Arne Burchartz

Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter


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Behandlung lässt sich auch verstehen als ein Stück psychoanalytischer Pädagogik: In ihr wurde versucht, durch die Beeinflussung der elterlichen Erziehungshaltung und anderer pädagogischer Maßnahmen der neurotischen Entwicklung bei Kindern vorzubeugen bzw. sie zu korrigieren.

      Freud war trotz dieser erfolgreichen Behandlung skeptisch gegenüber Analysen mit Kindern. In seiner Einleitung der Fallgeschichte schreibt er: »…die Sachkenntnis, vermöge welcher der Vater die Äußerungen seines 5jährigen Sohnes zu deuten verstand, hätte sich nicht ersetzen lassen; die technischen Schwierigkeiten einer Psychoanalyse in so zartem Alter wären unüberwindbar geblieben.« Die Ausarbeitung einer Psychoanalyse von Kindern und Jugendlichen war späteren Nachfolgerinnen und Nachfolgern vorbehalten.

      Merke

      Bereits S. Freud behandelte Kinder und Jugendliche nach psychoanalytischen Prinzipien. Gleichwohl war er skeptisch, es standen ihm noch keine ausgearbeiteten Konzepte für Kinderbehandlungen zur Verfügung.

      2.6 Die »Züricher Schule«

      Oskar Pfister (1873–1956, Pfarrer und Psychologe in Zürich), sozialpolitisch engagiert, nahm 1909 Kontakt mit Freud auf. Im selben Jahr besuchte er Freud und seine Familie in der Berggasse (Alt 2016, S. 485). Fortan standen beide in reger Korrespondenz. Pfister hatte wesentlichen Anteil an der Etablierung der Psychoanalyse in der Schweiz, er wandte die Psychoanalyse in seiner Arbeit mit Jugendlichen an. Es ging ihm um psychoanalytisch fundierte pädagogische Einflussnahme, um eine »Nacherziehung des gestörten Jugendlichen« (Biermann 1971, S. 3). In Folge hatte er zusammen mit anderen Pädagogen wesentlichen Anteil an der Begründung einer psychoanalytischen Pädagogik, zu nennen sind hier Ernst Schneider (1878–1957, Psychoanalytiker, Direktor eines Lehrerseminars) und Hans Zulliger (1893–1965, Volksschullehrer und Kinderanalytiker), der bedeutende Arbeiten zu Kinderbehandlungen beitrug (1952, 1961), wobei er vor allem dem kindlichen Spiel eine heilende Wirkung zuschrieb. Pfister, Schneider, Zulliger waren zusammen mit Anna Freud u. a. Mitarbeitern Herausgeber der »Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik« (1926–1938). Die Erkenntnis, dass der damals durchgängige autoritäre Erziehungsstil für neurotische Fehlentwicklungen und Erkrankungen in Kindheit und Jugend verantwortlich war, führte zu zahlreichen Reformideen, die auch praktisch umgesetzt wurden. August Aichhorn (1848–1949, Pädagoge und Psychoanalytiker) (1925), Siegfried Bernfeld (1892–1953, Pädagoge und Psychoanalytiker) (1970; 1979 [1925]), Anna Freud (1930) sind hier zu nennen. Mit Unterstützung durch Anna Freud gründeten Dorothy Burlingham und Eva Rosenfeld 1927 im Wiener Bezirk Hietzing die Burlingham-Rosenfeld-Schule, in der die Schüler nach psychoanalytisch-pädagogischen Prinzipien unterrichtet wurde, u. a. auch von Joan und Erik H. Erikson und Peter Blos. August Aichhorn war ab 1931 in der Schulleitung. Die Schule bestand bis 1932 oder 1933 (es gibt unterschiedliche Angaben).

      Unter dem Einfluss Alfred Adlers (1870–1937), Psychoanalytiker und Begründer der von Freud abweichenden »Individualpsychologie«, und August Aichhorns wurden in Wien eine große Zahl von Erziehungsberatungsstellen etabliert, deren Grundidee ein prophylaktischer Ansatz war: So sollten neurotischen Fehlentwicklungen durch den rechtzeitigen Einfluss auf Eltern vorgebeugt werden. Auf Adler geht auch die Gründung psychoanalytischer Kindergärten v. a. für Arbeiterkinder zurück. Aichhorn und Bernfeld engagierten sich in der Fürsorge- und Heimerziehung.

      2.7 Die »Wiener Schule«

      Die psychoanalytisch-pädagogischen Ansätze konnten allerdings zwei Schwierigkeiten, die sich einer Psychoanalyse des Kindes entgegensetzten, noch nicht lösen:

      Kinder assoziieren nicht (Ferenczi 1913). Damit fällt eine wesentliche Voraussetzung für die Psychoanalyse weg, die bei Erwachsenen Ausgangspunkt für die analytische Arbeit ist.

      Kinder kommen nicht aus eigenem Antrieb in eine Psychoanalyse, sie haben meist keinen »Leidensdruck«. Wie führt man sie an die therapeutische Arbeit heran?

