Walter G. Pfaus

Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis


Скачать книгу

      Kid Dalbán ließ mit einem gekonnten Stoß die Billard-Kugeln über den grünen Filz schießen.

      Dalbán lachte heiser. "Ich glaube, ihr könnt mir schon jetzt eure Brieftaschen geben, Jungs! ich ziehe euch heute aus!" Er richtete sich auf. Der Anführer der "Santos" war fast zwei Meter groß und hatte blauschwarzes, nach hinten gekämmtes Haar.

      "Ich verstehe nicht, wie du so ruhig bleiben kannst!", meinte einer der Männer. Er war breitschultrig und mehr als einen Kopf kleiner als der Ganganführer.

      Dalbán musterte ihn.

      "Wesley, warum so ängstlich? Du vergisst, wo wir uns hier befinden!"

      Dalbáns Hauptquartier lag in einem atomsicheren Bunker, mehrere Stockwerke unter der Erdoberfläche. In den fünfziger Jahren waren derartige Anlagen von der US-Regierung stark subventioniert worden.

      Dalbán tätschelte gönnerhaft Wesleys Schulter.

      "Wir könnten hier notfalls wochenlang überleben, selbst wenn man uns einkesseln und belagern würde!"

      "Ich glaube, du hast keine Ahnung, was uns bevorsteht, Kid!", knurrte Wesley düster.

      "Du unterschätzt mich, Wes! Und das nicht nur beim Billard!" Kid Dalbán reichte Wesley den Queue. "Hier, probier dein Glück! Vielleicht macht dich das etwas relaxter, Amigo!"

      "Caramba, die Lage gerät außer Kontrolle! Du musst etwas unternehmen, Kid!"

      Kid Dalbáns Zeigefinger fuhr hoch wie eine Messerklinge. Sein Gesicht verfärbte sich dunkelrot. "Sag mir nie wieder, was ich zu tun habe, hörst du?"

      Wesley schluckte.

      Kid Dalbán war für sein übles Temperament berüchtigt.

      Er neigte zu plötzlichen Ausbrüchen von ungehemmter Aggression. In solchen Augenblicken war er selbst für seine Freunde außerordentlich gefährlich.

      "Kid, ich..."

      Wesleys Stimme klang kraftlos.

      Kid Dalbán unterbrach ihn. "In dieser Scheiß-Situation sind wir doch nur, weil du diese Irren unbedingt in der Gang haben wolltest!" Dalbán machte eine wegwerfende Handbewegung. "Wer ist auch so bescheuert und versucht einem Scarlatti die Brieftasche wegzunehmen!"

      "Ich fand's cool, Kid!", meldete sich einer der anderen Anwesenden zu Wort. Der Mann trug eine Baseball-Cap mit der Aufschrift. "The One And Only". Er grinste breit. "Du musst zugeben, dass noch keiner von uns eine so coole Aktion hingelegt hat. Die Nachrichten waren voll davon. Auf Roller-Skates die Autofahrer auf der Brooklyn Bridge ausnehmen - dass muss denen erst einmal einer nachmachen!"

      "The One And Only" lachte heiser. Schließlich fuhr er fort: "Ich meine, sie haben ein paar Jungs dabei verloren, aber das war ja nicht so geplant. Gib's zu, Kid, du bist nur neidisch darauf, dass selbst du da nicht mithalten kannst."

      Kid Dalbán ließ seine Faust vorschnellen.

      Sie fuhr "The One And Only" direkt ins Gesicht.

      Der Getroffene taumelte zurück, ging ächzend zu Boden. Er starrte Dalbán fassungslos an. Das Blut schoss dem Geschlagenen aus der Nase. Seine Augen blitzten wütend. Aber er sagte nichts. Kein Wort. Was ihm auf der Zunge lag, schluckte er hinunter.

      Er kannte Kid Dalbán gut genug, um zu wissen, dass er jetzt sehr vorsichtig sein musste.

      Wenn der Boss der "Santos" in dieser Stimmung war, war er unberechenbar.

      "Wegen dieser Idioten werden uns die Italiener jagen wie die Kaninchen!", zischte Dalbán.

      Ein Sprechgerät summte.

