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Sprachgewalt


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im Reichstag, Düsseldorf 2005, S. 283.

      15So der sächsische AfD-Politiker Thomas Göbel bei einer PEGIDA-Demonstration im Juni 2017 in Dresden, zit. n. Sebastian Leber: So extrem sind die Kandidaten der AfD, in: Der Tagesspiegel, 21.9.2017,‹ https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/rechte-vor-einzug-in-den-bundestag-so-extrem-sind-diekandidaten-der-afd/20350578.html›, (6.3.2020).

      16André Poggenburg, MdL [AfD-Landesvorsitzender in Sachsen Anhalt] am 30.12.2015 auf Facebook, ‹https://www.facebook.com/poggenburg/posts/1249762595039034›, (9.3.2020).

      17Frauke Petry [AfD-Bundesparteivorsitzende] zit. n. Beat Balzli/Matthias Kamann: Petry will den Begriff »völkisch« positiv besetzen, in: Die Welt, 11.9.2016, ‹https://www.welt.de/politik/deutschland/article158049092/Petry-will-den-Begriff-voelkisch-positiv-besetzen.html›, (9.3.2020).

      18So Hans Haacke im Dezember 1999, zit. n. Eva Barlosius: Die Demographisierung des Gesellschaftlichen. Zur Bedeutung der Reprasentationspraxis, in: dies./Daniela Schiek (Hg.), Demographisierung des Gesellschaftlichen. Analysen und Debatten zur demographischen Zukunft Deutschlands, Wiesbaden 2007, S. 9-34, hier S. 9.

      19Bertolt Brecht: Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit, in: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke in 20 Bänden, Bd. 18, Frankfurt a. M. 1967, S. 222-239, hier S. 231.

      Heimat

      Marcus Funck

      I

      Heimat ist ein geradezu allgegenwärtiger Begriff mit vielen Bedeutungen vom variantenreichen Bestandteil in germanischen Orts- und Flurnamen über die Heimatkunde als Schulfach bis hin zu den florierenden Heimat-Krimis oder zur Verkitschung des Regional-Heimatlichen in der Werbeindustrie. Gleichzeitig verweigert sich Heimat, die nur schwer auf einen Begriff zu bringen ist, einer eindeutigen und fixen Definition. Zwar zeugt die Rede von Heimat als einem typisch deutschen, wenn nicht sogar als einem auf das Deutsche beschränkten Begriff, gleichermaßen von Unwissenheit wie von nationsfixierter Borniertheit. Doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Heimat als Begriff und Konzept einen besonderen Platz in der historisch-politischen Sprache Deutschlands einnimmt.1 Denn Heimat war eben niemals nur eine Orts- oder Herkunftsbezeichnung, sondern wird mit zusätzlichen Bedeutungsinhalten gefüllt. Während wir aufgrund der historischen Wirkmächtigkeit geradezu automatisch eine völkisch-national aufgeladene Heimat-Definition assoziieren, existieren durchaus alternative Heimat-Vorstellungen: In der Arbeiterbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhundert kursierte ein von räumlicher Begrenzung befreiter und auf Solidarität beruhender Heimatbegriff,2 Ernst Bloch präferierte eine humanistische Idee von Heimat als eine in die Kindheit scheinende Utopie,3 auch emanzipatorisch gesinnte Kritiker der Wachstums- und Konsumgesellschaft arbeiten seit den 1970er-Jahren an einem gleichermaßen ökologischen wie inklusiven Heimatbegriff.4 Der Soziologe Hartmut Rosa wiederum verknüpft Heimat mit seiner Resonanztheorie und sieht in der Suche nach Heimat ein Grundbedürfnis nach »Anverwandlung« in der Welt, das auch im Politischen seinen Widerhall finden sollte.5 Und in der politischen Sphäre dominieren mittlerweile (scheinbar unpolitische) Heimatbegriffe, die sich auf einen viel zitierten Gedanken Johann Gottfried Herders beziehen, dass Heimat der Ort sei, an dem man sich nicht erklären müsse. Schon allein diese Offenheit und Vieldeutigkeit macht Heimat durchaus anfällig für absichtsvollen Missbrauch, was die Darstellung der unterschiedlichen Facetten, damit auch alternativen Möglichkeiten des Heimatbegriffes als umso wichtiger erscheinen lässt.6 Insofern erscheint es geradezu fahrlässig, den Heimatbegriff von vornherein zu einem »bis ins Innerste vergifteten Begriff«, dem eine »strukturell völkische Dimension« eignet, zu verengen und dem entsprechend aus dem politischen Vokabular und Gedankenarsenal tilgen zu wollen.7

