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Sprachgewalt


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Raums agitiert, andererseits wird Heimat auch als ein nationaler Raum verstanden, der gegen innere wie äußere Feinde verteidigt werden müsse. So erhob Bernd Höcke 2017 die AfD in Thüringen zur »Heimatpartei« und stellte ein umfassendes »Heimatkonzept« vor, das neben der regionalen Ausrichtung auch stark nationalistische Züge trug. Dass solche Haltungen anschlussfähig für offen rechtsextreme Positionen sind, liegt auf der Hand. So haben sich in den letzten Jahren zahllose rechtsradikale Kleinstgruppen formiert, die sich in irgendeiner Form Heimat auf die Fahnen geschrieben haben und – mal offen, mal verdeckt – mit lokalen Parteigliederungen der Alternative für Deutschland kooperieren.

      Das demokratische politische Deutschland hat auf diese Tendenzen mit der Einrichtung von drei »Heimatministerien« reagiert: in Bayern (gekoppelt an das Finanzministerium) 2014, in Nordrhein-Westfalen (gekoppelt an die Bereiche Kommunales, Bau und Gleichstellung) und im Bund (gekoppelt an die Ressorts Inneres und Bau) jeweils 2017. In allen drei Fällen wurde die Schaffung des Teilressorts »Heimat« kontrovers diskutiert, bestenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben. Die liberale Wochenzeitung Die Zeit sah darin ebenso wie die linke Tageszeitung taz prinzipiell eine »Chiffre der Ausgrenzung«.25 Die Zielrichtung der Heimatministerien ist politisch nicht ganz eindeutig: Die spärlichen Definitionsversuche der Ministerialleitung und die zugewiesenen Aufgabengebiete einerseits sowie die konkreten politischen Maßnahmen der Ministerien andererseits lassen auf eine Gratwanderung schließen zwischen identitärer Aufladung insbesondere des ländlichen Raums und klassischer Infrastrukturpolitik vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Wohnungsbau. So ist mit dem »Heimatministerium« möglicherweise nur ein institutioneller Ort geschaffen worden, der zwar emotionsbeladene Sehnsüchte nach Ursprünglichkeit und Homogenität bedient, ansonsten aber offen ist für eine ganz neue, inkludierende Form des Heimatdenkens.26 »Heimat« ist wieder chic und daher attraktiv für politische Vereinnahmungsversuche jeglicher Couleur. Darin liegt durchaus eine Chance für die Weiterentwicklung und Popularisierung eines offenen, partizipativen und demokratischen Heimatbegriffs, über dessen konkrete Ausgestaltung dann politisch gestritten werden kann. Doch liegt darin ebenso die Gefahr der Re-Normalisierung eines historisch verbrannten Heimatbegriffes, der in einer modernen demokratischen Gesellschaft keinen Platz mehr beanspruchen sollte. Die Verwendung des Heimatbegriffes bleibt also eine zutiefst ambivalente Angelegenheit, die durch Unachtsamkeit oder Vorsatz jederzeit in eine offen antidemokratische Richtung umschlagen kann. Wenn zum Beispiel das Verteidigungsministerium den geplanten Freiwilligen Wehrdienst mit »Heimatschutz« in Verbindung bringt, dann handelt es sich dabei aufgrund der akuten Bedrohungen durch rechtsterroristische Gruppen, die sich einem offen rassistischen und gewalttätigen »Heimatschutz« verschrieben haben, um einen völlig inakzeptablen Vorgang, weil er als fahrlässige Ermunterung verbrecherischer Organisationen gesehen werden könnte.27

      IV

      In einer viel beachteten Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2017 konstatierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine legitime Sehnsucht nach Heimat im Sinne von Sicherheit, Entschleunigung sowie Zusammenhalt in einer sich dynamisch verändernden Welt. Er forderte, gegen den völkisch aufgeladenen Heimatbegriff der Populisten und Rechtsextremen, gegen »den Blödsinn von Blut und Boden«, einen »positiven« Heimatbegriff zu stellen. Steinmeier ging also davon aus, dass ein inkludierendes Heimatkonzept, das frei ist von allen völkischen und kulturalistisch verbrämten Versatzstücken, möglich sei, hält aber an der Idee einer gefühlsmäßigen Bindung an die Heimat fest. Bei dem großen Volkskundler und im besten Sinne des Wortes »Heimatforscher« Hermann Bausinger heißt es in den 1980er-Jahren: »In diesem neuen Verständnis von Heimat werden viele der alten Konzepte in Frage gestellt: Heimat ist nicht mehr Gegenstand passiven Gefühls, sondern Medium und Ziel praktischer Auseinandersetzung; Heimat kann nicht ohne weiteres auf größere staatliche Gebilde bezogen werden, sondern betrifft die unmittelbare Umgebung; Heimat erscheint gelöst von nur-ländlichen Assoziationen und präsentiert sich als urbane Möglichkeit; Heimat ist nichts, das sich konsumieren läßt, sondern sie wird aktiv angeeignet. Heimat hat, wie in der ursprünglich-konkreten Bedeutung des Wortes, wieder sehr viel mit Alltag und alltäglichen Lebensmöglichkeiten zu tun.«28

