Almut Irmscher

Das Namibia-Lesebuch


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man in unseren feuchten mitteleuropäischen Gefilden, dann kann man sich kaum vorstellen, wie trocken es in Namibia ist. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes staubtrocken. Das hat den Vorteil, dass man als Reisender die Sommerhitze, von der die 30-Grad-Marke oft schon in den Morgenstunden geknackt wird, gar nicht als so dramatisch empfindet.

      Alle anderen hätten es dagegen gerne ein bisschen feuchter, vor allem die Pflanzen, die bei der Dürre kaum überdauern können. Die meisten Sträucher und Bäume strecken deshalb während der überwiegenden Zeit des Jahres nur verdorrtes Geäst in die Höhe. Erst wenn im Hochsommer die Regenzeit einsetzt, hier auf der Südhalbkugel also etwa ab Mitte Dezember, entfalten sich zarte Blätter. Sie verschwinden genauso schnell wieder, sobald im April der Herbst Einzug hält und mit ihm der Regen wieder versiegt. Im Winter, vor allem in seinen kältesten Monaten Juli und August, kann es nachts sogar frieren, die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind dann vielerorts geradezu dramatisch.

      Durchgehend kühler ist es lediglich in den Küstenregionen am Atlantik. Was bei uns der Golfstrom ist, dessen Wärme für ein relativ mildes Klima sorgt, das ist hier der Benguelastrom. Der bewirkt allerdings das glatte Gegenteil, er ist nämlich kalt und sorgt für entsprechende Temperaturen. Das Meerwasser erreicht selbst im Sommer kaum mehr als 15 Grad Celsius, und die krassen Temperaturunterschiede zwischen heißer Wüstenluft und kaltem Wind, der vom Meer heranweht, sorgen häufig für dichten Seenebel. In den Sommermonaten ist es an der Küste recht angenehm temperiert, im Winter hingegen oft empfindlich kalt. Und der Regen macht sich auch hier rar.

      Wenn es aber nicht regnet, dann bleiben auch die Flüsse trocken. Die ausgetrockneten Flussbetten bezeichnet man auf namibisch-deutsch als „Rivier“, ein Wort, das dem Afrikaans entlehnt wurde, der kolonial-niederländischen Sprache der südafrikanischen Buren. Während die Riviere sich fast das ganze Jahr hindurch knochentrocken durch das ausgedörrte Gelände schlängeln, können sie in der Regenzeit mitunter rasend schnell zu reißenden Strömen anschwellen. Doch allzu bald verkümmern sie wieder zu nichts als einer staubigen Schneise durch das vertrocknete Land.

      Eine der ganz wenigen Ausnahmen bildet der Strom Okavango, der im Norden Namibias auf einer Strecke von etwa 400 Kilometern entlang der Grenze zu Angola und dann weiter quer durch den Caprivizipfel nach Botswana verläuft. Er führt ganzjährig Wasser, wenn auch in stark schwankenden Mengen, und versiegt am Ende seines Wegs restlos mitten im Binnenland des östlich an Namibia angrenzenden Botswana. Dort bildet er ein sumpfiges Delta, dessen Wasser schließlich im Staub der Kalahari versickert.

      Einen Teil der weiteren Grenze zwischen Namibia und Angola markiert auf etwa 300 Kilometern Länge der Kunene, der mit einem bis zu 30 Kilometer breiten Delta an Namibias nordwestlicher Grenze in den Atlantik mündet. Auch der Kunene führt ganzjährig Wasser.

      Gleiches gilt für den Oranje, der im Süden des Landes fließt und auf 500 Kilometern Länge die Grenze zu Südafrika bildet. Er ist der zweitlängste Fluss des südlichen Afrikas und hat eine herausragende Bedeutung für die geomorphologische Gestalt der namibischen Küste und der Wüste Namib. Denn er transportiert gewaltige Mengen von Sand aus dem Inneren des Kontinents über seine Mündung hinaus in den Atlantischen Ozean. Nun trägt der Benguelastrom die Sandmassen weiter in Richtung Norden, und der ständig vorherrschende Südwestwind treibt den Sand vom Meer in Richtung Küste. Dort sammelt er sich zu Dünen, wodurch die Küstenzone beständig verbreitert wird. Die Verschiebung der Küstenlinie ist auch der Grund dafür, dass man teilweise weit im Landesinneren der Namib auf Schiffswracks trifft.

      Und der Wind weht den Sand ohne Unterlass tiefer in die Namib hinein, wo er sich zu immer gewaltigeren Dünen auftürmt. Deshalb bezeichnet man den Oranje-Fluss auch als den „Vater der Namib“. Doch genug der Theorie. Machen wir uns endlich auf den Weg und begeben wir uns mitten hinein in die fantastische Welt der Wüste Namib!

      Zur Abrundung Ihrer Eindrücke finden Sie viele Fotos aus Namibia auf meiner Website www.almutirmscher.de.

      Willkommen in Namibia!

       An dieser Stelle finden Sie in meinen anderen Büchern stets auch eine Begrüßung in der Landessprache. Doch welche sollte ich dieses Mal wählen?

