ausgegeben und ordert ständig neue Gifte. Er hält sich nur in Räumen auf, die er vorher ausführlich nach Insekten abgesucht hat. Der Sekretär ist besorgt und bittet eine Bekannte, die von Beruf Psychologin ist, um Hilfe. Gemeinsam finden sie heraus, dass Tinsley glaubt, dass die Insekten ihn belauschen und ihm nach dem Leben trachten. Als Tinsley noch ein Junge war, ist sein Vater bei einem Jagdunfall gestorben, und als Tinsley endlich mit anderen zum Unfallort zurückkehrte, war die Leiche des Vaters von Insekten bedeckt. Seither hat Tinsley seine Besessenheit. Die Psychologin will den Mann heilen und schlägt ihm vor, für einige Zeit die Insekten zu ignorieren. Noch in der gleichen Nacht dreht Tinsley durch, denn er hat herausgefunden, dass es gar nicht die Insekten sind, die ihn umbringen wollen, sondern die Mikroben. Tinsley stirbt auf der Flucht in seinem Auto. Und da der Erzähler der Geschichte nun auch von der Gefahr durch die Mikroben weiß, machen diese sich über ihn her. Noch während er die letzten Zeilen des Manuskripts tippt, schält sich bereits die Haut von seinen Fingern.
Die Erzählung ist recht typisch für das Magazin WEIRD TALES und enthält zwei drastische Szenen, die für Bradburys Texte eher untypisch sind. Die Pointe jedoch ist lediglich dem Effekt geschuldet und weder plausibel noch sonderlich originell.
»The Dead Man«
(Juli 1945 in WEIRD TALES, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales, Dark Carnival und The Small Assassin; dt. »Der tote Mann«)
In einer Kleinstadt machen sich die Besucher des Friseurladens über Mr. Martin lustig, der von sich selbst behauptet, tot zu sein. Während einer großen Flut ist Martins Ranch überschwemmt worden und seine Familie ertrunken. Seither hält sich der Mann selbst für tot, ist obdachlos, isst nicht und wäscht sich nicht mehr. Nur Miss Weldon, über die sich auch viele lustig machen, weil sie nicht gerade die Klügste ist, kümmert sich zuweilen um Martin. Schließlich beschließt Martin, Miss Weldon zu heiraten. Die Kleinstadtbewohner sind höchst amüsiert und helfen ihm sogar, sich für die Hochzeit herzurichten. Martin erzählt, dass er ein Grundstück für sich und seine neue Frau gekauft hat. Doch am nächsten Tag sind beide verschwunden, und der Makler der Stadt hat ihnen kein Grundstück verkauft. Aber ein Mann hat die beiden gegen Mitternacht Richtung Friedhof gehen sehen …
Die Erzählung ist außerordentlich stimmungsvoll und ein Juwel unter Bradburys Horrorgeschichten. Es ist schade, dass sie auf Deutsch in keiner der bekannten Sammlungen vorliegt, sondern lediglich in der recht unbekannten Anthologie Der Besucher aus dem Dunkel von 1972.
Die Geschichte wurde für die Serie THE RAY BRADBURY THEATER verfilmt.
»The Big Black and White Game«
(August 1945 in THE AMERICAN MERCURY, enthalten in The Golden Apples of the Sun, Twice 22 und The Stories of Ray Bradbury; dt. »Das große schwarzweiße Spiel« bzw. »Das große Schwarz-Weiß-Spiel«)
In dieser nicht phantastischen Geschichte geht es um ein jährlich stattfindendes Baseballspiel, bei dem die schwarzen Angestellten eines Hotels gegen eine weiße Mannschaft antreten. Schon bei den Vorbereitungen des Spiels wird dem jungen (weißen) Douglas klar, dass die schwarzen Spieler viel fitter, fröhlicher und trainierter sind als die weißen. Und tatsächlich liegen die Schwarzen schnell nach Punkten vorn. Als ein weißer Spieler den schwarzen Favoriten foult, ist dieser zunächst nachsichtig, verpasst dem Weißen aber im weiteren Spielverlauf einen Ball gegen den Kopf. Die Weißen – insbesondere die Ehefrauen – sind erbost, obwohl die Schwarzen ausschließlich nach den Regeln gespielt haben. Abends geht keiner der Weißen zum alljährlichen Jamboree der Schwarzen. Nur der kleine Douglas schaut heimlich und wehmütig von draußen durch das Fenster zu.
Bradburys Auseinandersetzung mit dem Rassismus findet in einer für ihn typischen Weise statt, und er bezieht dabei eindeutig Stellung gegen die Spießigkeit und Unfairness der Weißen.
