sie durch familiäre Umstände nach Budapest, wo sie eine Analyse bei Sandor Ferenczi absolvierte. Ermutigt durch Ferenczi begann sie schon bald, sich für die Kinderanalyse zu interessieren und analysierte ihren Sohn Erich. Dass man in den Anfängen der Kinderanalyse die neuentdeckten Möglichkeiten auch seinen eigenen Kindern zukommen lassen wollte, war nicht ungewöhnlich; aus heutiger Sicht ist das allerdings problematisch und wäre ein Kunstfehler. Dabei entwickelte sie eine ausgearbeitete Spieltechnik und eine spezifische Form der Deutung. »Das Kind drückte von Anfang an seine Phantasien und Ängste hauptsächlich im Spiel aus, während ich beständig deutete, mit dem Erfolg, daß neues Material im Spiele auftauchte« (Klein 1962, S. 153). Das Spiel wurde so zu einem vollgültigen Äquivalent zur freien Assoziation und zum Traum. Klein war überzeugt, dass auch kleine Kinder eine vollständige Übertragung auf den Analytiker richten. Das Kind richtet unbewusste Fantasien – ein Korrelat zu Triebregungen – auf Aspekte des »Objekts«, welches das Kind zunächst nicht als Ganzes wahrnimmt (»Teilobjekte«). Sie erkannte, dass sich in der Symbolik des Spiels die unbewussten Triebkonflikte darstellen, die über die Deutung einer Bearbeitung zugänglich werden. Im Zentrum ihrer Deutungsarbeit stand damit nicht das Ich, sondern triebmotivierte Impulse, weshalb sie auch auf jegliche pädagogische Einflussnahme verzichtete. Damit wird der Psyche des Kindes von Anfang an eine eigene Aktivität (und nicht allein eine Reaktion auf erzieherische Haltungen der Primärobjekte) zugeschrieben.
Damit erfuhr auch der Begriff der Übertragung eine Neuausrichtung. Im Wesentlichen beruht sie nach Klein auf projektiven und introjektiven Prozessen. Die grundlegenden ambivalenten Strebungen der Liebe und des destruktiven Hasses, die das Kind auf das Objekt richtet, standen im Zentrum ihres Verstehens. Die Konflikte aus dem Ödipuskomplex siedelte sie viel früher in der Entwicklung des infantilen Seelenlebens an.
Nach Kleins Auffassung erlebt das Kind von Beginn an sowohl Versagungen als auch liebevolle Zuwendung von den primären Objekten. In der sehr körpernahen Sprache von Klein gibt es in der Wahrnehmung des Kindes eine »gute Brust«, die ernährt, hält und liebt, und eine »böse Brust«, die versagt, vorenthält und frustriert und damit als verfolgend erlebt wird. Entsprechend richtet das Kind alle destruktiven Aggressionen auf die »böse Brust« und libidinöse Strebungen auf die »gute Brust«. Beides muss voneinander im Sinne einer Spaltung getrennt gehalten werden, um nicht die versorgende gute Brust mit der Destruktivität zu zerstören. Daraus allerdings entstehen archaische Ängste, denn die Projektion der Destruktivität in die böse Brust zieht paranoide Fantasien nach sich, sie könnte von dort in Form von Rache wieder zum Kind zurückkehren – was wiederum die Spaltung erzwingt. Diese Kreisläufe aus Projektion und (Re)Introjektion nannte Klein die »paranoid-schizoide Position«. Sie wird überwunden, wenn mit zunehmender Reifung das Kind gewahr wird, dass seine destruktiven und libidinösen Regungen auf das gleiche, nun ganzheitlich wahrgenommene Objekt gerichtet sind. Es entstehen Angst und Schuldgefühl, auch die gute Brust zu zerstören und ein Bedauern, eine Sorge um das Objekt und ein Bedürfnis nach Wiedergutmachung – die »depressive Position« – eine kreative Leistung des reifenden Ichs. Letztlich oszillieren unsere Objektbeziehungen lebenslang zwischen diesen beiden Positionen. (Klein 2000 [1946, 1948]).
