Timm Koch

Lasst uns Paradiese pflanzen!


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Mit Erfolg: Inzwischen beträgt der Absatz mehr als eine Million Flaschen im Jahr. Parallel hat Ostmost den gemeinnützigen Verein Äpfel und Konsorten e. V. gegründet. Der hat seinen Sitz im brandenburgischen Storkow und verfolgt das Ziel, »Streuobstwiesen zu schützen und die regional typische Obstsortenvielfalt in Berlin und Brandenburg zu fördern«. Die Obstfreunde bespielen das komplette Programm. Sie organisieren den Aufbau von Streuobstwiesen als Ausgleichsflächen, etwa für die Windenergie, kaufen Äcker, die sie in Streuobstwiesen umwandeln genauso wie bestehende Altbestände und organisieren deren Pflege. Mit »Reclaim Streuobstwiese« haben sie einen kämpferischen Slogan geschaffen, der gerade in der Großstadt Berlin gut ankommt. Dennoch ist in Brandenburg der Lebensraum Streuobstwiese nur noch in Restbeständen vorhanden. Das liegt unter anderem daran, dass in der DDR genau wie in Westdeutschland Abholzungsprämien für Streuobstbestände gezahlt wurden. Die wenigen Bäume, die diesem Irrsinn nicht zum Opfer gefallen sind, wurden meist vor dem Zweiten Weltkrieg, einige sogar noch vor dem Ersten, gepflanzt. Ihre Lebensspanne neigt sich inzwischen dem Ende zu.

      2017 gelang dem Verein der Coup, die Landesumweltminister aus ganz Deutschland auf einer ihrer Streuobstwiesen zu versammeln, wo sie die Politiker mit blauen Plastiktüten ums edle Schuhwerk den »Ministersortengarten« einbuddeln ließen. Es kamen zwar längst nicht alle Minister, und auch die Bundesumweltministerin Svenja Schulze ließ sich durch eine Staatssekretärin vertreten. Dennoch war die Aktion ein guter PR-Erfolg und am Ende standen 19 neue Apfel- und Birnbäume auf der Wiese. Jedes der 16 Bundesländer bekam einen Baum von landestypischer Lokalsorte zugesprochen. Zusätzlich wurde ein »Gravensteiner« als Europasorte und »Edelborsdorfer« als Bundesapfelsorte gepflanzt.

      Ich will mehr wissen und spreche mit Jakob Schuckall und Lukas Küttner von Ostmost.

      Wie kam es dazu, dass Ostmost gegründet wurde, was treibt euch an?

      Lukas Küttner: Der Gründer Bernd Schock war für ein Projekt zum Schutz des Goliathfrosches im Regenwald in Kamerun aktiv. Dort ist er mit gerodeten Flächen des Regenwaldes in Berührung gekommen und hat erlebt, welches Ausmaß und welchen Schaden der Verlust von Lebensraum und Artenvielfalt annehmen kann.

      Zurück in Deutschland ist er in Brandenburg auf eine Streuobstwiese gestoßen und hat vom hiesigen Landwirt erfahren, dass diese Wiesen einen enormen Sorten- und Artenreichtum aufweisen, sie sozusagen die kleinen Geschwister des Regenwaldes sind, und, dass es diesen Flächen nicht besser geht als dem Regenwald auf der anderen Seite der Welt. Sie werden vernachlässigt und abgeholzt, die Vielfalt geht verloren.

      Daraufhin wurde die Idee geboren, über ein Produkt die Wertschätzung und -schöpfung dieser Wiesen und ihrer Früchte wieder herzustellen, damit sie auch für künftige Generationen erhalten bleiben.

      Selbst die Giganten der Industrie haben ja ganz klein angefangen. Wie seht ihr die Chancen, dass Start-ups wie Ostmost eines Tages die großen Marken wie Coca-Cola vom Markt drängen können?

      Lukas Küttner: Schon jetzt gibt es eine klare Entwicklung in Trend-Bezirken, also Gegenden, wo junge aufgeschlossene Leute zusammenkommen, in denen Marken wie Coca-Cola, Pepsi und Co. einen schweren Stand haben, weil junge Marken ihnen die Plätze streitig machen. Ein großer Treiber sind hier Gastronom*innen, die ein diverses Angebot schaffen wollen, weg vom Mainstream und der generelle Trend hin zu bewusstem Konsum und mehr Nachhaltigkeit – beides Punkte, bei denen große Konzerne in der Regel schlecht abschneiden.

      Dennoch zeigt das nur einen Teil des Marktes, der überwiegende Part wird noch immer von Lebensmittelkonzernen dominiert, denn oft spielen Marktmacht und (niedrige) Preise eine große Rolle im Handel oder bei Gastro-Filialisten. Auch aufseiten der Endkonsument*innen gibt es immer noch eine große Mehrheit, denen Convenience – also ein niedriger Preis und Beibehaltung der alten Gewohnheiten – wichtiger ist, als die Nachhaltigkeit von Produkten. Auf lange Sicht werden sich Konzerne anpassen und so am Markt bleiben, das tun sie ja schon. Coca-Cola hat zum Beispiel Vio und Vio Bio oder die Coke Life ins Leben gerufen und zielt damit ganz klar auf eine neue bewusste Käuferschaft. Ich denke, dass Start-ups die großen Marken somit niemals komplett verdrängen können, sofern diese nicht stur an ihrem Programm festhalten, wohl aber vor sich hertreiben können und sie so Stück für Stück zu einem besseren – klimafreundlichen und sozialverträglichen Verhalten – drängen können.

