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Sprachgewalt


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sind das Volk« drückten die Bürgerinnen und Bürger ihre Unzufriedenheit mit dem politischen System und der herrschenden Partei der DDR aus und machten deutlich, dass sie der »demos« und nicht länger die »plebs« seien. Das weitgehend machtlose, von der SED regierte Volk erinnerte die Mächtigen an den demokratischen Anspruch des »Arbeiter- und Bauernstaates«. Nach dem Fall der Berliner Mauer und der einsetzenden Hoffnung auf eine baldige Vereinigung beider deutscher Staaten wurde auf den Transparenten immer häufiger das »das« zu einem »ein« – und somit zur Forderung nach einer deutschen Einheit. Aus dem emanzipatorischen Ruf gegen die Herrschenden wurde das – nicht nur in einem freiheitlich-demokratischen, sondern durchaus auch in einem ethnisch-nationalistischen Sinne zu verstehende – Bekenntnis zum Zusammenschluss aller Deutschen in einem Staat.

      Im Deutschland der Gegenwart wird der Volksbegriff vor allem von rechtspopulistischen und -extremen Gruppierungen wie Pegida oder der AfD häufig verwendet. Nicht selten machen sich diese die verschiedenen Bedeutungen des Wortes zunutze. Das bei Pegida-Protesten skandierte »Wir sind das Volk« nimmt Bezug auf die Demonstrationen in der Endphase der DDR. In dem Slogan kommt die Vorstellung der Protestierenden zum Ausdruck, »das Staatsvolk« zu verkörpern, das von »denen da oben« nicht gehört werde und das seine Rechte gegenüber den Herrschenden einfordern müsse. Neben dem Verweis auf »demos« und »plebs« spielt bei den Pegida-Demonstrationen, die sich gegen Zuwanderung und eine angebliche Islamisierung Deutschlands richten, aber auch die »ethnos«-Bedeutung eine wichtige Rolle. Mit dem mehrdeutigen Volksbegriff scheint es Pegida zu gelingen, sowohl unzufriedene Konservative als auch eingefleischte Rechtsextreme zu erreichen. Nicht zuletzt in den Reden auf den Protestkundgebungen wird deutlich, dass unter den Demonstranten die Überzeugung verbreitet ist, exklusiv definieren zu können, wer zum »deutschen Volk« dazugehört – und wer nicht. Äußerungen wie die, der zufolge die »deutsche Volksgemeinschaft« krank sei und »unter einem Befall von Schmarotzern und Parasiten« leide, welche dem deutschen Volk »das Fleisch von den Knochen fressen« würden,15 knüpfen unverhohlen an völkische, biologistisch-rassistische Semantiken vergangen geglaubter Jahrzehnte an. Zwar sind führende Politiker der AfD mit ihrer Forderung, Begriffe wie »Volksgemeinschaft«16 oder »völkisch«17 zu rehabilitieren, außerhalb der eigenen Partei auf teils scharfe Ablehnung gestoßen, doch scheint hinter solchen Vorstößen der Versuch zu stehen, die Grenzen des »Sagbaren« zu verschieben und durch gezielte Provokationen Aufmerksamkeit und Wählerstimmen vom rechten Rand des politischen Spektrums zu gewinnen. Ob es der AfD langfristig gelingen wird, entsprechende, vom Nationalsozialismus imprägnierte Wörter in die politische Sprache zu reintegrieren, ist fraglich. Kurzfristig erfolgreicher scheint hingegen das Bestreben zu sein, sich als Stimme der angeblichen entrechteten und ungehörten »plebs« zu gerieren – und sich so das Image einer Anti-Establishment-Partei zu geben, die die »wahren« Interessen des Volkes vertrete und unbequeme Wahrheiten ausspreche.

      Wie der Blick in die Herkunfts- und Verwendungsgeschichte des Volksbegriffs zeigt, war dieser spätestens im 19. Jahrhundert schillernd geworden und hatte sich idealtypisch in die Bedeutungen »plebs«, »demos« und »ethnos« ausdifferenziert. Welche davon ursprünglicher war als die andere, lässt sich kaum entscheiden. Feststeht: Dem Begriff konnten seit dem 19. Jahrhundert sowohl exkludierende wie inkludierende, liberale wie nationalistische und pluralistische wie holistische Vorstellungen innewohnen. Er wurde daher nicht gezielt »missbraucht«, sondern hatte sich zu einem mehrdeutigen Hochwertwort entwickelt, das von unterschiedlichsten politischen Milieus verwendet wurde. Abgesehen von der Sondersituation während der nationalsozialistischen Diktatur gelang es keinem Lager, den Volksbegriff für sich zu okkupieren und ein Bedeutungsmonopol über ihn zu errichten.

