Hardy Kettlitz

Ray Bradbury - Poet des Raketenzeitalters


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vollkommen missglückt oder eventuell ein surreales Meisterwerk ist. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Text kompletter Mumpitz, die stilistische Umsetzung lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Bradbury hat Mitte der 40er-Jahre deutlich bessere Texte verfasst, andererseits lässt die Geschichte der Achttagemenschen viel Raum für Interpretationen und Spekulationen. Vermutlich war das auch die Absicht des Autors, obwohl er sich sicherlich bewusst war, dass er für eines der eher simplen Pulp-Magazine schreibt.

      (Oktober 1946 in MADEMOISELLE)

      Diese Geschichte wurde später in den Roman From the Dust Returned integriert. Lesen Sie dazu Kapitel 9.1.

      (November 1946 in WEIRD TALES, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales, Dark Carnival und The Small Assassin; dt. »Spielen wir ›Gift‹«)

      Mr. Howard, der eigentlich Lehrer von Beruf ist, kann Kinder nicht ausstehen. Er misstraut ihnen und hat sie schon als »Invasoren aus einer anderen Dimension« bezeichnet. Als ein paar Kinder an der Straße spielen, fragt er sie, was sie dort tun. Sie sagen, sie spielen »Gift« und springen von einer Gehwegplatte zur anderen. Einige Platten tragen einen Namen, und die Kinder behaupten, dass darunter jeweils ein Toter liegt. Wer die falsche Platte betritt, ist vergiftet. Howard jagt die Kinder weg, ebenso ein Mädchen, das »Himmel und Erde« spielt; er bezeichnet sie als Hexe und ihre Kreidezeichen auf der Erde als Pentagramme. Einige Tage später werfen Jungen etwas gegen Howards Fenster, und als er sie verfolgt, stürzt er in eine Fallgrube. Niemand weiß, was aus Mr. Howard geworden ist, aber es gibt auf dem Gehweg eine Platte, die nun die unscheinbare Beschriftung »Mr. Howard – R. I. P.« trägt.

      Erstaunlicherweise sind die Kinder in dieser Geschichte einmal nicht die Sympathieträger. Ein typisches Bradbury-Thema ist es trotzdem, denn er mystifiziert hier die Kindheit als etwas Außergewöhnliches und Fremdartiges, dem die Erwachsenen kein Verständnis entgegenbringen können.

      Die Geschichte wurde für die Serie THE RAY BRADBURY THEATER verfilmt.

      3.2 – Erzählungen 1947

      »The Handler«

      (Januar 1947 in WEIRD TALES, enthalten in Dark Carnival, Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales und The Small Assassin; dt. »Ausgleichende Gerechtigkeit« bzw. »Mr. Benedicts Ende«)

      Mr. Benedict ist Bestattungsunternehmer und ein sehr zurückgezogen lebender Mann. Wenn er anderen aus seiner Stadt begegnet, versucht er so zurückhaltend und unsichtbar wie möglich zu sein, gibt anderen immer recht und wird deshalb oft auf unverschämte Art behandelt. Doch wenn er in seinem Bestattungsunternehmen mit den Leichen der Verstorbenen allein ist, dann zeigt er ihnen, was er tatsächlich von ihnen hält. Der dicken Mrs. Shellmund, die ihm gegenüber immer besonders herablassend war, nimmt er das Gehirn heraus und füllt ihren Kopf mit Süßigkeiten. Dem rassistischen Mr. Wren pumpt er das Blut aus dem Körper und füllt die Adern mit schwarzer Tinte, sodass sein ganzer Körper schwarz wird. Und dem unglaublich gut aussehenden Mr. Worth trennt er den Kopf ab und friert den Körper gesondert ein, um später selbst mit diesem schönen Körper begraben zu werden, weil Mr. Benedict ziemlich unattraktiv ist.

      Mr. Blythe hingegen, der bereits zweimal für scheintot gehalten wurde, erwacht in der Leichenhalle und wird Zeuge von Mr. Benedicts Untaten. Das kann Benedict nicht zulassen und tötet Blythe mit einer Spritze. Doch bevor Blythe verstirbt, stößt er einen Hilferuf an die anderen Toten aus, die von Benedict geschändet wurden.

      In der Nacht hören die Nachbarn des Bestattungsunternehmens einen markerschütternden Schrei, und am nächsten Tag ist Benedict verschwunden. Dafür steht auf jedem Grabstein des Friedhofes mit zittrigen Fingernägeln in das Moos geritzt der Name ›Mr. Benedict‹.

