zwischen Inhalt und Länge des Textes als auch die Motive der Protagonisten und die überraschende Pointe.
»Dead Men Rise Up Never«
(Juli 1945 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Tote stehen nie mehr auf«)
Diese Geschichte spielt im Gangstermilieu. Der Boss einer Bande hat ein junges Mädchen namens Sherry entführt, vorgeblich weil er Lösegeld erpressen will. Tatsächlich hat er sich aber in das Mädchen verliebt und hofft, sie für sich gewinnen zu können. Doch es kommt anders: Auf der Flucht stirbt Sherry, und nach einigen Intrigen und Auseinandersetzungen mit Rivalen ist schließlich auch der Gangsterboss tot.
Diese Geschichte zeigt sehr anschaulich, dass Hard-Boiled-Storys nicht Bradburys Stärke sind. Die Handlung schwankt unentschlossen zwischen einem brutalen Gangsterplot und romantischen Anwandlungen des Bosses. Bradbury hat hier sicher versucht, den Stil seiner Pulp-Kollegen in den Mystery-Magazinen zu kopieren, dabei aber nicht seinen eigenen Ton getroffen.
»Corpse Carnival«
(Pseudonym D. R. Banat; Manuskripttitel »One Minus One«, Juli 1945 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Ein Zirkus voller Leichen«)
Eine sehr absurde Idee: In einem Zirkus wird einer der beiden siamesischen Zwillinge erstochen. In einer Notoperation trennt der anwesende Arzt die beiden, und der überlebende Zwilling begibt sich auf die Suche nach dem Mörder. Dabei müssen auch noch weitere Leute aus dem Zirkus sterben, weil der Mörder seine Tat vertuschen will. Am Ende stellt sich heraus, dass die Geliebte des überlebenden Zwillings ihn für sich allein haben wollte, ohne dass der störende zweite immer dabei ist.
Die Pointe ist tatsächlich überraschend, doch allein die schnell ausgeführte Operation und das klischeehafte Verhalten der Zirkusmitglieder lassen ahnen, dass die Geschichte hastig für ein Pulpmagazin geschrieben wurde. Da Bradbury in der gleichen Ausgabe von DIME MYSTERY bereits die Geschichte »Dead Men Rise Up Forever« hatte, erschien »Corpse Carnival« unter dem Pseudonym D. R. Banat.
»The Long Way Home«
(Manuskripttitel »The Long Way Around«, November 1945 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Ein langer Weg nach Hause«)
Charley Guidney ist ein kleiner Angestellter und angeödet von seiner täglichen Arbeit. Er träumt davon, aus dem Trott auszubrechen und vielleicht sogar seine Frau Lydia, die ihn zu hassen scheint, zu verlassen. Als er nach Hause kommt, keift sie ihn in gewohnter Weise an. Da behauptet er, auf dem Heimweg einen Mann erschossen zu haben. Er hält das für eine großartige Idee, denn so muss er fliehen. Er schickt seine Frau los, um Busfahrkarten zu kaufen, und packt unterdessen die Koffer. Sie braucht sehr lange, und als sie zurückkehrt, wollen die Eheleute so schnell wie möglich aufbrechen, treffen aber auf den Polizisten Kelly. Lydia verliert die Nerven und verrät Charley. Es stellt sich heraus, dass tatsächlich jemand erschossen wurde. Charley schlägt in Panik den Polizisten nieder und flieht. Schließlich findet er heraus, was tatsächlich passiert ist: Seine Frau hat sich auf dem Weg zum Fahrkartenkauf eine Waffe besorgt und einen Obdachlosen erschossen, damit der Verdacht auf Charley fällt und sie ihn so loswerden kann. Charley konfrontiert Lydia mit der Erkenntnis. Sie gibt es auch zu, nur ist sie überzeugt, dass Charley niemand glauben wird. Klugerweise hat Charley vorher den Polizisten Kelly informiert, der das Geständnis aus einem Versteck angehört hat.
Trotz kleinerer Logikschwächen ist dies eine der raffiniertesten Krimigeschichten, die Bradbury je geschrieben hat. Es gibt am Ende drei überraschende Wendungen, von denen die letzte hier nicht verraten werden soll.
»The Small Assassin«
(November 1946 in DIME MYSTERY, enthalten in Dark Carnival, The Small Assassin, The Vintage Bradbury, The Stories of Ray Bradbury und A Memory of Murder; dt. »Ein kleiner Mörder« bzw. »Baby«)
Diese Erzählung ist die populärste Krimigeschichte Bradburys aus den 40er-Jahren und wurde am häufigsten nachgedruckt.