      Neben der Amtssprache Englisch existieren in Namibia noch Oshivambo (fast 50 Prozent der Namibier sprechen diese Sprache), Nama / Damara, Afrikaans, diverse Kavango- und Khoisan-Sprachen, Otjiherero und Deutsch. Private sowie einige staatliche Schulen dürfen teilweise in diesen Sprachen Unterricht erteilen, mitunter werden sie in bestimmten Regionen auch von den Behörden verwendet. Und zusätzlich zu den genannten existieren auch noch etliche Minderheitensprachen. Die meisten Namibier sprechen zwei oder drei Sprachen.

      Namibia ist eben ein Vielvölkerstaat – eine bunte Regenbogennation, in der Menschen vielfältiger Ethnien beheimatet sind.

      Die Wüste der Farben – zwischen den größten Sandbergen der Welt

      Langsam schwindet die Dunkelheit, bleiches Grau tastet sich zaghaft über den östlichen Horizont. Es enthüllt die Konturen der flockigen Wolkenschicht, die den Himmel bedeckt. Die weite Ebene, an deren Rand wir uns befinden, und die zackigen Gipfel der Bergketten in der Ferne wirken wie schlaftrunkene Traumgebilde, die in der heraufdämmernden Wirklichkeit erst langsam erwachen. Ganz allmählich schält das Licht gleich neben uns die Konturen eines erhabenen Berges aus der nächtlichen Finsternis. Je heller das blasse Morgenlicht heraufzieht, desto stärker erwehrt sich dieser Berg dem allgegenwärtigen Grau. Von finsterem Anthrazit über drohend düsteres Rostbraun wechselt er sachte zu einem noch matten Lachsrot. Nun erkennen wir, dass der Berg aus nichts als Sand besteht. Und seine immer intensiver erstrahlende Farbe gemahnt zur Eile. Höchste Zeit, weiterzufahren, tiefer hinein in das sandige Herz der Wüste Namib.

      Unser Ziel ist Sossusvlei, eine der schönsten Landschaften im Namib-Naukluft-Nationalpark. Die Zufahrt dorthin befindet sich in Sesriem, einer kleinen Siedlung am Fuß der Naukluft-Berge, und ist durch ein Tor verschlossen. Wer nicht in einem Wüstencamp am Parkeingang nächtigt, wo manchmal Ausnahmegenehmigungen erteilt werden, der darf erst bei einsetzendem Sonnenaufgang gegen Entrichtung einer Gebühr in den Nationalpark hineinfahren, und sobald die Sonne am Abend unter den Horizont sinkt, muss er ihn wieder verlassen haben.

      Der Weg ins Sossusvlei ist jetzt nicht mehr lang. Schon finden wir uns in der offenen Weite eines tellerflachen Tals, umringt von den Geschwistern jenes Sandbergs, der uns im Morgengrauen empfing. Kolossale Dünen türmen sich rings um uns auf, wohin unser Auge auch reicht.

      Inmitten der ebenen Talsenke ragen die toten Äste eines gestorbenen Baumes wie ein düsteres Mahnmal gegen die mächtigen Wogen des Sandmeers. Und dieser stille Ozean der Dünen erwacht nun unter dem morgendlichen Spiel des Lichts zu einem einzigartigen Ballett der Farben. Schon öffnet sich die Wolkendecke, zaghafte Finger aus Sonnenstrahlen streichen über die sandigen Hänge und zaubern orange leuchtende Flecken in das noch dumpfe Rostrot. Sie sind wie das leise Flirren der ersten Töne einer Wagnerschen Ouvertüre.

      Und ganz wie in der Ouvertüre setzt mit kraftvollem Crescendo unvermittelt das Orchester ein, als die Sonne schließlich die Herrschaft an sich reißt und die immer schmächtiger werdenden Wölkchen ihres Platzes verweist. Geradezu bombastische Akkorde komponiert sie im Wechselspiel mit den Dünen der Namib. Grell erglühen die Sandberge in den fantastischsten Nuancen von rostigem Rot über Lachsrosa bis Orange, scharf zeichnen sich ihre geraden Kanten vor den morgendlichen Schatten ab. Mitten in dieser bewegten Oper aus Farben verharrt nur das Skelett des einsamen Baumes ganz still. Fast möchte man meinen, es sei der Dirigent, vor Überwältigung erstarrt im Angesicht der grandiosen Pracht.

      Die orangeroten Sanddünen sind es, die die Namib berühmt gemacht haben und meine Reiselust weckten. Und sie halten ihr Versprechen. Je nach Sonnenstand changieren ihre Farben in den intensivsten Tönen. Am bemerkenswertesten – und am fotogensten – präsentieren sie sich im frühen Morgenlicht oder später am Abend. Doch auch als die Sonne rasch über den Dünenkämmen emporsteigt und vom inzwischen wolkenlosen Azur auf uns hinunterglüht, spüren wir ungebrochen die Faszination dieser farbigen Wüste.

      Obwohl