Dieser Konzeptualisierung verdanken wir grundlegende Erkenntnisse über die frühen Abwehrmechanismen der Spaltung, der Projektion und der projektiven Identifizierung, über Frühformen des Ödipuskomplexes, über destruktiven Neid und – in der depressiven Position – über Dankbarkeit (Klein 2000 [1957]). Vor allem das Verbalisieren früher Ängste und Triebwünsche sind heute noch wichtige Parameter in der Behandlung. Die zentrale Stellung des Spiels und damit auch der mit symbolischer Bedeutung besetzten Spielsachen im Behandlungsraum des Kindertherapeuten ist bis heute unumstritten.
Melanie Klein hat den Boden bereitet für die Objektbeziehungspsychologie, pars pro toto seien hier das Container-Contained-Modell von Wilfred Bion genannt, das Symbolverständnis von Hanna Segal, die Untersuchung der psychischen Bedeutung des Körperkontaktes und der Haut in der frühen Entwicklung durch Esther Bick. Insbesondere bei der Behandlung früher Störungen haben die kleinianischen Konzepte große Bedeutung.
1921, von Karl Abraham ermutigt, siedelte Melanie Klein nach Berlin über, wo sie eine zweite Analyse bei Abraham unternahm und am Berliner Psychoanalytischen Institut ihre Forschungen und Publikationen fortsetzte (Cycon 1995). Nach dessen Tod im Jahr 1925 übersiedelte sie auf Einladung von Ernest Jones 1926 nach London, wo sie sich in der Ausbildung und dem wissenschaftlichen Austausch engagierte.
Die fundamentalen Unterschiede zwischen den Konzepten Anna Freuds und Melanie Kleins führten nach der Flucht der Freuds nach London 1938 und der Aufnahme Anna Freuds als Lehranalytikerin in die British Psychoanalytic Society ab 1941 zu einer heftigen Kontroverse, die über die Kinderanalyse hinausging und die britische psychoanalytische Vereinigung an den Rand einer Spaltung brachte, wobei sich eine dritte »Middle Group« gründete (Kind und Steiner 1991/2000).
Merke
Aus der »Zürcher Schule« gingen wesentliche Entwicklungen der psychoanalytischen Pädagogik, der Schul- und Heimpädagogik und der Erziehungsberatung hervor. Erst die »Wiener Schule« (H. Hug-Hellmut, A. Freud, M. Klein) erarbeitete eine therapeutische Kinderanalyse, in der das Spiel, die Übertragung und die Deutung als therapeutisches Agens im Mittelpunkt standen.
Vertiefung
Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Pädagogik und Psychoanalyse?
2.8 Die Kinderanalyse in Deutschland
Erfuhr die Kinderanalyse in Deutschland am Berliner psychoanalytischen Institut seit den 1920er Jahren insbesondere durch Max Eitingon, der 1923 Ausbildungsrichtlinien formulierte, Karl Abraham und Melanie Klein einen Aufschwung, so verlor ab 1933 »mit der Ausbreitung des Nationalsozialismus, der Emigration jüdischer Mitglieder bzw. Kinderanalytiker und der immer schwächer werdenden Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) die junge, aufstrebende Bewegung – wie Anna Freud die Pionierarbeit der Kinderanalyse nannte – zunehmend an Halt.« (Müller-Brühn 2003, S. 97, vgl. auch Lockot 1994, S. 39 ff.). Heftige Auseinandersetzungen innerhalb der DPG, wie man sich gegenüber dem Anpassungsdruck der Gleichschaltung und zu dem neugegründeten »Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie« unter Leitung von Mathias Heinrich Göring verhalten sollte, führte schließlich 1938 zu deren Auflösung. Der unrühmliche Versuch einer »Rettung« der Psychoanalyse durch den Ausschluss jüdischer Mitglieder 1935 war gescheitert. Damit war auch die Kinderanalyse in Deutschland nicht mehr repräsentiert, die Weiterentwicklung erfolgte nun für lange Zeit in England, den USA, den Niederlanden durch Jeanne Lampl-de Groot, die eng mit Anna Freud zusammenarbeitete, und Frankreich, insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, durch Françoise Dolto, Serge Lebovici und René Diatkine (Holder 2002, S. 43 f.). In den USA waren es v. a. die Emigranten, die das Interesse an der Kinderanalyse in die bereits bestehenden psychoanalytischen Institutionen einbrachten; erst ab den 1950er Jahren etablierten sich Ausbildungsgänge nach Vorbild der Hampstead Klinik.
2.9 Die Britischen Schulen
Kinderanalytikerinnen und Kinderanalytikern – seit 1952 durch formelle Ausbildungskurse an der Hampstead-Klinik ausgebildet (