt man ja Magenkrämpfe. Außerdem hat die Blonde die ganze Zeit über mich angesehen. An dich hat sie höchstens einen einzigen Blick verschwendet, und davon hat sie schon Augenschmerzen gekriegt.“
Will Thorne, der Segelmacher, räusperte sich laut und vernehmlich.
„Sollte man bei euren geistreichen Gesprächen nicht die Rübenschweinchen unter Deck schicken?“
Der Profos schüttelte den Kopf.
„Wenn das nötig ist, wird sich schon ihr Vater darum kümmern. Ansonsten bin immer noch ich der Zuchtmeister, der für Ordnung, Disziplin und Sittlichkeit an Bord verantwortlich ist, nur damit du das weißt. Außerdem bin ich der Meinung, daß die Rübenschweinchen alt genug sind, um langsam mit den Wahrheiten des Lebens konfrontiert zu werden. Französisch ist eine vornehme Sprache, es schadet ihnen nichts, wenn sie die erlernen.“
„Du meine Güte“, murmelte Will Thorne, „es geht doch nicht um die Sprache.“
„Um was denn sonst, was, wie?“ fragte Ed mit treuherzigem Blick.
Der grauhaarige Segelmacher gab’s auf.
„Schon gut, Ed“, erwiderte er. „Ich will ja nichts gesagt haben.“
Unter der Crew kursierten seit einiger Zeit die wildesten Vermutungen. Nahezu alle Seewölfe standen an den Verschanzungen und verrenkten sich die Hälse. Nicht etwa im Hinblick auf die Black Queen, o nein. An die Piratin dachte im Augenblick niemand. Jeder beschäftigte sich ausschließlich mit dem französischen Dreimaster und seinen hübschen Passagieren.
„Dort müßte man mal eine Zeitlang anheuern“, meinte Paddy Rogers, „notfalls als Kombüsenhengst.“
„Bloß das nicht“, sagte Ed. „Du würdest deinen eigenen Hintern braten, in der Meinung, es sei ein dicker Schinken.“
Bill spukte immer noch die Herzflagge im Kopf herum.
„Das ist doch niemals die französische Flagge“, sagte er. „Ich möchte nur zu gern wissen, was das zu bedeuten hat.“
Der Profos warf ihm einen schrägen Blick zu.
„Was gibt’s denn da zu überlegen?“ röhrte er. „Die Mädchen wollen damit eine besondere Art von Herzlichkeit zum Ausdruck bringen.“ Grinsend fügte er hinzu: „Vielleicht soll das Herz ein Symbol für Liebe sein, nicht?“
Bill, der vor vielen Jahren als Schiffsjunge an Bord gekommen war, kriegte einen puterroten Kopf.
„Ach so“, sagte er nur.
Der Profos ließ jedoch nicht locker.
„Vielleicht ist damit auch käufliche Liebe gemeint. Aber wie dem auch sei – du brauchst deshalb nicht gleich rot zu werden wie die Unschuld vom Lande.“
„Aber – aber …“, stotterte Bill, „ich bin doch gar nicht rot.“
„Natürlich bist du das“, fuhr Ed ungerührt fort, „feuerrot sogar.“
Bill