Axel Gora

Die Versuchung des Elias Holl


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nahm es aber sogleich wieder in die Arme. Matthias ging auf die beiden zu und gab erst Ibia, dann seinem Söhnchen einen Kuss.

      »Na, mein kleiner Scheißer!«

      Der Bub strahlte. Das rührte Matthias, doch er ließ sich nichts anmerken. Er wollte nicht, dass seine Frau zu oft seine weiche Seite spürte. Sie liebte ihn der anderen Seite wegen.

      »Gerade war ein Bote der Stadtpfleger da. Du sollst morgen um acht im Rathaus sein, der Geheime Rat trifft sich.«

      »Du meist den Großen Rat, dem gehöre ich an. Dem Geheimen Rat werde ich es zeitlebens nicht.«

      »Ich habe mich nicht verhört, der Bote sprach vom Geheimen Rat. Außerdem weiß ich sehr wohl den Unterschied, du hast ihn mir oft genug erklärt.«

      »Was hat er noch gesagt?«

      »Der Stadtwerkmeister habe das Problem mit der Ratsglocke gelöst. Sie käme in den Perlachturm. Jetzt könne man endlich ans Werk. Das könne für dich sehr interessant sein. Alles Weitere morgen.«

      Der kleine Matthias fing zu schreien an.

      »Er hat Hunger. Ich gehe wieder mit ihm hinüber.«

      Ibia gab Matthias einen langen Kuss, rieb ihm dabei den Hosenlatz und hauchte ihm ins Ohr: »Der kleine Matthias will ein Geschwisterchen. Also komm bald.«

      Sie trat aus der Tür. Bevor sie sie schloss, mahnte sie Matthias: »Leg Holz nach! Ich brauche einen gesunden Mann.«

      Matthias wusch die Pinsel aus. Was er sonst mit Hingabe machte – er liebte es, zu sehen, wie die Farbe sich von den Borsten löste und im Wasser zu Schlieren verfloss –, tat er jetzt gedankenversunken; hatte Elias es tatsächlich geschafft. Wie oft war er Matthias in den Ohren gelegen damit, dass er nicht ablassen werde, bis die Entscheidung für das neue Rathaus falle. Das Geld säße locker für den Prunk, man verfüge über genügend; in ein paar Jahren könne das vorbei sein, hatte er gesagt und dabei die Prognosen des hiesigen Kalendermachers und Astronomen Georg Henisch zitiert; der sähe nichts Gutes für die Zukunft – Krieg, Pest und Hungersnöte sollten uns mehr denn je heimsuchen. Immer wieder schicke der Herrgott Zeichen, nur würden diese entweder nicht wahrgenommen oder wenn doch, als Schwarzmalerei, gar Hysterie abgetan oder komplett missachtet werden. So in Gedanken, schabte Matthias die restliche Farbe von der Palette und strich sie in die tönernen Gefäße, die er mit Korkdeckeln verschloss. Er war in guter Stimmung; die ferne Zukunft war zu weit weg, als dass sie ihn bekümmern mochte. Ihn trieb der Gedanke an die nahe Zukunft zur Freude – es sollte sich tatsächlich anschicken, dass er morgen bei der Sitzung des Geheimen Rats zugegen sein durfte. Das war noch nie der Fall gewesen. Wenn es in Augsburg darum ging, Visierungen für Fassaden neuer Bauwerke zu zeichnen, war er bislang einzig von Elias dazu beauftragt worden. Elias hatte ihm exakt bemaßte Skizzen überreicht, die er veredeln sollte. Wenn es fein und kunstvoll sein musste, hatte sich Elias immer an ihn gewandt. Nicht, dass Elias nicht auch etwas aufs Papier brachte; aber bei ihm war es ein totes Zeichnen, angewandte Geometrie mit Zirkel und Winkelmaß, da lebte nichts. Malerei war etwas anderes.

      Matthias fragte sich, warum er diesmal mit eingeladen wurde. Sollte das Erhoffte eintreten? Stand seine Ernennung zum Hofmaler an? Hatte Marx Welser das für ihn lanciert? Der Patrizier und er verstanden sich gut, beide waren überzeugte Katholiken, und nicht umsonst war Welser Taufpate bei seinem Sohn gewesen. Oder waren sie gar auf seinen Loggiaentwurf zurückgekommen? Seinen begnadeten Entwurf? Dieser war der einzige, der ganz aus seiner Feder stammte, ohne Elias’ Vorgabe. Der Loggiaentwurf war ein Meisterwerk; vom Format eines Palladios. Elias hatte sich damals gegen den Entwurf gewandt, er sei viel zu teuer, das Material zu schwierig zu bekommen, die Bauzeit würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, der Bau sei zu welsch und passe nicht ins Stadtbild et cetera et cetera. Matthias glaubte damals, Elias sei neidisch auf ihn, da der Rat nicht einhellig für seine arg nüchternen Ideen gestimmt hatte, sondern einige Mitglieder den Loggiaentwurf befürworteten. Dabei wäre es doch Elias gewesen, der die Loggia schließlich in Stein und Marmor verwirklicht hätte. Matthias hatte nur seinen Genius aufs Papier gebracht. Bloße Zeichnungen. Was gab es dagegen zu tönen? Und jetzt? Was war jetzt geschehen? Hatten sie sich also besonnen und gedachten des genialen Schöpfers. Gut, Heintz’ hatte ihn darauf gebracht, und auch dessen Entwurf war recht ansehnlich, doch der lebte ja nun nicht mehr … Matthias, deine Zeit ist gekommen! Mit jedem weiteren Gedanken spürte er Kräfte in sich aufsteigen. Sein Loggiaentwurf für das neue Rathaus würde ihn unsterblich machen. Der Titel des Stadtmalers käme dann ganz von allein. Eine zusätzliche Gratifikation.

