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Psychosoziale Beratung


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Frage nach der Stichhaltigkeit dieser Modelle kann beantwortet werden, wenn man sie bei einschlägigen Feldern der Beratung, wie z. B. der Erziehungsberatung anwendet. Diese soll »(…) bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrundeliegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen« (§ 28 Satz 1 SGB VIII). Demgegenüber heißt es im Gesetz über den Beruf der Psychotherapeutin und des Psychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz – PsychThG) in der Fassung vom 15.11.2019 (Psychotherapeutengesetz – PsychThG) in § 1 Abs. 2:

      »Ausübung der Psychotherapie im Sinne dieses Gesetzes ist jede mittels wissenschaftlich geprüfter und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren oder Methoden berufs- oder geschäftsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist. Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung ist eine somatische Abklärung herbeizuführen. Tätigkeiten, die nur die Aufarbeitung oder Überwindung sozialer Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben, gehören nicht zur Ausübung der Psychotherapie.«

      Nach dem Willen des Gesetzgebers, der den Krankheitsbegriff als das wichtigste Unterscheidungsmerkmal einführt, kann das Kongruenzmodell nicht angewendet werden, weil Erziehungsberatung »individuelle und familienbezogene Probleme« zum Gegenstand hat, während Psychotherapie auf die »Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert« abzielt und außerdem nach § 1 Satz 1 PsychThG der Approbation bedarf. Noch deutlicher kommt die Unterscheidung zwischen Beratung und Psychotherapie in den »Psychotherapie-Richtlinien« in § 27 Abs. 3 zum Ausdruck: »Psychotherapie ist als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, wenn: (…) 3. sie allein der Erziehungs-, Ehe-, Lebens- und Sexualberatung sowie der Paar- und Familienberatung dient.«(Psychotherapie-Richtlinie, in der Fassung vom 22.11.2019, 20). Demnach kann Psychotherapie für Beratungszwecke zwar eingesetzt, sie kann jedoch nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden. Psychotherapie ist nur dann eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie dazu dient, »eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern« (Psychotherapie-Richtlinie, in der Fassung vom 03.01.2015, 4).

      Diese Verordnung ist auch nicht mit dem Differenzmodell vereinbar, denn Psychotherapie kann auch der »Erziehungs-, Ehe-, Lebens- und Sexualberatung« dienen. Analoges führt auch das SGB VIII (»Kinder- und Jugendhilfegesetz«) zur Erziehungsberatung als eine Form der Hilfe zur Erziehung aus: »Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen« (§ 27 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Mit dieser Formulierung stellt der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Hilfen zur Erziehung die sozialpädagogische Dienstleistung zwar in den Vordergrund, bezieht jedoch (psycho-) therapeutische Angebote explizit ein. Hier ist jedoch Psychotherapie nicht heilkundlich und am Krankheitsbegriff orientiert, sondern am Erziehungsdefizit der Eltern und am Kindeswohl. Der Wille des Gesetzgebers lässt sich im »Kinder- und Jugendhilfegesetz« am besten (theoretisch) mit dem Überschneidungsmodell vereinbaren, da Hilfen zur Erziehung wie die Erziehungsberatung zwar hauptsächlich der pädagogischen Förderung dienen, jedoch auch mit (psycho-)therapeutischen Angeboten realisiert werden können. Wie allerdings heilkundliche Psychotherapie von Psychotherapie in der Beratung als eine mögliche Form der Hilfen zur Erziehung abgegrenzt werden sollen, muss hier fraglich bleiben (vgl. dazu ausführlich de la Motte 2015).

