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Psychosoziale Beratung


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Nationalsozialisten, die alle Bereiche umfasst (Abel 1998). Als einzige Partei ist die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei erlaubt. Die allein verbleibende Gewerkschaft ist die Deutsche Arbeitsfront. Jugendverbände gehen in der Hitlerjugend auf (Müller 2003). »Die Umgestaltung der Wohlfahrtspflege im Sinne der NS-Ideologen erfolgte insbesondere durch die Gründung einer ›freien nationalsozialistischen Volkswohlfahrtsorganisation‹, abgekürzt: NSV« (Geib et al. 1994, 277ff.). Nicht mehr das Individuum mit eigenem Handlungsspielraum steht im Fokus, sondern das »Wohl der Gemeinschaft« (Abel 1998, 30), die Nützlichkeit und der Wert fürs Ganze sowie die Erziehung in »›nationalsozialistischem Geist‹« (Müller 2003, 269; Geib et al. 1994; Gröning 2010). Dies hat starke Auswirkungen auf die Beratungslandschaft, deren Inhalte und Ziele nun ebenfalls vorgegeben werden. Seit den 1930er Jahren arbeiten vermehrt Psychologen in Beratungseinrichtungen. Mit ihnen werden sowohl »der Bereich der psychologischen Messung und Diagnostik« als auch »psychotherapeutische (…) Verfahren« (beide Schröder 2007, 50, Hervorhebungen im Original) ausgeweitet. Beides wird genutzt, um »institutionelle (…) Hilfestellungen zu flankieren und die (…) Beratungsangebote theoretisch und methodisch zu fundieren« (a. a. O.). Die erste Gründungsphase und Institutionalisierung der Beratungseinrichtungen wird durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen (Großmaß 2007). Auch »die Tatsache, dass führende Theoretiker/innen (…) ins Exil gehen mussten, verhinderte (…) eine wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung der Beratung bis in die Nachkriegszeit hinein« (Sickendiek, Engel & Nestmann 2008, 25).

      Berufsberatung wandelt sich. Mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung ist ihr Verlauf ab 1935 nicht mehr ergebnisoffen. Vielmehr kommt es zu einer Lenkung durch die Reichsanstalt. In Abhängigkeit von zentral festgelegtem wirtschaftlichem und kriegsbedingtem Bedarf werden Arbeitsplätze zwangsweise zugeteilt (vgl. Krämer 2010; Gröning 2009; Gröning 2010). Nach einer 1938 erlassenen Anordnung müssen »(…) sämtliche Schulabgänger bei den zuständigen Arbeitsämtern gemeldet und Einstellungen von Lehrlingen, Praktikanten oder Volontären von diesen genehmigt werden« (Krämer 2001, 1101; Gröning 2010). Ab 1939 muss auch Kündigungen von Arbeitsämtern zugestimmt werden (Krämer 2010). Um für offene Stellen den passenden Arbeitnehmer zu finden, wird Berufsberatung noch mehr als zuvor von Eignungsdiagnostik, sogenannter »Psychotechnik«, bestimmt (Gröning 2009). Psychotechnik ist ein Vorläufer oder auch ein veralteter Begriff für Arbeitspsychologie (vgl. Gröning 2010). »Die Berufsberatung erlebt so den Konflikt zwischen Beratung und Berufslenkung wie auch den Konflikt zwischen personenzentrierter Beratung und funktionaler Diagnose, ein geradezu klassischer Konflikt im Arbeitsfeld Beratung« (Gröning 2010, 18). Während des Nationalsozialismus geht dieser Konflikt zugunsten von Diagnostik und daraus folgender Lenkung zu einem bestimmten Arbeitsfeld aus. Beratung im Sinne einer Unterstützung zur eigenen Entscheidungsfindung gibt es nicht mehr.

      Geburtenkontrolle widerspricht den nationalsozialistischen Zielen. Auch daher werden Sexualberatungsstellen und -institute ab 1933 verboten (Großmaß 2000; Gröning 2010). »Die deutsche Sexualreformbewegung wird zerschlagen« (Gröning 2010, 88). Eheberatungsstellen bestehen unter neuer Zielsetzung von Erb- und Rassenpflege weiter (vgl. Gröning 2009, Großmaß 2000). Das Zeugnis zur Ehefähigkeit wird zur Pflicht vor einer Hochzeit (vgl. Gröning 2009). Bei nachgewiesener Erbgesundheit können die Überprüften mit Privilegien rechnen. Umgekehrt können Kranke und Personen, die in ihren Anlagen vom Nationalsozialismus abgewertet werden, sanktioniert werden (ebd.). Im Fokus steht das »Volksganze (…)« (a. a. O., 112). In diesem Kontext wird alles bekämpft, was dem nationalsozialistischen Gedankengut entgegensteht, wie u. a. Homosexualität und Abtreibung. Durch eine zentrale »Erbgesundheitsdatei« (a. a. O., 111, zitiert nach Czarnowski 1991) kommt es zu einer totalen Überwachung. Eheberatungsstellen fungieren mit dem Auftrag »zur eugenischen Zwangsberatung« (Struck 2007, 1018).