      Die Erzählung ist sehr drastisch und plakativ. Gerade deshalb eignete sie sich für die Verfilmung in der Serie THE RAY BRADBURY THEATER, in der Hauptrolle mit einem überragend guten Michael J. Pollard, der vielen sicherlich für seine Oscar-gekrönte Nebenrolle in Bonnie and Clyde in Erinnerung ist.

      (März 1947 in HARPER’S, enthalten in Dark Carnival, The Small Assassin und The Stories of Ray Bradbury; dt. »Der Mann oben« bzw. »Der Mann droben« bzw. »Der Untermieter«)

      Die Geschichte spielt 1927, und der elfjährige Douglas lebt bei seinen Großeltern, die einzelne Zimmer des großen Hauses vermieten. Eines Tages zieht ein Mann namens Koberman ein, der Douglas unheimlich ist. Koberman ist immer sehr ernst, und er isst mit seinem eigenen Holzbesteck, nicht mit dem Silberbesteck der Großeltern. Außerdem schläft Koberman den ganzen Tag und geht erst nach Sonnenuntergang aus. Beim Abendbrot unterhalten sich die Erwachsenen darüber, dass mehrere junge Frauen verschwunden sind oder tot aufgefunden wurden. Douglas glaubt, dass Koberman ein Vampir ist, und am Ende schafft er es mithilfe seiner ersparten Silbermünzen, den unheimlichen Mann zur Strecke zu bringen.

      Für die Verfilmung als Folge der Serie THE RAY BRADBURY THEATER wurde die Handlung ins Paris der 1980er-Jahre verlegt.

      »Rocket Summer« (Frühjahr 1947 in PLANET STORIES) ist ein anderer Text als die gleichnamige Einleitung zu The Martian Chronicles. Die hier so benannte Geschichte wurde allerdings später nicht nachgedruckt und auch nicht übersetzt. Das gilt ebenfalls für »Tomorrow and Tomorrow« (gemeinsam mit Leigh Brackett [ungenannt]; Mai 1947 in FANTASTIC ADVENTURES), »Interim« (Juli 1947 in WEIRD TALES, enthalten in Dark Carnival) und »The Irritated People« (Dezember 1947 in THRILLING WONDER STORIES).

      (Mai 1947 in MADEMOISELLE, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales, Dark Carnival und The Small Assassin; dt. »Die Zisterne«)

      Die beiden älteren Schwestern Anna und Juliet sitzen an einem dunklen Regennachmittag in ihrem Wohnzimmer. Anna betrachtet die Straße und fragt ihre Schwester, ob es nicht schön wäre, unter der Stadt in der Zisterne zu sein. Juliet hält ihre Schwester für verrückt, aber da erzählt Anna von einem Traum den sie hatte: Ein Liebespaar, beide tot, treibt durch die Zisterne; das Regenwasser spült die beiden zueinander, gemeinsam treiben sie durch die Kanalisation und unter der Stadt hinaus Richtung Meer. Am Ende der Geschichte wird Anna klar, dass der tote Mann unter der Stadt ihr ehemaliger Freund Frank sein muss, der vor fünf Jahren verschwunden ist und mit dem sie nicht zusammenkam, weil Franks Mutter etwas gegen die Verbindung hatte. Da verlässt Anna das Haus, als ihre Schwester kurz eingenickt ist, und man hört nur noch das Klappen eines Gullydeckels.

      Die Schilderung der Leichen in der Kanalisation erfolgt keineswegs grauenhaft, sondern sehr romantisch und mit poetischen Bildern durchsetzt, was sicher auch dem Medium angemessen ist, in dem die Erzählung erschien. Vielleicht hätte Bradbury andere Formulierungen gewählt, wenn der Text in WEIRD TALES erschienen wäre.

      (Herbst 1947 in TOUCHSTONE, enthalten in The Machineries of Joy; dt. »El Dia de Muerte«)

      Der kleine Junge Raimundo erlebt voller Aufregung den berühmten und etwas unheimlichen mexikanischen Feiertag der Toten. Alle Menschen sind auf der Straße, es gibt eine große Prozession, Stierkämpfe und Süßigkeiten in Form von Zuckerschädeln. Eine Handlung hat dieser Text nicht, stattdessen schildert der Autor farbig und kraftvoll das lebenslustige Fest der Toten.

      Nur ein Jahr später griff Bradbury das Thema in »The Candy Skull« neu auf und schrieb damit einen Krimi für das Magazin DIME MYSTERY. Viele Motive finden sich auch in der Erzählung »The Next in Line«, die ebenfalls 1947 in Dark Carnival erschienen ist. Bradbury verarbeitete in all diesen Mexiko-Geschichten seine eigenen Erlebnisse während seiner Reise durch das Nachbarland.

      (Erstveröffentlichung als »Interim«, Herbst 1947 in EPOCH, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales und One More for the Road; nicht