      Welchen Einfluss wird Ursula von der Leyens »European New Green Deal« auf Unternehmungen wie Ostmost/Äpfel und Konsorten e. V. haben?

      Lukas Küttner: Grundsätzlich erhoffen wir uns, dass im Zuge des Green Deals klimapositives Verhalten durch viele Projekte immer mehr zum Standard in der Gesellschaft wird. Wenn ein breites Bewusstsein dafür entsteht, dass Konsum immer auch klimapolitische Effekte hat und somit jede Konsumentscheidung ein Beitrag für oder gegen Nachhaltigkeit ist, werden Projekte wie unsere davon profitieren. Gleichzeitig werden wir uns auch auf Mittel bewerben, um unsere Projekte weiter zu stärken und breiter aufzustellen.

      Wie steht ihr zu der Idee, dass Biodiversität ein »Preisschild« bekommt? Produkte, die schädlich für unsere Artenvielfalt sind, werden dann teurer. Mit den Einnahmen könnten dann Projekte und Produktionsweisen gefördert werden, die der Artenvielfalt zuträglich sind.

      Lukas Küttner: Ähnlich wie eine CO2-Steuer würde die Einpreisung der negativen Auswirkungen auf die Biodiversität von Produkten eine unmittelbare Veränderung des Konsumverhaltens nach sich ziehen. Hin zu Produkten, die weniger, keine oder besser noch: positive Auswirkungen auf Biodiversität haben. Das wäre sehr zu begrüßen und ist unserer Meinung nach eine faire Maßnahme, die Hersteller und Konsumenten gleichermaßen fordert und für gutes Verhalten belohnt. Leider ist die Bemessung von Biodiversität bzw. der Einfluss einzelner Produkte auf die Biodiversität extrem schwierig. Wir selbst haben seit längerem den Plan, ein Label ins Leben zu rufen, das Produkte aus Streuobst kennzeichnet und Konsument*innen so zeigt, dass dieses Produkt einen positiven Effekt auf Biodiversität hat.

      Wie kann es gelingen, dass Investoren Gefallen am Erhalt der globalen Biodiversität finden?

      Lukas Küttner: Die Frage ist, ob es rechtzeitig gelingen kann. Es gibt bereits einige Investoren und auch schon Fonds, die gezielt nach grünen Start-ups suchen, um sich dort zu beteiligen. Aber der Großteil des Investmentbankings ist sicherlich rein (monetär) profitgetrieben, um so schnell wie möglich so viel Profit wie möglich aus ihrem Investment zu ziehen. Bei dem Erhalt von Biodiversität geht es aber um langfristige Pläne und Projekte, die diesem Gedankengang komplett konträr gegenüberstehen. Sofern von politischer Seite dahingehend keine Anreize geschaffen werden, zum Beispiel durch die Einpreisung von positivem beziehungsweise negativem Verhalten von Unternehmen auf die Biodiversität, und weiterhin negatives Verhalten kostenlos ist, werden Investments weiterhin zu den kurzfristig profitabelsten Unternehmen fließen. Früher oder später wird sich die gesamte Wirtschaft, und somit auch das Investmentbanking, verändern müssen, oder das Ökosystem Erde – die Lebensgrundlage von uns allen – geht zugrunde. Es ist nur eine Frage der Zeit.

      Inwiefern spielt Weidewirtschaft eine Rolle in euren Planungen? Obstwiesen müssen ja einerseits freigehalten werden, andererseits ist Weidehaltung die natürlichste und beste Form, mit unserem Nutzvieh umzugehen. Mit anderen Worten: Wie haltet ihr es mit der Diversifizierung?

      Jakob Schuckall: Die Beweidung von Streuobstwiesen, vor allem mit Schafen, spielt eine große Rolle in unserer Planung – es ist ja auch die traditionelle Doppelnutzung der Obstwiesen und bietet viele Vorteile. Zum Beispiel wird durch die Beweidung der Wühlmausdruck erheblich reduziert, im Sommer, wenn die Tiere Schatten suchen, werden die Nährstoffe direkt zu den Bäumen transportiert, und nicht zuletzt spart es natürlich den Einsatz von Maschinen. Momentan wagen wir uns sogar an ein Projekt, bei dem eine Beweidung durch Wasserbüffel geplant ist. Wir sehen uns als Botschafter für Biodiversität und planen Streuobstwiesen als Biotope – dies gelingt nur mit Diversifizierung. Außerdem setzen wir uns für eine vielfältige, moderne und nachhaltige Streuobst- und Agroforstwirtschaft ein, Diversifizierung kann eigentlich nur der Albtraum von sehr dummen oder sehr kurzsichtigen BWL-ern sein.

      Wie steht ihr zu anderen Ansätzen zum Schutz der Artenvielfalt wie Paludikultur, Waldgartensystemen, Feld-Wald-Wirtschaft, Obst- und Nusswäldern, Essbaren Städten, Permakulturen und anderen?