      Zwar hat – im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – die Verwendungshäufigkeit des Wortes in der politischen Sprache stark abgenommen, doch zeigt der Blick auf Pegida und die AfD, dass »Volk« auch heute noch als politischer Kampfbegriff genutzt wird. Außerhalb von rechtspopulistischen und -extremen Kreisen scheinen aber häufig andere Semantiken wie »die Menschen im Lande« oder Ähnliches an seine Stelle getreten zu sein.

      Auch über einhundert Jahre nach ihrer Anbringung stehen weiterhin die Worte »DEM DEUTSCHEN VOLKE« über dem Eingang zum deutschen Parlament. Im Jahr 2000 schuf jedoch der Projektkünstler Hans Haacke in Auseinandersetzung mit diesem Schriftzug das Kunstwerk »Der Bevölkerung«, das sich in einem Lichthof des Reichstagsgebäudes befindet. Mit seiner Installation distanziert sich Haacke von der Widmung am Westportal. Er erklärte dazu, dass fast 10 Prozent der Bewohner der Bundesrepublik keine deutschen Staatsbürger seien und ein Volksbegriff, der »eine Blutsgemeinschaft« suggeriere, noch immer »Unheil« stifte.18 Für seinen alternativen Schriftzug hatte sich der Künstler von Bertolt Brechts Aussage aus dem Jahr 1935 inspirieren lassen: »Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung […] sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik. […] Die Bevölkerung eines Landstriches hat verschiedene, auch einander entgegengesetzte Interessen, und dies ist eine Wahrheit, die unterdrückt wird.«19 Und in der Tat kann die Verwendung des Wortes »Bevölkerung« in der politischen Sprache eine Alternative zum Volksbegriff bilden, ebenso wie die quantitative Differenzierung in Mehrheit und Minderheit dazu beitragen kann, »das Volk« nicht als monolithischen Block zu denken. Angesichts der Tatsache, dass »das Volk« der Souverän in der Demokratie ist, scheint es gleichwohl unwahrscheinlich, dass der Volksbegriff gänzlich aus der politischen Sprache verschwinden wird. Sich der verschiedenen Bedeutungen des Wortes im Klaren zu sein und es, seinen Gebrauch sowie seine Verwendungskontexte immer wieder kritisch zu hinterfragen, stellt eine Möglichkeit dar, mit ihm umzugehen.

      1Fritz Geschnitzer/Reinhart Koselleck/Bernd Schönemann/Karl Ferdinand Werner: Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7: Verw–Z, Stuttgart 1992, S. 141-431, hier S. 283.

      2Peter Walkenhorst: Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007, S. 334.

      3Wolfgang Tilgner: Volk, Nation und Vaterland im protestantischen Denken zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (ca. 1870–1933), in: Horst Zilleßen (Hg.), Volk, Nation, Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalismus, Gütersloh 1970, S. 135-171, hier S. 147.

      4F. Lehmann: Rassenreinheit, in: Deutschlands Erneuerung (7), 1923, Nr. 6, S. 316-323, hier S. 320/322.

      5So z. B. ebd., S. 320.

      6Anton Eugen Beck 1912 im Deutschen Reichstag, zit. n. Peter Walkenhorst: Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007, S. 161.

      7Ernst Giese 1914 im Deutschen Reichstag, zit. n. ebd., S. 161.

      8Zit. n. Adolf Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. 3, Teil 1, hg. v. Institut für Zeitgeschichte, München u. a. 1994, Dok. 36, S. 150-152, hier S. 151.

      9Programm der Nationalsozialisten Deutschen Arbeiterpartei, 1920, abgedruckt in: Wilhelm Mommsen (Hg.): Deutsche Parteiprogramme, München 1960, S. 547-550, hier S. 548.

      10Hitler gebrauchte diesen – später vor allem in der Hitlerjugend stark propagierten – Ausspruch bereits 1931; Adolf Hitler: Rede auf NSDAP-Gauparteitag in Chemnitz, 7.6.1931, zit. n. ders., Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. Bd. 4/1, hg. und bearb. v. Constantin Goschler, München u. a. 1994, S. 403-405, hier S. 405.

      11Hitlers politisches Testament, aufgesetzt im Bunker der Reichskanzlei in Berlin am 29.4.1945, zit. n. Percy Ernst Schramm (Hg.): Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab) 1940–1945, Bd. 4/2, Herrsching 1982, S. 1666-1669, hier S. 1668.

      12So z. B. Alterspräsident Paul Löbe: Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode, 1. Sitzung, Stenografischer Bericht, 7.9.1949, S. 1-7, hier S. 2, ‹http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01001.pdf›, (9.3.2020).

      13Art. 20 Abs. 2, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, Bundesgesetzblatt vom 23.5.1949, S. 1-19, hier S. 3.

      14Thomas