      Kid Dalbán hatte noch immer die Fäuste geballt. Das Gesicht war zur grimmigen Maske erstarrt. Jeder Muskel, jede Sehne seines durchtrainierten Körpers schien angespannt zu sein.

      Jetzt erst lockerte sich seine Haltung etwas. Das Sprechgerät summte ein zweites Mal, aber keiner der Anwesenden wagte es, auf den Knopf zu drücken.

      Dalbán ging die zwei Schritte, die ihn von dem Gerät trennten. Es war in die dicke Betonwand eingelassen.

      "Was gibt es?", knurrte Dalbán.

      "Kelly ist hier", erklärte eine heisere Stimme aus dem Sprechgerät.

      "Allein?", wunderte sich der Anführer der "Santos".

      "Ja."

      "Soll reinkommen!"

      Die luftdichte Tür wurde geöffnet.

      Ein breitschultriger junger Mann mit blond gefärbten Haaren trat ein. Er war ziemlich dreckig. Ein Sturmgewehr hing ihm über der Schulter.

      "Hey, Kelly, was ist los mit dir? Du stinkst, als kämst du aus einer Jauchegrube!"

      "Ich musste über die Kanalisation flüchten..."

      Kid Dalbáns Gesicht veränderte sich. Seine Augen wurden schmal. "Wo sind die anderen?"

      "Wurden vom FBI einkassiert!"

      "Was redest du da?" Kid Dalbán packte Kelly grob bei den Schultern.

      "Es waren nicht Scarlattis Leute, sondern G-men, verdammt noch einmal!"

      "Mierde!", entfuhr es Kid Dalbán. Er versetzte Kelly einen schmerzhaften Fauststoß. "Das haben wir jetzt von eurer verdammt coolen Aktion! Am liebsten würde ich euch wieder rausschmeißen!"

      Wesley meldete sich zu Wort. Er versuchte etwas zu beschwichtigen.

      "Du weißt genau, dass das unsere Probleme nicht beseitigen würde, Kid! Im Gegenteil. Gegen die Italiener brauchen wir jeden Mann, wenn's hart auf hart kommt!"

      "Ja, aber keine leichtsinnigen Idioten!", knurrte der Gangleader.

      In Kellys Augen blitzte es. "Wenn ich gewusst hätte, dass diese Gang von einem geführt wird, der schon die Hosen voll hat, wenn ein paar G-men auftauchen, dann hätte ich lieber meinen eigenen Laden aufgemacht!", zischte Kelly.

      Kid Dalbán holte zum Schlag aus.

      Wesley war bei ihm, fiel ihm in den Arm und hielt ihn zurück.

      "Immer schön easy bleiben, Mann!", meinte Wesley.

      Kid Dalbán atmete tief durch, schüttelte Wesleys Griff ab. Er knurrte etwas Unverständliches dabei.

      Wesley hat Recht, ging es ihm dann durch den Kopf. Die Situation war nun einmal wie sie war. Und es war eine Tatsache, dass ein Großteil der Gangmitglieder den Coup auf der Brooklyn Bridge als Großtat respektierte. Besonders bemerkenswert fanden viele, dass Kelly die Coolness besessen hatte, dem toten Scarlatti noch die Brieftasche abzunehmen.

      Kid Dalbán hatte die Bewunderung, die Kelly dafür bislang geerntet hatte, mit Misstrauen registriert.

      Auf den Jungen werde ich achten müssen!, ging es ihm durch den Kopf. Noch gehört Kelly zu den Neulingen in der Gang - aber er tritt schon ziemlich respektlos auf!

      Früher oder später würde Kelly versuchen, die Führung an sich zu reißen.

      Dalbán hatte für so etwas eine Art siebten Sinn.

      Ohne diesen Überlebensinstinkt hätte ihn längst einer der anderen "Heiligen" von der Führungsspitze der Gang verjagt. Aber Dalbán war wachsam.

      Für Kelly werde ich mir etwas überlegen müssen!, ging es ihm durch den Kopf.

      Wesley meldete sich zu Wort. "Vielleicht kann man mit den Little Italy-Leuten ja reden. Da müsste doch was zu arrangieren sein..."

      "Wenn es um die Familie geht, verstehen die keinen Spaß",