Arne Burchartz

Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter


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S. 44). Von hier aus wird es dem Kind möglich, zwischen dem mentalen Funktionieren der Mutter und seinem eigenen Funktionieren Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erkennen. Dies ermöglicht dem Kind eine zunehmende Subjekt-Objekt-Differenzierung und eine wachsende Fähigkeit zur Affektregulierung. Dabei darf die Affektspiegelung der Mutter nicht zu nah am Affekt des Kindes sein – sonst erfährt das Kind keine Beruhigung und kann eigene und fremde Affekte nicht unterscheiden. Dies wird durch eine »Markierung« der Spiegelung erreicht – Mütter bedienen sich meist intuitiv einer »Ammensprache«, welche diesen Unterschied markiert. Die Affektspiegelung darf aber auch nicht zu weit von dem Affekt des Kindes entfernt sein, sonst erfolgt ebenso keine Regulation und das Kind wird von fremden Affekten überschwemmt und schlimmstenfalls traumatisiert.

      Es versteht sich, dass eine sichere Bindung die Mentalisierungsfähigkeit fördert. Darin eingebettet geht die Mentalisierung aus sozialen Prozessen hervor, im Wesentlichen sind dies das Als-Ob-Spiel, das Sprechen und die Peergruppen-Interaktion (Fonagy et al. 2004, S. 55 ff.).

      Die Förderung der Mentalisierungsfunktion ist heute ein zentraler Bestandteil psychodynamischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapien (Diez Grieser und Müller 2019) (image Kap. 5).

      Merke

      Mentalisierung entsteht im frühen Austausch mit den primären Objekten und ist Grundlage für Subjekt-Objekt-Differenzierung, Affektsteuerung und antizipatorische Fähigkeiten. Sie steht in Wechselwirkung mit der sozialen Umwelt.

      2.16 Die Entwicklung der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie im Nachkriegsdeutschland

      1947 wurde in Zusammenarbeit mit der wiedergegründeten DPG und dem Schulamt Berlin eine Ausbildung zum »Psychagogen« etabliert. Psychagogen sollten Erziehungsbetreuer sein, die schwierigen Kindern und ihren Eltern zur Harmonisierung der Auffälligkeiten verhelfen sollten. Eine eigentliche analytische Therapie war dabei nicht beabsichtigt; die damaligen Vorstellungen erinnern eher an einen Rückgriff auf die Kathartische Methode, mit Kindern modifiziert durch das Spiel. Es war ein Versuch, dem Problem der massenhaften Traumatisierung und Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen infolge von Krieg, Flucht, Vertreibung und mannigfachen Verlusten durch eine bessere Anpassung zu begegnen. Konfliktabwehr stand im Vordergrund, nicht die Durcharbeitung der Psychodynamik im Rahmen der Übertragung. Nach Berlin kamen weitere Ausbildungsinstitute hinzu. 1953 wurde die »Vereinigung Deutscher Psychagogen« (VDP) gegründet, in der sich schon bald Unzufriedenheit über die Bezeichnung bemerkbar machte, die der inhaltlichen analytischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht entsprach. Aus dem Verband gingen Initiativen für die gemeinsame Formulierung von Grundanforderungen und verbindlichen Richtlinien für Zulassung, Ausbildung und Prüfung aus, die zur Gründung der »Ständigen Konferenz der Ausbildungsstätten für Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in der Bundesrepublik Deutschland« (StäKo) führten. Diese sicherte Standards, welche die Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie als wissenschaftliches Heilverfahren etablierte; 1971 wurde es Teil der kassenärztlichen Versorgung. 1975 wurde aus der VDP die »Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten« (VAKJP) (image Kap. 12). Eine ausführliche Darstellung in: Molitor (2014).

      In der DDR wurde die Kinderpsychotherapie als ein Zweig der Kinderneuropsychiatrie begriffen – von psychodynamischem Gedankengut weit entfernt. Die Psychoanalyse war als »bürgerliche Wissenschaft« suspekt (Maaz 2011). Eine Ausnahme bildete die Kinderpsychotherapie im Haus der Gesundheit Berlin, die sich u. a. an Harald Schultz-Hencke und Annemarie Dührssen orientierte (Geyer 2011). Hier wirkte auch »die einzige Psychagogin in der DDR«, Edelgard Koeppe (Ludwig-Körner 2000).

      Eine Kinderanalyse nach den Konzepten der IPV ist inzwischen in Deutschland so gut wie ausgeschlossen. Erstens kommen die allermeisten analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten bisher aus pädagogischen Berufen und dürfen damit keine Erwachsenen behandeln. Zweitens ist die Durchführung einer 4–5 stündigen Analyse mit Kindern aus lebenspraktischen Gründen fast unmöglich – die Kinderanalyse würde sich bereits in der Ausbildung auf einen verschwindend kleinen Patientenkreis reduzieren, die große Masse der psychisch kranken Kinder könnte niemals von einer analytischen Behandlung profitieren. Es bleibt ein tragisches Ergebnis geschichtlicher Umstände, dass der fruchtbaren kinderanalytischen Arbeit im Nachkriegsdeutschland die internationale Anerkennung verwehrt bleibt – dabei scheint nicht allein der Einschnitt der Naziherrschaft eine Rolle zu spielen, sondern auch ein zäher, mehr oder weniger ausgesprochener Vorbehalt in Teilen der psychoanalytischen Community, nur wer (auch) Erwachsene analysiere, könne ein »vollwertiger« Analytiker sein.

      Merke

      In Westdeutschland entwickelte sich die psychodynamische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie aus dem Beruf des »Psychagogen«, in der DDR spielte sie kaum eine Rolle. Eine Anerkennung durch die IPV erfuhr die kinderanalytische Arbeit in Deutschland bisher nicht.

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