      Auch Erziehungsberatung wird zentralisiert. »Die Jugendämter beschränken die EB-Arbeit weitestgehend auf die Diagnostik. Die freien Träger vertreten zum Teil noch therapeutische Ansätze. Die ›neuen‹ Aufgaben der Erziehungsberatung übernimmt die NSV (…)« (Abel 1998, 33). Ihr werden die meisten freien Träger zwangsweise angeschlossen. Alternativ bleibt die Schließung der Einrichtungen (Abel 1998). Erziehungsberatung bekommt »rassische und eugenische Selektionsaufgaben« (Sickendiek, Engel & Nestmann 2008, 25). Ein »umfangreiches Hilfs- und Kontrollsystem« (Geib et al. 1994, 278) entsteht, das hierarchisch auf drei Ebenen strukturiert ist. Während auf unterer und mittlerer Ebene Mitarbeiter der NSV als Einzelhelfer handeln, wird Erziehungsberatung als Institution allein auf Gau-Ebene umgesetzt (vgl. Geib et al. 1994; Abel 1998). Kinder und Jugendliche werden nach nationalsozialistischen Werten in Kategorien unterteilt (Gröning 2009). Nach den Vorstellungen des Dritten Reichs werden »erbgesunde« (Abel 1998, 33) als »wertvoll« (Gröning 2010, 65) eingestufte junge Menschen unterstützt und gefördert. Die anderen jedoch werden »›ausgeschieden‹ und nach Sterilisation der ›Bewahrung‹ übergeben (Bewahrung in kirchlichen Anstalten, Arbeitshäusern, später auch in Jugendschutzlagern)« (Geib et al. 1994, 279). Diese Kategorisierung wird von Psychologen vorgenommen, welche die Leitung der Beratungsstellen auf Gau-Ebene übernehmen. »Der psychologische Berufsstand gewinnt erst im Nationalsozialismus und konkret mit dem Aufbau der NSV an Bedeutung« (Abel 1998, 35). Im Nationalsozialismus hat daher auch die Arbeit in Erziehungsberatungsstellen nicht viel mit Beratung zu tun.

      1.1.4 Nachkriegszeit bis Ende 1980er Jahre

      Nach dem Zweiten Weltkrieg wird in Deutschland das Gesundheits- und Sozialsystem der Vorkriegszeit wiederaufgebaut, zunächst als »ein eher autoritäres Fürsorgesystem, in dem Beratung als normierende Lenkung verstanden wurde« (Großmaß 2007, 91), mit »konservativ-stabilisierende(n) Funktionen« (Großmaß 2000, 65). Dies ändert sich jedoch relativ rasch. In der Folge löst die »Phase psychotherapienaher Beratung (…) die testdiagnostische Phase und die teilweise tiefenpsychologischen Beratungsausrichtungen ab (…)« (Engel 2003, 224). Das medizinische Modell wird ab den 1960er Jahren zunehmend aufgeweicht und letztendlich vom psychosozialen Modell abgelöst (vgl. Sickendiek, Engel & Nestmann 2008). Die neue Beratungslandschaft wird von psychotherapeutischen Methoden geflutet (Großmaß 2000; Großmaß 2007). Zwischen den 1950er und 1970er Jahren entstehen vielfältige neue Beratungs- und Therapieansätze (McLeod 2004). Ihren Höhepunkt hat diese Entwicklung in den 1970er Jahren. Beratung orientiert sich an den Modellen der jeweils vorherrschenden Therapieschulen und passt sich an (Nestmann 2007; Sickendiek, Engel & Nestmann 2008). Eine Abgrenzung zwischen Beratung und Therapie fällt immer schwerer (Großmaß 2007). Dabei wird Beratung »(…) meist schulenübergreifend und pragmatisch-eklektisch gehandhabt« (Engel 2003, 225). Mit den neuen Beratungsmodellen und sich ausdehnenden Beratungsfeldern wird eine Fülle neuer Einrichtungen eröffnet, die in der Nachkriegszeit rechtlich als staatliche Pflichtaufgabe legitimiert werden (Sickendiek, Engel & Nestmann 2008). So »(…) sind die ausgehenden 60er und die 70er Jahre eine Phase intensiven Ausbaus des Beratungsangebots« (Großmaß 2007, 92; Großmaß 2000; Sickendiek, Engel & Nestmann 2008). Beispielhaft sei auf die Studierendenberatung verwiesen, deren historische Entwicklung von Großmaß (2000) gut nachvollziehbar dargelegt wird. Mit den 1980er Jahren »wird Beratung zu einer selbstverständlichen sozialpolitischen Interventionsform« (Großmaß 1997, 121). Daher gelten die 1970er und 1980er Jahre als zweite Gründungsphase (Nestmann, Engels & Sickendiek 2013).

      Nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt das Monopol für Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung beim Staat. Mit dem Grundgesetz wird 1949 Berufslenkung jedoch wieder zur Berufswahl. Und mit der Novellierung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1957 wird Berufsberatung in § 44 Abs. 1 AVAVG definiert als »jede Erteilung von Rat und Auskunft in Fragen der Berufswahl«. Nach § 45 AVAVG steht weiterhin das trait-and-factor-Modell im Fokus, aber ebenso die Informationsvermittlung und Aufklärung. Die bestehende Eignungsdiagnostik wird ausgeweitet (Krämer 2001). Mit dem Arbeitsförderungsgesetz können ab 1969 regulär auch Erwachsene beraten werden, bei denen es nicht mehr um den Erstberufswunsch geht (Haas 2002). Auch wenn informative Beratung und diagnostisch ermittelte Vermittlung von Lehr- und Arbeitsstellen im Fokus bleiben, zieht die Psychotherapeutisierungswelle nicht spurlos an der Berufsberatung vorbei. Nach Schröder versteht sich Berufsberatung nicht mehr nur allein als Informations- und Stellenvermittlung, sondern auch als psychologische Beratung. »Hinzu kam seit