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Sprachgewalt


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Vereine und Bewegungen, wie der Alldeutsche Verband oder die zahlreichen Krieger- und Militärverbände, formulierten und popularisierten einen rassistisch gegründeten, andere ausschließenden Heimatbegriff mit einer eindeutig antisemitischen Stoßrichtung.12 Heimatvereine transformierten sich zu Trägern einer politischen Bewegung. Der Heimatstil, ein reformistischer gesamteuropäischer Architekturstil, der sich vornehmlich auf ländlich-regionale Traditionen bezog, transformiert um 1900 zum völkisch-national aufgeladenen Antimodernismus. Heimatschutz wurde zu einer Quelle von politischer gegenrevolutionärer Gewalt.13 Die völkische Disposition bildet auch die ideologische Brücke zwischen der Heimatbewegung und dem nach 1918 aufkommenden Nationalsozialismus. Von nun an wurde Heimat zunehmend im Sinne einer Blut-und-Boden-Ideologie als Bollwerk gegen Demokratie, Urbanität, Fremde oder die Moderne schlechthin in Stellung gebracht.14 Der völkische Heimatbegriff ließ sich ebenso mühelos in die nationalsozialistische Ideologie integrieren wie die zahllosen Heimatverbände und Heimatvereine in die Reihen der Volksgenossen. Gleichwohl wurden Heimatdenken und Regionalismus wichtige Quellen für den Konservatismus der Demokratisierung nach 1945. Die Ursachen dafür lagen zum einen in der Allgegenwart von Heimatverlust durch Krieg und Vertreibung nach Kriegsende,15 zum anderen in der Abkehr von zentralistischen Staatsvorstellungen nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs«. Vor allem Vertriebenenverbände, konservative Politiker und Unterhaltungsindustrie bedienten sich eines weitgehend unreflektierten Heimatbegriffs, als wäre er frei von jeglicher Affinität zum Nationalsozialismus gewesen.16 Doch ist auch unübersehbar, dass die Bedeutung des Heimatbegriffs im öffentlichen Diskurs schon in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre stark abnahm. In den Parlamentsdebatten des Deutschen Bundestags tauchte der Begriff Heimat vor 1989/90 nur noch einmal prominent auf, und zwar ausgerechnet im Zusammenhang mit den Skandalen um den gewerkschaftseigenen Bau- und Immobilienkonzern »Neue Heimat«.17

      Auch in der alten Bundesrepublik lebte das Denken in überlieferten Heimatbegriffen fort – in großzügig bemessenen gesellschaftlichen und politischen Nischen. Doch galt diese Art zu denken als rückschrittlich, als Ausdruck hinterwäldlerischer Provinzialität und war von vornherein als reaktionär-konservativ etikettiert. Wenn überhaupt eine nennenswerte politische Kraft mit dem Heimatbegriff operierte, dann tat dies auf sehr instrumentelle Weise die CSU, die sich damit erfolgreich als bayerische Staatspartei etablierte und obendrein knallhart regionale Interessen im föderalen Staat durchzusetzen wusste.18 Seit den 1970er-Jahren jedoch entstanden insbesondere auf dem Land neue Formen gemeinschaftlicher Zusammenschlüsse, die Heimat in ganz anderer Form thematisierten als zuvor. Als eine Antwort auf die Verheerungen der Umwelt infolge einer ungebändigten Industrialisierung und Technisierung entstand ein bundesweites Netzwerk lokaler Initiativen, die – sicherlich nicht ohne innere Widersprüche – auch an einem neuen Heimatbegriff arbeiteten.19 Zudem entstanden zumeist von Schülern und Studenten getragene Initiativen – sogenannte Geschichtswerkstätten –, welche nach dem Motto »Grabe, wo Du stehst« sich mit der lokalen beziehungsweise regionalen Geschichte befassten, insbesondere mit der im Nationalsozialismus, aber auch die Geschichte jener Themen und Gruppen kritisch in den Blick nahmen, die von Heimatkundlern bislang bewusst ausgespart worden sind.20 Nichts verdeutlicht besser diese neue Hinwendung zur Heimat – allerdings in kritischer Auseinandersetzung mit älteren Heimatkonzepten – als Edgar Reitz’ über drei Jahrzehnte (1981–2012) entstandene Filmreihe »Heimat«. Heimat dort ist sehr viel mehr als nur Schauplatz des Geschehens, das Epos ist nichts weniger als eine Chronik deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert. Sie ist ein Ort der emotionalen Bindung und der herkunftsbedingten Verstrickung (»Heimat«), kann aber auch ein Ort frei gewählter Assoziation sein (»Die zweite Heimat«) und mutiert schließlich zu einem mehrfach gebrochenen und hybriden Ort der Erinnerung (»Heimat 3«).

