Arne Burchartz

Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter


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Psychoanalytiker) finden wir in seinem dritten Vortrag über »Probleme der psychoanalytischen Technik« folgende Bemerkungen:

      »Verschiedene Analytiker benehmen sich verschieden, und diese Verschiedenheit muß das Benehmen des Patienten beeinflussen.« (Fenichel 2001, S. 78). Er sieht in einer ängstlichen Kontrolle der Gegenübertragung eine Gefahr: »Die Angst vor ihr (der Gegenübertragung) kann den Analytiker zur Unterdrückung aller menschlicher Freiheiten bei den eigenen Reaktionen führen. … Der Patient muss sich auf das »Menschsein« des Analytikers immer verlassen können.« (Fenichel 2001, S. 79).

      Die Subjektivität des Analytikers ist eine Quelle eigener Übertragung auf den Patienten, auf die der Patient mit einer Gegenübertragung antwortet. »Der Analysand reagiert idiosynkratisch auf die spezifischen Eigenheiten des Analytikers« (Burchartz 2019a). So entsteht ein intersubjektiver Austausch, der zunächst unbewusst verläuft und sich nicht einfach kontrollieren lässt, zumal er sich in Bruchteilen von Sekunden mimisch, gestisch und in Stimme und Gestimmtheit vollzieht. Auch das Unbewusste des Analytikers ist diesem per definitionem nicht ohne Weiteres durchschaubar. Die psychoanalytische Arbeit besteht darin, dass zwei Subjekte sich zusammenschließen, um dieses interaktive Geschehen möglichst genau zu verstehen und auf seine Bedeutung hin zu untersuchen – vor dem Hintergrund des Lebenskontextes des Patienten. Schon Freud sprach von »Konstruktionen« in der Analyse (Freud 1937d). Psychoanalyse ist demnach nicht allein eine »Rekonstruktion« verdrängter Inhalte, sondern eine »Konstruktion« eines neuen Bedeutungszusammenhangs. Das gilt auch für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, wobei hier als Medium des Austausches besonders bei Kindern weniger die Sprache als vielmehr das Spiel zur Geltung kommt. In der »intersubjektiven Matrix« ereignen sich Begegnungen des »Sich-ineinander-Hineinversetzens«, in denen eine intensive und spontane Einsicht beider Beteiligten entsteht, ein »Gegenwartsmoment« (Stern 2018 [2005], S. 88 ff.).

      Ähnlich beschreibt der italienische Analytiker Antonio Ferro die psychoanalytische Situation als Feld, in dem sich wechselseitige projektive Identifizierungen ereignen. Dieses Feld gilt es gemeinsam zu erkunden. Ferro bezeichnet das, was sich in einer analytischen Sitzung unbewusst und bewusst konstelliert, als »Figuren«. Anknüpfend an Bion schreibt Ferro: »Das Ziel des analytischen Paares … besteht im Wesentlichen darin, die Gefühle, von denen beide erfüllt sind, mitzuteilen (im Allgemeinen, jedoch nicht ausschließlich, durch Worte). Die Figuren werden häufig in dieser Situation der Begegnung und durch die Begegnung dieser beiden psychischen Apparate ›erschaffen‹« (Ferro 2003, S. 27). Der Therapeut steht also nicht außerhalb des Feldes, er ist Subjekt eines gemeinsamen Narrativs. »Ich verstehe unter Narration jenes Vorgehen des Analytikers während der Therapie, in dem er ganz und gar dialogisch und ohne besondere, durch Deutungen gesetzte Zäsuren gemeinsam mit dem Patienten ›einen Sinn konstruiert‹« (Ferro 2009, S. 10). Damit ist ein Anschluss an den Konstruktivismus hergestellt (Freud 1937d).

      Merke

      Die relationale Psychoanalyse geht von wechselseitigen Übertragungen und Gegenübertragungen in der psychoanalytischen Situation aus. Aus deren Analyse ergibt sich eine Neu-Konstruktion von Bedeutungszusammenhängen.

      2.13 Triangulierung

      In den Objektbeziehungstheorien wird das Werden der Persönlichkeit in einer Zwei-Personen-Perspektive gefasst – entscheidend ist die (frühe) psycho-physische Beziehungsmatrix zwischen Mutter und Kind. Kommt dem Vater bei Freud noch eine wesentliche psychische strukturbildende Funktion zu, so entschwindet er schon bald nach ihm, übrig bleiben dyadische Muster. Entsprechendes bildet sich auch in der Entwicklungspsychologie ab. Eine gewisse Relativierung enthielt stets die Kinderpsychotherapie, hat man es doch hier zwangsläufig mit (mindestens) einer realen dritten Instanz zu tun – den Eltern.

