zwischen Vereinnahmung und Abgrenzung
oder: Sag mir, wer ich sein soll, und ich sag dir, wer ich bin
oder: Der (Alb)Traum vom Leben, wo andere Urlaub machen
5Fifty Shades of Alpine Living
oder: Von Zombies und Raufußhühnern
Die weiteren Aussichten
oder: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen
oder: Von Heuschrecken und Hamsterkäufern
3Wollt ihr den totalen Urlaub?
oder: Die Mär vom sanften Tourismus
5Viertelstundenstädte und Halbjahrestouristen
Gottfried Benn, Reisen
Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?
Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot?
Bahnhofstraßen und Rueen,
Boulevards, Lidos, Laan –
selbst auf den Fifth Avenueen
fällt Sie die Leere an –
ach, vergeblich das Fahren!
Spät erst erfahren Sie sich:
bleiben und stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.
Über dieses Buch
Der Tourismus ist ein ewiges Dilemma. Seine Widersprüche, seine Doppelbödigkeit, seine Präpotenz fordern heraus. Es ist leicht, ihn zu verdammen. Aber es ist schwer, ihm gerecht zu werden. Dieses Buch unternimmt den Versuch, ihn zu umzingeln. Auf fünf Pfaden nähere ich mich diesem kuriosen Ungetüm, das manchmal zahm und harmlos wirkt und manchmal alles zu verschlingen scheint. Ich untersuche den Mythos Berg, frage danach, warum Menschen auf Reisen gehen, schaue mir die Seite der Gastgeber an und erkunde, was es bedeutet, dort zu leben, wo andere Urlaub machen. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf die nächsten Entwicklungen der Tourismusindustrie, die gerade erst begonnen haben und dabei sind, Fahrt aufzunehmen.
Am Ende jedes Themas stelle ich eine Expertin oder einen Experten vor, die als Forschende und/oder als Praktiker jahrelange Erfahrungen auf dem von mir zuvor behandelten Gebiet gesammelt und ihre Einsichten im Rahmen eines Gesprächs mit mir geteilt haben. Ihre Stimmen bilden eine Ergänzung, manchmal auch einen Widerspruch zu meinen eigenen Überlegungen und Überzeugungen – und weiten damit den Blick auf andere Perspektiven.
So wird dieses Buch selbst zur Reise, zu einer Tour d’Horizon über ein schier unerschöpfliches Thema mit seinen Glanzpunkten und Abgründen.
Um festes Schuhwerk wird gebeten.
Vorwort
Berge um uns, Berge in uns oder: Der erbärmliche Anblick der Alpen
Vielleicht ist Sesshaftigkeit ein Irrtum. Vielleicht liegt tief in unserem Erbgut verankert ein Gen-Baustein, der uns unstet macht, rastlos, zu Wanderern. Einer, der uns immer dann, wenn wir stillzustehen drohen, als Unruhe ins Herz sticht, als unbestimmte Sehnsucht nach dem Anderswo.
Ich komme aus den Bergen. Wie viele, die aus den Bergen kommen, bin ich ein Heimweh-Mensch. „Ihr Südtiroler, ihr habt ein ganz besonderes Heimweh“, hat einmal ein Wiener Mitstudent zu mir gesagt. Vielleicht ist es aber gar nicht Südtirol, wonach wir Heimweh haben. Vielleicht sind es einfach die Berge. Denn Heimweh, das können auch die Menschen in Graubünden, wo ich seit vielen Jahren lebe, sehr gut. „Heimweh-Bündner“, das ist ein Wort, das in der ganzen Schweiz verstanden wird. Wir Heimweh-Bergler gelten als besonders sesshaft, tief verwurzelt, bodenständig – im günstigen Fall. Die Kehrseite ist eine gewisse Unflexibilität, Starrköpfigkeit, Rückwärtsgewandtheit, die uns nachgesagt wird. Wir stehen mit beiden Beinen fest im heimischen Misthaufen, wortwörtlich und im übertragenen Sinn, so stellen sich das viele vor.
Dabei wird eines übersehen: Wer in den Bergen lebt, muss sich bewegen. Von einem Dorf zum nächsten, von einem Tal ins nächste, hin zu den Städten, wo die Bildungseinrichtungen, die Arbeitsplätze, die Krankenhäuser sind. Das romantische Bild vom knorrigen Hutzelmännchen, das auf dem Balkon seines Bergbauernhöfchens sitzt und Pfeife schmauchend ins Alpenglühn schaut, ist nicht von vorgestern, sondern von vorvorgestern und hat wahrscheinlich sogar damals nicht immer gestimmt. Als Kind aus Plaus, in den Achtzigerjahren ein 300-Seelen-Dörfchen, musste ich mich früh ans Wandern gewöhnen. Der Bus brachte uns Kinder zuerst nach Naturns, dann nach Meran in die Schule. Die Universität besuchte ich in Wien. Das Wieder-Heimkommen dauerte länger und länger. Das Ankommen gelang irgendwann nicht mehr. Empfand ich mich als Migrantin? Nein, denn jeden Aufenthalt, sogar den über mehrere Jahre, verbuchte ich als „vorläufiges Nicht-zu-Hause-Sein“. Fünf Jahre Wien. Zwei Jahre Chur. Neun Jahre Zernez. Allesamt gefühlte Zwischenstationen, obwohl ich mittlerweile nicht mehr weiß, zwischen was.
Das