      II

      Im Alten Reich war Heimat ein vergleichsweise präziser Rechtsbegriff. Eine Heimat zu haben bedeutete, Haus und Hof in einer Gemeinde zu besitzen. Das Heimatrecht regelte, wer sich in einer Gemeinde niederlassen, dort leben und einer Arbeit nachgehen durfte. Daran geknüpft waren soziale Rechte und Pflichten, insbesondere in der Armenfürsorge. Zwei Leitthemen moderner Heimatkonzeptionen seit dem 19. Jahrhundert sind hier schon angelegt. Zum einen der Zwiespalt zwischen Heimat als inkludierender und exkludierender Kategorie: Denn das Heimatrecht konnte zwar durchaus durch Zuzug, Einheirat oder Hauskauf erworben werden. Doch wurde es größtenteils als regional begrenztes Geburtsrecht ausgelegt, das oftmals zur formalen Abwehr jener Gruppen angewendet wurde, die außerhalb der ständischen Ordnung und in tiefer Armut den Status der Heimatberechtigten bedrohten. Und zum anderen die Dialektik von Verlust und erzwungenem Aufbruch in die Fremde und dem Verharren in der Heimat. Denn aufgrund begrenzter Ressourcen konnten nicht alle Nachfahren einer Familie in der Heimat bleiben. Die nachgeborenen Nichterben wurden meist aus der Heimat entlassen und waren gezwungen, andernorts eine neue Heimat zu finden.

      Nach 1800 beginnt die Bedeutung von Heimat sich tiefgreifend zu wandeln und allmählich zu entkonkretisieren. Die Grundlage hierfür bilden Erfahrungen von politischem und gesellschaftlichem, schließlich auch ökonomischem Wandel. Mit der napoleonischen Herrschaft über weite Teile Europas wurde das von unzähligen lokalen Traditionen geprägte Alte Reich unwiederbringlich in neue Formen zentraler Staatlichkeit überführt. Die neuen Zentralbehörden wie auch die von ihnen regierten Menschen mussten die forcierte Vereinheitlichung auf staatlicher Ebene mit den bestehenden lokalen kulturellen Eigenheiten in Einklang bringen. Insofern bedeutete der neue Heimatbezug nicht nur eine nostalgische Rückwendung, sondern eine Vermittlungs- und Integrationsinstanz auf dem Weg zur modernen Nation.8 Heimat und Nation waren jedoch keineswegs deckungsgleich, sondern blieben, letztlich bis heute, eng miteinander verknüpft, doch unterscheidbar. Ein zweiter, zeitlich später einsetzender Wandlungsprozess von eminenter Bedeutung für die Ausbildung des modernen Heimatbegriffs ist die zunehmende Industrialisierung und, daran geknüpft, die Ausbildung kapitalistischer Formen des Wirtschaftens. Auch das Mobilitätsverhalten der Menschen veränderte sich und damit gleichermaßen die Zusammensetzung wie auch der Erfahrungshorizont der Bevölkerung, sowohl in den städtischen wie in den ländlichen Räumen. Je mehr die Lebenswelten der Menschen, ob nun reale oder imaginierte angestammte, von Zerstörung bedroht schienen, desto größer wurde das Bedürfnis, diese noch einmal festzuhalten, gewissermaßen einzufrieren. Bürgerinnen und Bürger besangen und beschrieben, erforschten und rekonstruierten plötzlich ihre unterschiedlichen Heimaten und reagierten damit auf eine tiefgreifende Transformation. Der maßgebliche Ort, wo Heimat alltäglich ausgestaltet wurde, war der lokale Verein. Dort wurde ausgehandelt und festgelegt, zu welchen Bedingungen die Teilhabe an der sich wandelnden Gemeinschaft möglich ist.9 Festzuhalten bleibt, dass die Hinwendung zur Heimat als einem Ort vermeintlich ursprünglicher Sicherheit und Geborgenheit eine Reaktion war auf reale säkulare Wandlungsprozesse und auf die Verwerfungen, die sie begleiten. Es wäre falsch, die Suche nach Heimat ausschließlich als eine antimoderne reaktionäre Bewegung zu deuten. Denn erstens war ihr ein reflexives Moment eigen, ein Nachsinnen über die Unwiederbringlichkeit des Verlustes; und zweitens bewegten sich insbesondere romantische Vorstellung von Heimat in einem widersprüchlichen Spannungsverhältnis zu Fernweh und Aufbruch.10 An dieses Denken in komplexen Widersprüchen und Wechselbeziehungen knüpft das heutige Konzept der »Glocalization« an. Ihm lieg die Vorstellung zugrunde, dass Globalisierung nicht ausschließlich als eine von außen aufgezwungene Sinn- und Handlungsstruktur gedacht werden sollte, sondern dass auch die lokalen Vermittlungsinstanzen berücksichtigt werden müssen. Globalisierung muss also nicht notwendigerweise in eine einheitlich normierte Weltgesellschaft führen, sondern ist immer in einen lokalen Kontext eingebettet, der damit auch verändert wird.11

      Der Heimatbegriff verliert am Ende 19. Jahrhundert zusehends seine Komplexität und Widersprüchlichkeit, indem er als völkisch-rassistisch aufgeladener