Diese Erzählung war Bradburys erster Erfolg, als er versuchte, neue Märkte für sich zu erschließen und nicht nur für die typischen Genre-Pulps zu schreiben. Doch der Text wurde nicht nur in einem »richtigen« Magazin gedruckt, sondern kurz darauf sogar in der Anthologie The Best American Short Stories of the Year, was der junge Autor nie zu hoffen gewagt hatte. Bis auch seine phantastischen Geschichten außerhalb der Genrepublikationen erschienen, sollte jedoch noch einige Zeit vergehen.
»Skeleton«
(September 1945 in WEIRD TALES, enthalten in Dark Carnival, The October Country, The Vintage Bradbury, The Stories of Ray Bradbury und Skeletons; dt. »Das Skelett« bzw. »Das Skelett des Mr. Harris«)
Mr. Harris hat häufig Schmerzen in den Knochen, doch sein Arzt kann keine Ursache dafür finden und hält ihn für einen Hypochonder. Harris findet einen anderen Arzt namens Munigant, der angeblich Knochenspezialist ist. Doch Munigant sagt Harris, dass er für eine Behandlung noch nicht bereit sei. Nach und nach empfindet Harris sein eigenes Skelett als einen Fremdkörper, nimmt es als ein fremdes Wesen und am Ende sogar als Feind wahr. Harris fürchtet sich vor Skeletten, die etwas Faszinierendes, aber auch Fremdes sind. Schließlich, als er schon ganz abgemagert und Harris’ Skelett bereits beinahe zu sehen ist, ruft er doch Mr. Munigant. Und dieser seltsame Mann hat die richtige Behandlung.
Am Ende der Geschichte sieht Mrs. Harris einen Mann auf der Straße, der einen langen weißen Gegenstand isst, der wie ein Knochen aussieht. Als sie nach Hause kommt, findet sie ein quallenähnliches Wesen, das ihren Namen ruft. Offenbar wurden ihrem Mann alle Knochen aus dem Körper entfernt …
Diese absonderliche Horrorgeschichte ist auf eine seltsame Weise faszinierend, vor allem durch ihren absurden Schluss. Sie wurde nicht umsonst in fünf Bradbury-Storysammlungen nachgedruckt und für die Serie THE RAY BRADBURY THEATER verfilmt, und zwar mit einer außerordentlich gut gelungenen Folge, die die Stimmung der Erzählung durch filmische Mittel noch verstärkt.
Von vielen Kritikern wird sie als eine der wesentlichen Horrorstorys der 40er-Jahre angesehen.
»The Invisible Boy«
(November 1945 in MADEMOISELLE, enthalten in S is for Space, The Golden Apples of the Sun, The Vintage Bradbury, Twice 22 und The Stories of Ray Bradbury; dt. »Der unsichtbare Junge« bzw. »Unsichtbarer Junge«)
Die einsame Old Lady wünscht sich Gesellschaft, und so überredet sie den jungen Charly, zu ihr zu kommen, indem sie ihm Zaubertricks verraten will. Als sie verspricht, ihn unsichtbar zu machen, wird er neugierig. Sie täuscht einen Zaubertrick vor und erklärt ihm, dass er nun unsichtbar sei. Charly ist skeptisch, aber die Old Lady kann glaubhaft lügen. Vor allem erzählt sie ihm, dass er nun nicht mehr zu seinen Eltern nach Hause zurückkehren kann, weil ihn schließlich niemand sehen könnte. Er würde seine Familie zu Tode erschrecken. Angeblich dauert es sehr lange, bis er wieder von selbst sichtbar wird. Charly ist erst betrübt, aber dann beginnt er, allerlei Schabernack mit der Old Lady zu treiben, weil er glaubt, dass sie ihn nicht sehen kann. Als es ihr zu bunt wird, behauptet sie, dass er wieder sichtbar wird, und Charly kann zu seiner Familie zurückkehren. Die Old Lady ist am Ende doch lieber einsam als so einen wilden Jungen zu beherbergen.
Die Geschichte ist witzig und unterhaltsam, und offenbar ist sie beim Publikum auch sehr gut angekommen, denn sie wurde gleich in fünf Storysammlungen Bradburys aufgenommen.
2.3 – Kriminalgeschichten
Bradburys frühe Kriminalgeschichten wurden fast alle in dem Band A Memory of Murder gesammelt. Im Vorwort zu diesem Buch schreibt er, dass er sich damals Mitte der 40er-Jahre jeden Sonntag mit der von ihm vergötterten Autorin Leigh Brackett am Muscle Beach von Santa Monica, Kalifornien, traf, um sich mit ihr zu unterhalten und ihr seine Geschichten zu zeigen. Brackett war zu dem Zeitpunkt bereits eine erfolgreiche und von den SF-Fans geliebte Autorin, die aber auch eine ganze Menge Kriminalgeschichten geschrieben hat. Brackett nahm sich die Zeit, dem jungen Bradbury zu helfen und einige Kniffe zu verraten, wie er seine Geschichten verbessern konnte. Und deshalb hat er ihr schließlich seinen Sammelband A Memory of Murder