Die junge Mutter Alice Leiber ist davon überzeugt, dass ihr Baby sie umbringen will. Sie fürchtet, dass man sie für verrückt hält, denn niemand will ihr glauben. Als das Baby vier Monate alt ist, wird die Angst immer größer, und es ereignen sich Unfälle im Haus, die nicht erklärbar sind. So rutscht David Leiber, der Vater des Kindes, nachts auf einem Spielzeug aus und fällt beinahe die Treppe hinunter. Als David für einige Tage wegen einer Dienstreise von zu Hause wegbleibt, findet er seine Frau nach seiner Rückkehr mit gebrochenem Genick am Fuß der Treppe. Endlich glaubt auch David daran, dass das Kind schuld am Tod seiner Mutter ist. Doch bereits in der nächsten Nacht stirbt auch David.
Der Hausarzt der Familie, der in die Sorgen und Ängste der Eltern eingeweiht ist, findet Indizien, dass nur das Kind die Unfälle verursacht haben kann, und beschließt zu handeln. Schließlich hat er sein Skalpell immer bei sich …
Die Handlung ist aufgebaut wie ein Psychothriller, wobei die Pointe nicht allzu überraschend ist. Lediglich dass ein Kleinkind der Mörder ist, dürfte die Geschichte zu etwas ganz Besonderem machen, gerade in den Pulp-Magazinen der 40er-Jahre.
Bradbury selbst schrieb im Vorwort des Sammelbandes A Memory of Murder, dass ihm »The Small Assassin« als eine der besten Geschichten überhaupt erscheint, die er jemals geschrieben hat, egal in welchem Genre. Zitat: »Sie war immerhin so erfolgreich, dass sie ein Dutzend Romane und Filme beeinflusste, die in den letzten zehn Jahren geschrieben und produziert worden sind.«
Diese Geschichte wurde als 12. Episode der Fernsehserie RAY BRADBURY THEATER verfilmt und im April 1988 zum ersten Mal ausgestrahlt, wobei diese Folge ganz außerordentlich stimmungsvoll geraten ist. Außerdem wurde die Story von Al Feldstein und George Evans zu einem Comic adaptiert, der in SHOCK SUSPENSTORIES #7 (Februar/März 1953) bei EC erschienen ist.
Der Eintrag in der amerikanischen Wikipedia zu dieser Geschichte hält es für möglich, dass die Figur des Stewie Griffin aus der Fernsehserie FAMILY GUY, der immer wieder seine Mutter umbringen will, von »The Small Assassin« inspiriert wurde.
»A Careful Man Dies«
(November 1946 in NEW DETECTIVE, enthalten in A Memory of Murder und The Cat’s Pajamas; dt. »Der Tod eines vorsichtigen Mannes« bzw. »Ein vorsichtiger Mann stirbt« bzw. »Blut«)
Als Erstes fällt an dieser Geschichte auf, dass sie in der zweiten Person Singular verfasst ist. Das ist ein stilistischer Trick, der den Leser dichter an die Geschichte rückt und normalerweise mit einbezieht. In diesem Fall funktioniert es nicht ganz so gut, weil eine eher konventionelle Story erzählt wird.
Der Protagonist ist ein Schriftsteller namens Robert Douglas, der sich von seiner Freundin getrennt hat, weil sie sich zu sehr dem Drogenkonsum in Gesellschaft anderer Leute hingegeben hat. Nun schreibt er einen Roman über diese Leute, weil er sie nicht bei der Polizei anzeigen kann. Dummerweise wissen die Betreffenden von Douglas Arbeit. Hinzu kommt, dass Douglas Bluter ist und sich daher bei jeder Verletzung sehr vorsehen muss. Jemand schickt ihm mit der Post eine Art Falle mit einem scharfkantigen Gegenstand, und so ist Douglas gewarnt, dass man ihm nach dem Leben trachtet. Am Ende jedoch fällt er auf seine ehemalige Freundin herein, die vorgibt, sich wieder mit ihm versöhnen zu wollen.
Der Titel verrät leider bereits das Ende der Geschichte, sodass die Spannung sich nur darauf bezieht, auf welche Weise der Schriftsteller wohl sterben wird …
»Wake for the Living«
(September 1947 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder, unter dem Titel »The Coffin« in: Dark Carnival und The Stories of Ray Bradbury; dt. »Totenwache für einen Lebenden«)
Der Erfinder Charles Braling ist ein alter Mann und hat aufgrund einer Krankheit nicht mehr lange zu leben. Dennoch stellt er seine letzte Erfindung fertig,