Research in the People’s Republic of China«, https://www.cia.gov/readingroom/document/cia-rdp96-00792r000400260006-0 (aufgerufen am 2.11.2019)
29 Dokument online verfügbar unter https://tinyurl.com/yxab2mv9 (aufgerufen am 29.10.2019)
30 Siehe Dwayne Day, »A Dragon in Winter«, http://www.thespacereview.com/article/1035/1 (aufgerufen am 30.11.2019)
4Das Unglück schlägt zu: Dr. Tsiens Verhaftung und Abschiebung nach China
»Es war das Dümmste, was dieses Land jemals getan hat«, sagte der frühere Navyminister Dan Kimball später, »er war nicht mehr Kommunist als ich, und wir haben ihn gezwungen zu gehen.«
– The New Yorker, 3. November 2009 –
Am 6. Juni 1950, als er in seinem Caltech-Büro saß, dem gleichen Raum, den von Kármán zuvor besetzt hatte, wurde Tsien von zwei FBI-Agenten besucht. Ihm wurde gesagt, dass mehrere Personen, mit denen er sich in den 1930er Jahren bei der Caltech angefreundet hatte, Mitglieder der Kommunistischen Partei von Pasadena waren. Die Agenten behaupteten, Tsiens Name stehe auf einer Mitgliederliste unter dem Pseudonym »John Decker« und er werde verdächtigt, Kommunist zu sein. Tsien bestritt die Anschuldigungen energisch und behauptete, er sei absolut gegen den internationalen Kommunismus. Der »russische Kommunismus« war nach Tsiens Meinung »nichts anderes als eine totalitäre Regierungsform, und im Verhältnis zur demokratischen oder freien Regierung sei er ›böse‹«.1
Trotz des Mangels an konkreten Beweisen, die seine Verbindungen zum Kommunismus belegten, sorgte das FBI dafür, dass Tsiens Sicherheitsfreigaben sofort widerrufen wurden. Tsiens Fähigkeit, seine bahnbrechende Luftfahrtforschung an der Caltech fortzusetzen, wurde über Nacht zerstört. Chang schreibt über die Reaktion der Caltech auf die Anschuldigungen des FBI:
»Die Fakultät und die Verwaltung der Caltech waren fassungslos, als sie die Neuigkeiten erfuhren. Tsien, ein Kommunist? Einige glaubten, Tsien sei die aristokratischste Person, die sie kannten. Und war er nicht mit der Tochter eines Militärstrategen verheiratet, der unter Chiang Kai-shek gearbeitet hatte? Nein, Tsien war die letzte Person – die allerletzte Person –, die das Caltech-Establishment verdächtigt hätte, ein Kommunist zu sein.«2
Zwei Wochen später kündigte Tsien an, dass er an der Caltech zurücktreten und nach China zurückkehren werde. Einige bestärkte das in der Annahme, dass der Verdacht des FBI, er sei Kommunist und möglicherweise ein Spion, der Wahrheit entsprach. Warum schließlich ins kommunistische China zurückkehren, wenn man kein Kommunist war? Andere, die Tsien besser kannten, stellten klar, dass er aus »einer Kombination aus Stolz, Wut, Verwirrung und Angst heraus handelte, alles Emotionen, die zu der Person passten, zu der Tsien geworden war«.3 Darüber hinaus gab es starke persönliche Gründe für die Rückkehr, da sein kranker Vater seine kleinen Enkelkinder noch nicht gesehen hatte und um die Rückkehr seines Sohnes bat. Amerikanische Beamte vermuteten, dass die kommunistischen Behörden Tsiens Vater unter Druck setzten, seinen Sohn zu bitten, nach Hause zu kommen. Anscheinend war es unter kommunistischen Behörden inzwischen üblich, chinesische Staatsangehörige mit technischem Fachwissen dazu zu bringen, von Universitäten weltweit zurückzukehren, um zur Modernisierung Chinas beizutragen.
Die Caltech-Verwaltung und von Kármán sprangen zu Tsiens Verteidigung ein. Der Präsident der Caltech, Lee DuBridge, fasste die Ansichten von Kármáns und der meisten anderen in seiner Fakultät am besten zusammen:
»Es ist eine ganz und gar lächerliche Situation, dass einem der größten Raketen- und Jet-Antriebsexperten des Landes nicht nur die Möglichkeit verweigert wird, auf dem von ihm gewählten Gebiet zu arbeiten, er wird durch diese Verweigerung auch noch gezwungen, in das besetzte China zurückzukehren, um dem kommunistischen Regime dort seine Talente zur Verfügung zu stellen.«4
Unglücklicherweise für die Caltech, von Kármán und die USA war aber genau dies letztlich der Fall.