      Bausinger sieht also durchaus die Möglichkeit eines demokratischen Heimatbegriffs in einer offenen Gesellschaft, doch bezieht sich dieser nicht auf ein diffuses Abstammungs- und Zugehörigkeitsgefühl oder eine mythische Vergangenheit, sondern auf einen konkreten Ort, der aktiv ausgestaltet werden will. Das »Wir« konstituiert sich nicht mehr über eine gemeinsame Vergangenheit, sondern über die Gestaltung einer gemeinsamen, prinzipiell allen zugänglichen Zukunft. Und dennoch ist dieser Heimatbegriff einer, der weiß, dass die Gegenwart eine Vorgeschichte hat und den lokalen Akteuren die Möglichkeit gibt, das Verhältnis von Veränderbarkeit und Bewahrung selbst zu bestimmen, und er erlaubt ihnen schließlich auch, sich einen Ort emotional anzueignen.

      Ist Heimat ein »missbrauchter Begriff« oder ein missratener, der aus dem Vokabular der politischen Sprache getilgt werden muss? Einen »natürlichen« Heimatbegriff hat es nie gegeben. Also handelt es sich weniger um einen missbrauchten Begriff, dessen ursprünglicher Kern wieder freigelegt werden müsste, als vielmehr um einen mehrfach überformten und bearbeiteten Begriff mit vielen Bedeutungsschichten. Es steht außer Frage, dass Begriff und Konzept »Heimat« eine problematische Geschichte haben: Nationalistische Verengung, völkische Aufladung, antidemokratische Stoßrichtung sind mehr als nur missbräuchliche Verwendungen gewesen, und der herkunftsbezogene Heimatbegriff, der von einem konkreten auf einen mythischen Raum abstrahiert und das Fremde ausschließt, ist prinzipiell empfänglich für derartige Ausdeutungen. Doch hat es dagegen immer auch. So inkludierende, demokratiefähige Alternativkonzepte gegeben war das viel belächelte Vereinswesen im 19. Jahrhundert eben nicht nur der soziale Raum für spießbürgerliche Geselligkeit, sondern auch ein möglicher Ort der Begegnung, des Austausches und der gegenseitigen Anerkennung.29 Und waren es seit dem Sommer 2015 eben nicht auch jene Strukturen, Institutionen und Akteure die ich grob der Sphäre der Heimat, dem kleinen, überschaubaren Raum der Nachbarschaften, zuordnen möchte, die sich in besonderer Weise um die Versorgung einer großen Zahl Geflüchteter verdient gemacht haben und in denen »Integration« am besten zu funktionieren scheint?30 Daran knüpft Bausingers oben geschildertes partizipatives Heimatkonzept an: Heimat ist der Ort, an dem ich bin, den ich im regelhaften Austausch und Widerstreit mit meiner Umwelt gestalte und an dem ich mich im Konkreten solidarisch verhalten kann.

      Wenn man auf jene exkludierenden völkischen Prämissen verzichtet, dann ist Heimat ein durchaus noch brauchbarer politischer Begriff. Seine weitere Verwendung basiert auch auf der Einsicht, dass nicht alle Menschen als kosmopolitische »Anywheres« existieren können und wollen.31. Die persönliche Identifikation mit einem spezifischen Raum und seiner Geschichte können mit der Idee von Heimat, bürgerschaftlichem Engagement, Solidarität und Bewahrungsdenken in Einklang gebracht werden. Die missbräuchliche Verwendung des Heimatbegriffes wird man nicht verhindern können, wenn man nicht in einem autoritären Gesinnungsstaat leben möchte. Umso wichtiger sind zukunftsweisende, inkludierende Heimatmodelle. Denn nichts schützt mehr vor dem Missbrauch einer Idee als deren gut begründeter und erfolgreicher Gebrauch.32

      1Peter Blickle: Heimat. A Critical Theory of the German Idea of Homeland, Rochester 2002.

      2Andrea Bastian: Der Heimat-Begriff. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung in verschiedenen Funktionsbereichen der deutschen Sprache, Tübingen 1995, S. 125-127.

      3Markus Metz/Georg Seeßlen: Heimat – Der offene Begriff, Deutschlandfunk, 3.10.2019, ‹https://www.deutschlandfunk.de/heimat-als-utopie-heimat-der-offene-begriff.1184.de.html?dram:article_id=457932› (15.1. 2020); mit Bezug auf eine Stelle in Ernst Blochs Prinzip Hoffnung: »Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.«

      4Beispielhaft der bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen Sepp Dürr: Lust auf Politik, Recht auf