      III

      Spätestens seit der deutschen Wiedervereinigung lässt sich der Befund von der relativen Bedeutungslosigkeit des Heimatbegriffes in der politischen Sphäre nicht mehr halten. Vielmehr ist Heimat in vielen widersprüchlichen, gar gegensätzlichen Varianten wieder en vogue und in der breiten Diskussion. Gegenwärtige Heimatkonzeptionen reichen vom Gartenzwergformat der Schrebergärten über die Plattitüden der Werbeindustrie, die schon lange die Heimattümelei als Verkaufsfaktor entdeckt hat, ökologisch begründeten Regionalismus bis hin zu den rechtsradikalen Wiederaneignungen der niemals als zur Gänze verschwundenen nationalistisch-völkischen Ideologie. Es ist wichtig, sich diese Vielfalt von parallel existierenden – mal einschließenden, mal ausschießenden – Heimatbegriffen vor Augen zu führen, weil sich daran erst sinnvoll die Frage anschließen lässt, ob es einen neutralen oder gar »unschuldigen« Heimatbegriff überhaupt gibt und unter welchen Bedingungen »Heimat« zu einem relevanten Konzept in der Demokratie entwickelt werden kann.

      Im deutschen Wiedervereinigungsdiskurs haben sich Befürworter wie Gegner immer wieder auf den Heimatbegriff mit seinen historischen Belastungen bezogen. Während die einen die Wiederkehr des völkisch-rassistischen Nationalismus (das »Vierte Reich«) prognostizierten, wertete die große Mehrheit der Deutschen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten als eine legitime Rückkehr zu einem Zustand nationalstaatlicher Ursprünglichkeit. Und so lässt sich nicht von der Hand weisen, dass nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auch der nationsbezogene Heimatdiskurs eine neue Dynamik erlangte. Die politischen Erschütterungen, die ökonomisch-sozialen Verwerfungen und die kulturellen Entwurzelungsprozesse der »Großen Transformation« haben insbesondere in Ostdeutschland soziale Bewegungen entstehen lassen, die in ihrer Suche nach Orientierung und nach Sicherheitsankern auf Angebote vermeintlicher Authentizität zurückgreifen, die scheinbar das ersehnte Gefühl von Übereinstimmung mit der eigenen Umwelt wiederherstellen können. Umgekehrt sind in dieser Phase gravierender, politisch und sozial oft unvermittelter und in sich widersprüchlicher Wandlungsprozesse welthistorischen Ausmaßes, die wir gerade erleben – nationalstaatliche Einheit neben politischer Europäisierung, ökonomische Globalisierung neben dynamischen Migrationsbewegungen – Freiräume für antidemokratische Hasardeure entstanden, indem lokale und regionale Traditionen, Logiken und Interessen aus politischen Entscheidungsprozessen weitgehend ausgeklammert wurden und keine Beachtung fanden.21

      Die Rückkehr von Heimat als politischem Begriff lässt sich also ziemlich genau datieren. Das Aufkommen von Pegida und seiner Ableger befeuerte eine neuerliche Debatte über den Verlust und die Wiederaneignung von Heimat, die seit 2014 von der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland in die Parlamente getragen wurde.22 Diese Manifestationen und Proteste, die Bezug nehmen auf ein vermeintlich homogenes und unveränderliches »jüdisch-christliches« Abendland als »europäische Heimat«, hatten allerdings einen eindeutig rassistischen, insbesondere antimuslimischen Grundton.23 Die Verwendung des Heimatbegriffes bei rechtspopulistischen Bewegungen ist jedoch ambivalent. Einerseits greift die rassistisch motivierte Unterscheidung des »Eigenen« (Heimat) und des »Fremden« (Bedrohung der Heimat, die ferngehalten werden muss) zweifellos auf völkische historische Vorbilder zurück. Doch weisen diese Proteste, die mitunter das Ausmaß einer sozialen Bewegung angenommen haben, auch darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Zentrum und Peripherie grundsätzlich gestört ist. In diesem Sinne steht Heimat für den demokratischen Ort, an dem lokale Interessen formuliert und ausgehandelt werden sollen. Die Alternative für Deutschland hat diese Tendenzen am konsequentesten aufgegriffen und für ihre politischen Zwecke zu nutzen gewusst. Mit Wahlkampfslogans wie »Der Heimat eine Zukunft geben« (Niedersachsen 2017), »Unser Land, unsere Heimat« (Sachsen 2019) oder »Hol dir dein Land zurück – vollende die Wende« (Brandenburg 2019) wird zunächst die Gefährdung, teilweise schon der Verlust von Heimat suggeriert. Das bezieht sich aber – anders als zum Beispiel ökologische Heimatbewegungen – nur zum Teil auf landschaftliche Zersiedelung oder städtebaulicher Verschandelung. Für die Anhänger der AfD spielt – insbesondere seit 2015 – der angebliche Verlust einer ethnisch-kulturell homogen Heimat als Ort der Identitätsbildung eine weitaus größere Rolle. Heimat und die angrenzenden Wort- und Bedeutungsfelder sind zu politischen Hochwertwörtern erhoben worden, die die eigenen Anhänger erreichen und mobilisieren sollen.24 Dort, wo Heimat, die eigene kleine Welt, als gefährdet erachtet wird, lohnt es sich zu kämpfen. Die semantische Vielschichtigkeit und bewusste Vagheit des Begriffs Heimat ermöglicht seinen Einsatz