Für Tsien verschärfte sich die Lage weiter. Vor seiner Abreise nach China versuchte er noch, seine persönlichen Besitztümer wie Bücher, Papiere und Notizen nach Hongkong zu schicken. Als die Umzugsunternehmen jedoch einige der als »geheim« und »vertraulich« gekennzeichneten Papiere bemerkten, wurden die Zollbeamten benachrichtigt. Acht Koffer mit Papieren wurden vom amerikanischen Zoll mit der Begründung beschlagnahmt, sie verstießen gegen eine Reihe von Bundesgesetzen, einschließlich Spionage.
Ein Bundesrichter stimmte zu, und am 25. August 1950 wurde ein Haftbefehl gegen Tsien erlassen.
Das hätte zu keinem schlimmeren Zeitpunkt passieren können, da der Ausbruch des Koreakrieges zu Reaktionen gegen alle führte, denen kommunistische Sympathien vorgeworfen wurden. Auf Presseanfragen gab Tsien eine Erklärung zum Inhalt der inkriminierten Kisten:
»Es gibt keine Codebücher, Signalbücher oder Pläne. Es gibt einige Zeichnungen, Logarithmentabellen und dergleichen, die jemand möglicherweise mit Codes verwechselt hat. Ich wollte meine persönlichen Notizen, von denen viele Vorlesungsnotizen waren, sowie anderes Material mitnehmen, um es zu studieren, während ich weg war. Ich habe mit Sicherheit nicht versucht, etwas Geheimes mitzunehmen.«5
Die Presse, die Tsien erst Monate zuvor als visionären Raketenwissenschaftler gefeiert hatte, brandmarkte ihn nun als möglichen kommunistischen Spion. Nachdem der Haftbefehl ausgestellt worden war, wurde Tsien zwei Wochen lang in ein Einwanderungsgefängnis gesperrt, bevor er gegen eine Kaution in der erstaunlichen Höhe von 25.000 US-Dollar freigelassen wurde – das entspricht im Jahr 2020 über 250.000 US-Dollar.
Trotz der rechtlichen Entscheidung, dass in seinen persönlichen Notizen nichts Geheimes gefunden wurde, beschloss der Immigration and Naturalisation Service, die Behörde für Einwanderung und Einbürgerung (INS), Tsien nach dem Subversive Control Act von 1950 abzuschieben, da er angeblich Mitglied der Kommunistischen Partei war, als er 1948 in die USA einreiste.6
Von 1950 bis 1955 lebte Tsien in einer juristischen Schwebe, die durch widersprüchliche bürokratische Anforderungen geschaffen wurde. Das Außenministerium erlaubte ihm aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse der geheimen U.S.-Luftfahrtforschung nicht, nach China auszureisen, doch lebte er nach dem INS-Urteil unter der ständigen Drohung der sofortigen Deportation. Tsien durfte weiter an der Caltech unterrichten, konnte jedoch keine Luftfahrtforschungen durchführen, da seine Sicherheitsfreigaben nie wiederhergestellt worden waren. Erst nach dem Ende des Koreakrieges, am 27. Juli 1953, wurden die Verhandlungen zwischen China und den USA über Kriegsgefangene zum Auslöser, der zu seiner endgültigen Ausreise führte.
Im Juni 1955 genehmigte Präsident Dwight W. Eisenhower privat die Freilassung von Tsien und anderen chinesischen Staatsangehörigen mit wichtigen technischen Informationen, die dem kommunistischen Regime helfen könnten. Eisenhower war informiert worden, dass eine solche Geste wesentlich sei, um die Freilassung amerikanischer Kriegsgefangener zu erreichen. Am 4. August 1955 schrieb das INS an Tsien und teilte ihm mit, dass er die Vereinigten Staaten verlassen könne.7
In der Zwischenzeit hatte Tsien es geschafft, einen Brief an die Schwester seiner Frau zu senden, in dem er die kommunistischen Behörden aufforderte, ihn bei der Rückkehr auf das chinesische Festland zu unterstützen. Am 8. August 1955 wurde bei den Verhandlungen in Genf Tsiens Brief vom chinesischen Botschafter Wang Ping-nan ausdrücklich zur Sprache gebracht, zur Überraschung der amerikanischen Delegation unter der Leitung von Botschafter Alexis Johnson: »Der Brief, behauptete Wang, war ein anschaulicher Beweis dafür, dass viele chinesische Wissenschaftler in den USA, die in das Mutterland zurückkehren wollten, dazu nicht in der Lage waren.«8