      2.7.1 Hermine Hug-Hellmuth

      Als erste Kinderanalytikerin gilt Hermine Hug-Hellmuth (1871–1924). Sie führte das Spiel des Kindes als therapeutisches Medium anstelle der freien Assoziation ein. Das Spiel galt ihr auch als Äquivalent zum Traum. Im Vordergrund ihrer Arbeit stand das empathische Verstehen des Kindes und seiner seelischen Regungen, das bedeutete auch, dass die Grundlage der kinderanalytischen Arbeit eine »positive emotionale Beziehung zwischen Kind und Therapeut« (Biermann 1971, S. 4) sein muss. Für unerlässlich hielt sie auch die Arbeit mit den Eltern. Die Therapie mit einem Kind hatte für Hug-Hellmut auch eine pädagogische Dimension.

      2.7.2 Anna Freud

      Eingehend befasste sich Anna Freud (1895–1982) mit der Kinderanalyse (Holder 2002, S. 32 ff.). Ihre grundlegenden Erkenntnisse legte sie in vier Vorträgen vor der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung vor (1926 [1927]), welche sie als »Einführung in die Technik der Kinderanalyse« 1927 veröffentlichte. Der Schwierigkeit der mangelnden Krankheitseinsicht und des fehlenden Heilungswillens begegnete sie, indem sie zur Einleitung einer Kinderanalyse umfangreiche pädagogische Maßnahmen ergriff, um das Kind an die Analyse heranzuführen. Auch für sie war der Aufbau einer positiven emotionalen Atmosphäre zwischen Kind und Analytiker entscheidend. Neben der Analyse von Träumen regte sie die Kinder zum Malen, Zeichnen und zu symbolischem Spiel und zur Inszenierung im Rollenspiel an. Das Spielen wurde durch die Deutung und das Verbalisieren der inneren Vorgänge begleitet mit dem Ziel, unbewusste Vorgänge ins Bewusstsein zu bringen und damit dem Ich zur Verfügung zu stellen, und zwar mithilfe des Wortes – wobei sich zugleich im Verbalisieren der Sekundärvorgang und damit Denkprozesse überhaupt erst bilden. (Freud 1965, S. 2153). Darin entwickelt sich die Fähigkeit zur Realitätsprüfung und zur Triebbeherrschung.

      Anna Freud vertrat die Ansicht, dass Kinder zwar einzelne Übertragungselemente in die Beziehung zum Analytiker eintragen, jedoch keine umfängliche Übertragungsneurose ausbilden. Die Beziehungsmuster zu ihren primären Bezugspersonen sind noch wenig internalisiert. Der Analytiker müsse noch Liebe und Hass mit den Eltern teilen.

      Später relativierte sie diese Ansicht. Ist die anfängliche Beziehung zum Analytiker noch realistisch, so mengen sich mehr und mehr libidinöse und aggressive Elemente darein, »die aus der verdrängten und von der Analyse wiederbelebten Kindheit des Patienten stammen«. (Freud 1965, S. 2158). Damit wandelt sich der Begriff der Übertragung: Übertragen werden v. a. Affekte aus den Beziehungen des Kindes, die analytische Arbeit konzentrierte sich auf die Abwehranalyse.

      Mit ihrem bedeutenden Werk »Das Ich und die Abwehrmechanismen« (1936) gilt Anna Freud zusammen mit Heinz Hartmann als Begründerin der Ich-Psychologie.

      1938 siedelte die Familie Freud – erzwungen durch die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten – von Wien nach London über. Anna Freud setzte dort ihre klinische, lehrende und forschende Tätigkeit fort. Sie gründete zusammen mit Dorothy Burlingham die Hampstead Nurseries, in der Kriegskinder und Kriegswaisen betreut wurden. Zwei Veröffentlichungen gingen aus dieser Arbeit hervor: »Kriegskinder« (1942) und »Anstaltskinder« (1944 [1943]). Die 1952 aus den »Nurseries« hervorgehende »Hampstead Child Therapy Course and Clinic«, zugleich Lehr- und Forschungsinstitut, wurde zur Ausbildungsstätte von Kinderanalytikern (Holder 2002, S. 45 ff.). Ein Forschungsprogramm diente der systematischen Untersuchung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und deren Behandlung und erbrachte das »Hampstead-Profil« (Freud 1962, S. 1649 ff.; 1965, S. 2254 ff.) oder »Metapsychologisches Entwicklungsprofil« (heute als »Wiener Profil« aktualisiert), ein wichtiges diagnostisches Instrumentarium.

      Anna Freud betonte auch den entwicklungsfördernden Charakter der Kinderanalyse. Der Analytiker wird zu einem »Entwicklungsobjekt« (Hurry 2002, S. 43–88), mit dem das Kind eine spezifische Beziehungserfahrung macht, innerhalb derer blockierte Entwicklungen korrigiert und wiederaufgenommen werden können. Übertragungsobjekt und Beziehungssubjekt verschränken sich.

      2.7.3 Melanie Klein

      Die von Melanie Klein (1882–1960)