      Ernest L. Abelin, Schweizer Psychiater, Mitarbeiter der Forschungsgruppe um Margret Mahler (image Kap. 2.14, image Kap. 4.2), knüpft an deren Betonung der Bedeutung des Vaters für die Separationsphase um den 18. Lebensmonat an. In Verbindung mit den Forschungsarbeiten von Jean Piaget und René Spitz entwickelt er das Konzept der Triangulierung. Es besagt, dass sich das Kind nicht allein auf die beiden Eltern gesondert bezieht, vielmehr rückt die Wahrnehmung der Eltern als liebendes Paar in den Mittelpunkt. Damit entsteht ein dreidimensionaler psychischer Raum. Das Kind erlebt sich als partiell ausgeschlossen aus der libidinösen Beziehung der Eltern untereinander. Dies verhilft dem Kind zu einer autonomen Selbstentwicklung, »aber es braucht natürlich auch vor und nach dem Ausgeschlossen-Sein von der intimen Zweisamkeit der Eltern ihren Trost« (Garstick 2019, S. 32). Damit wird eine Identifikation mit dem Dritten ermöglicht sowie die Einnahme einer reflektierenden Haltung dem Elternpaar gegenüber, ohne sich selbst aufzugeben – »eine Grundlage der Mentalisierungs- und Lernfähigkeit« (Dammasch 2008, S. 31).

      Das Konzept der Triangulierung findet sich auch in den Funktionen, die Jaques Lacan dem Vater, besser der Väterlichkeit zuweist: der reale Vater, der imaginäre Vater und der symbolische Vater (Müller-Pozzi 2015, S. 314 ff.). Die »strukturale Psychoanalyse« betont die grundlegende triadische Struktur der symbolischen Ordnung, in die das Individuum und die dyadischen Beziehungen eingebettet sind (Lang 2011). Bereits vorgeburtlich besteht eine solche »strukturale Triade«. Der reale Vater ermöglicht und erzwingt von Beginn an eine andere Erfahrung des Kindes. Er tut dies in Verbindung zur Mutter, die ihn beim Kind als Dritten einführt – eine »primordiale Symbolisierung durch die Mutter«. Das führt zu Konflikten, denn der Vater begrenzt den exklusiven Besitzanspruch des Kindes auf die Mutter. Mit dem »Nein-des-Vaters« entstehen nun im Kind imaginär alle Verwicklungen des Ödipuskomplexes, die unter dem Schutz der Triade sich entfalten. Ein zweites »Nein-des-Vaters« schließlich löst den Ödipuskomplex, setzt das Inzestverbot durch und weist dem Kind seinen Platz in der Generationenfolge zu. Der symbolische Vater repräsentiert die triadische Ordnung und eröffnet damit eine gesellschaftliche Dimension: Sein doppeltes Nein ist »ein Ja des Vaters: Indem er die eine verbietet, gibt er alle anderen frei.« (Müller-Pozzi 2015, S. 323). Der symbolische Vater ist eine Funktion des realen Vaters – das unterstreicht die Notwendigkeit einer real anwesenden Väterlichkeit.

      Die Triangulierung hilft dem Individuum, »Zwischenräume« zu erschaffen, wo eine individuelle Reifung möglich ist – eine aktive Auseinandersetzung mit der Welt der Objekte und Dinge anstatt einer unterwerfenden Anpassung an die psychophysischen Vorgaben eines Beziehungsobjekts. Dieser »Zwischenraum«, der sich in den äußeren Beziehungen konstelliert, wird internalisiert und bildet die Basis für stabile innere Objekte, für Trieb- und Affektrepräsentanzen und ermöglicht es dem reifenden Ich, zunehmend gekonnt zwischen Innen und Außen, zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu vermitteln und ich- und sozialverträgliche Abwehren zu bilden.

      Triangulierungsprozesse verlaufen bei Jungen und Mädchen unterschiedlich. Das hängt damit zusammen, dass der Junge schon früh entdeckt, dass er anders ist und zu einem anderen werden muss als die Mutter. Seine Geschlechtsentwicklung wird ganz entscheidend geprägt durch die Präsenz des Vaters (Hopf 2014). Das Mädchen hingegen kann sich lange mit der Mutter identifizieren und braucht den Vater als erstes gegengeschlechtliches libidinöses Objekt zur nicht-inzestuösen Bestätigung seiner erotischen Weiblichkeit (Seiffge-Krenke 2017).

      Für die psychodynamische Therapie mit Kindern und Jugendlichen ist die Triangulierung in dreierlei Hinsicht von Bedeutung:

      Erstens ist die »triadische Kompetenz« (v. Klitzing und Bürgin 2005; v. Klitzing und Stadelmann 2011; Göttken und v. Klitzing 2015) der Eltern ein entscheidender Prädiktor für eine gelingende Kindertherapie.

      Zweitens lässt sich die psychische Entwicklung anhand des Standes der Triangulierungskompetenz des Kindes beschreiben; also seiner Fähigkeit, zwischen Dyade und Triade zu changieren (sehr prägnant beschrieben in: Dammasch 2008, S. 24 ff., vgl. auch: Grieser 2011, 2015) – daraus ergeben sich Folgen für die Behandlungsplanung.

      Drittens