      Die gesetzlichen Vorgaben passen auch nicht so recht zu dem Ablegermodell, da Beratung nicht selten durch langfristige und intensive Kontakte mehr ist als lediglich eine »kleine« Psychotherapie und Psychotherapie durch den heilkundlichen Auftrag nicht auf Beratung reduziert werden kann. Auch das Integrationsmodell kann die Beziehung zwischen Beratung und Psychotherapie nicht abbilden, da beide Bereiche in der Praxis eine ausgesprochen hohe Ausdifferenzierung erfahren haben und deshalb nicht gleichgesetzt werden können. Nestmann (2005) benennt fünf mögliche Dimensionen, nach denen Psychotherapie und Beratung unterschieden werden können (»typische Anlässe«, »Funktion und Prozess«, Hilfeformen und -beziehungen«, »Settings und Kontexte« sowie »Zuständigkeiten und Organisationsformen«) und kommt zu dem Ergebnis, dass die Unterscheidung von Psychotherapie und Beratung nur auf einem Kontinuum mit erheblichen Überlappungen abgebildet werden kann, somit am besten durch das Überschneidungsmodell repräsentiert ist. In der folgenden Tabelle (image Tab. 1.1) sind mögliche Unterschiede und Überscheidungen an dem Beispiel der Gegenüberstellung einer Beratung von Klienten mit Behinderung durch eine psychische Störung und einer ambulanten Psychotherapie verdeutlicht.

      Für ein Überschneidungsmodell spricht auch die Tatsache, dass psychosoziale Beratung stark an den Methoden und Konzepten der Psychologie angelehnt ist (vgl. Nestmann 2005, Großmaß 2007, Thivissen 2014). Das Ergebnis ist ein unübersichtliches, häufig beliebig-eklektisches Vorgehen mit unterschiedlichen Interventionen in der beraterischen Praxis, die verschiedenen therapeutischen Bereichen entlehnt sind (vgl. Sickendiek et al. 2008).

      Auch aktuelle Konzepte zur Professionalisierung der psychosozialen Beratung lassen sich am besten mit dem Überschneidungsmodell vereinbaren. So stellt Zwicker-Pelzer (2010) neben berufsübergreifenden Schlüsselkompetenzen die Beratungskompetenz als Handlungskompetenz ins Zentrum der Professionalisierung von Beratung. In dieser sind weitere Teilkompetenzen subsummiert (image Abb. 1.2), die auch ohne Einschränkungen für die Psychotherapie zutreffen. Dabei umfasst die Sach- und Fachkompetenz das inhaltliche Wissen, welches für die Beratung notwendig ist. Interventions- bzw. Methodenkompetenz umschließt die Fähigkeit des Beraters, Konzepte und Techniken flexibel anzuwenden, um den Beratungsprozess zu steuern. Die individuellen Einstellungen und das sich daraus ergebende Interaktionsverhalten werden als Beziehungskompetenz bezeichnet. Sie hängt eng mit der Bewusstwerdung und Selbsteinschätzung der eigenen Person sowie den sich daraus ergebenden individuellen Möglichkeiten und Grenzen zusammen. Diese Fähigkeiten werden als reflexive Kompetenz

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      Tab. 1.1: Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Psychotherapie und Beratung; Beispiel: Beratung von Klienten mit einer psychischen Behinderung im betreuten Wohnen im Vergleich zur ambulanten Psychotherapie

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      Dimensionen (Unterschiede nach Nestmann 2005)Beratung von Klienten mit einer psychischen Behinderung im betreuten WohnenAmbulante Psychotherapie

      Eigene Darstellung

      zusammengefasst. Die Befähigung zur strukturierten Datensammlung, Hypothesenbildung und Einschätzung des Beratungsfalls charakterisieren die diagnostisch-analytische Kompetenz.

      1.2.3 Psychosoziale Beratung und andere verwandte Begriffe

      Während das Verhältnis von psychosozialer Beratung und Psychotherapie am besten mit einem Überschneidungsmodell abgebildet werden kann, trifft für die Beziehung zwischen Beratung und (professionellem) Coaching am ehesten das Ablegermodell zu. Demnach ist Coaching eine spezielle Form der Beratung »von Personen mit Führungs-/Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen/Organisationen. Zielsetzung von Coaching ist die Weiterentwicklung von individuellen oder kollektiven Lern- und Leistungsprozessen bzgl. primär beruflicher Anliegen« (Deutscher Bundesverband Coaching e. V. 2014, Internetseite) und wird hauptsächlich im Profit-Bereich angewendet. Nach Greif (2008) sind deshalb psychische Störungen und Probleme explizit nicht Gegenstand eines Coachingprozesses, sondern vielmehr die berufliche Rolle des Klienten und damit im Zusammenhang stehende Anliegen.

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