      Eine Siegeshymne summend faltete Matthias die Einladung für Rader, versiegelte sie und steckte sie in die Umhängetasche. Mit raschen Bewegungen zog er sich an und machte sich auf den Weg zum Sankt Salvator Kollegium. Jedem, der ihm entgegenkam, einerlei ob er ihn kannte oder nicht, hob er die Hand zum Gruß; heute waren ihm alle Menschen Freund. Das Summen begleitete ihn bei jedem Schritt. Er musste an sich halten, nicht in Singen auszubrechen, obwohl es ihm gebührte, ihm, dem Schöpfer des neuen Loggia-Rathauses.

      In wenigen Minuten war er beim Kollegium im Georgsviertel angelangt. Nach dreimaligem Klopfen an der schweren Eichenpforte am Ostflügel wurde ihm geöffnet. Ein junger Mann, ganz in dunkelbraunem Tuch, mit gedrungenem Körper, rosa Wangen und Wulstlippen unter der kantigen Nase, gab ihm Bescheid: »Professor Rader ist nicht zugegen. Er lehrt am Münchner Kolleg bei Sankt Michael und besucht uns nur sporadisch zu besonderen Anlässen.«

      »Kommt er nicht nächste Woche wieder für mehrere Tage hierher?«

      »Das ist richtig. Ein holländischer Astronomieprofessor wird uns beehren. Zudem muss Professor Rader hier einige wichtige Unterredungen führen. Morgen wird ein Kurier nach München reisen, um ihm vorab Auskünfte zu überbringen.«

      »Dann darf ich Euch bitten, ihm diesen Brief mitzugeben. Professor Rader weiß Bescheid.«

      Der Wulstlippige nahm die Einladung entgegen und sah auf das Siegel, das die Rückseite des Briefes verschloss.

      »JMK steht für …? Nur, damit ich es in die Liste eintragen kann.«

      »Johannes Matthias Kager. Ich bin hiesiger Kunst- und Freskenmaler.«

      »Oh, Ihr habt die Fresken am Weberhaus gemalt.«

      »Ja, sie sind mein Werk.«

      »Sie sind wunderschön. Professor Rader hat sie mit uns angesehen und uns die Symbolik erklärt. Er hält große Stücke auf Euch. Er findet es schade, dass Ihr immer nur auf das Weberhaus begrenzt werdet, wo Ihr doch noch das Heilig Kreuz- und das Frauentor bemalt habt.«

      »Und nicht nur die. Meine Arbeiten sind weit umfangreicher. Das Weberhaus liegt eben zentral, man kommt nicht an ihm vorbei. Will man meine anderen Arbeiten sehen, muss man sich nach München, Zwiefalten oder nach Hall in Tirol bequemen.«

      Der junge Jesuit verabschiedete sich ehrfurchtsvoll und schloss lautlos die Pforte. Matthias machte sich auf den Nachhauseweg. Er summte erneut, seine Stimmung war durch dieses kurze Gespräch noch gestiegen.

      Im kalten Atelier zog er die alten Loggiaentwürfe hervor und nahm sie mit in die warme Wohnstube, um sie dort noch einmal im Detail zu studieren. Ibia hatte die Stube stärker als gewöhnlich geheizt, weshalb sie zum Kleid ohne Wolljacke und nur im weißen Leinenhemd sein konnte. Matthias knöpfte sich das Wams auf, setzte sich an den gedeckten Tisch und erzählte Ibia vom Wiederaufgreifen der Loggiaidee. Dabei sah er sie an, wie sie schräg zum Herd kniete und Holz im Ofen nachlegte. Die Flammen spiegelten sich auf dem Halbprofil ihres Gesichts und der bernsteinfarbene Schimmer ihrer Haut gab Ibia etwas Göttliches. Ihr Haar, sonst zu einem Turm nach oben gesteckt, trug sie offen, es glänzte wie gewässert im Licht des Ofenfeuers. Matthias schien, als ob Ibia gar Gesichtsfarbe auf Wangen und Lippen gegeben hatte. Auch hatte sie üppiger als sonst zum Nachtmahl aufgetischt. Es gab Fisch und den Wein unverdünnt.