das Leben schwer. Hochstämme sind die stabilsten Bäume mit der höchsten Lebenserwartung.
Leider stammen die allermeisten Äpfel, die heute verkauft werden, von der lebensfeindlichen Plantage. Äpfel von Streuobstwiesen werden, wenn überhaupt, meist zu Saft verarbeitet. Sehr oft macht sich auch niemand die Mühe, sie aufzusammeln. Kühe oder Schweine, die das wertvolle Obst in Fleisch oder Milch umsetzen könnten, stehen in Ställen und fressen Soja von gigantischen Monokulturen, die auf gerodeten Urwaldflächen gedeihen.
Dabei wäre es kein Problem, den gesamten Bedarf an Äpfeln mit Hochstämmen zu decken, die in artenreicher Umgebung wachsen. Wo wir wieder bei unserem Apfelwickler wären. Wenn wir ihn als das akzeptierten, was er nun einmal wirklich ist, nämlich ein wichtiger Baustein des Lebens, der zum lebensspendenden Apfelbaum einfach dazugehört, wäre dies auch für unsere Gesundheit viel besser. Es leben allein in Deutschland rund vier Millionen Menschen, die allergisch auf Äpfel reagieren. Die Symptome können durchaus drastisch sein: Atemnot, Anschwellung der Mundschleimhaut, der Zunge oder des Rachens und Quaddelbildungen auf der Haut, um nur einige zu nennen. Die alten Sorten auf Hochstämmen hingegen sind auch für Apfelallergiker oft problemlos essbar. Vor allem, wenn sie rot sind, enthalten sie wenig Allergene. Wer Obst von Streuobstwiesen isst, ist keinen Pestizidrückständen ausgesetzt. Ganz zu schweigen von all den Menschen, die auf Apfelplantagen arbeiten müssen und oft selbst nur sehr unzureichend gegen die dort ausgebrachten Gifte geschützt sind. Ein Apfel aus dem Erwerbsobstbau erhält bis zu 31 Giftduschen, ehe er in den Handel kommt.1 Viele der eingesetzten Stoffe sind krebserregend und auch sonst alles andere als gesund. Weder für uns noch für unsere Böden noch für unsere Gewässer. Wenn jeder Einzelne sich klarmacht, dass der Apfelwickler ein wichtiger Teil unseres Ökosystems darstellt und allein deshalb unser Freund sein sollte, ist das eigentlich nur ein kleiner gedanklicher Schritt, für das Entstehen von Paradiesen aber von riesengroßer Bedeutung.
Am Ende, wenn wir diesen Schritt im Kopf gegangen sind, sollten wir uns fragen, wie wir uns die Raupe sonst noch zunutze machen können. Bevor wir angefangen haben, einen Chemie- und Biowaffenkrieg gegen den kleinen Schmetterling zu führen, sind wir ja über viele Jahrtausende bestens mit ihm klargekommen. Der Wurm im Apfel hat auch einen ganz praktischen Vorteil: Er sorgt dafür, dass der von ihm befallene Apfel früher reift. Er zieht die Ernteperiode damit nach vorne und macht die frischen Früchte länger für uns zugängig. Man braucht die Würmer nur herauszuschneiden und erhält leckeres, süßes Fruchtfleisch, an dem wirklich nichts auszusetzen ist. Man kann es entweder frisch essen, oder macht Apfelsaft oder Apfelmus daraus. Für Schweine sind sie eine prima Mast mit Proteinbeilage. Während man also die frühreifen Äpfel schon wunderbar verwenden kann, können die unbefallenen Äpfel ihren optimalen Reifezeitpunkt erreichen.
Sicherlich gibt es andere Organismen, die sich schädigend auf unsere landwirtschaftlichen Kulturen auswirken, bei denen die Schließung einer Freundschaft wesentlich schwerer fällt als beim Apfelwickler. Nehmen wir mal den Echten Mehltau der Weinrebe (Erysiphe necator). Dieser gehört zu den Schlauchpilzen und kam in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Amerika nach Europa. Der Falsche Mehltau der Weinrebe (Plasmopara viticola) und die Reblaus kamen ebenfalls aus Amerika und haben den Weinbau weltweit drastisch verändert. Die beiden Pilzkrankheiten und die Laus haben allesamt im Laufe der Evolution Wege gefunden, sich an die amerikanische Wildrebe zu binden, ohne diese zu zerstören. In die alte Welt gelangt, verursachten die Neozoen gewaltige Probleme, weil die hier kultivierten Reben die evolutionären Anpassungen nicht mitgemacht haben. Dummerweise schmecken die Rebsorten, die man aus den resistenten Reben daraufhin herausgezüchtet hat, nicht sonderlich gut. Ich selbst habe ein paar Weinstöcke der resistenten Sorte Muscat Bleu, die aus einer Kreuzung zwischen den beiden Varianten entstanden ist. Sie kommt komplett ohne Spritzung aus, ist allerdings in Deutschland nur als Tafeltraube zugelassen. Das heißt im Klartext: Wer aus ihr Wein keltert, macht sich in Deutschland strafbar. Ein Geschenk des Gesetzgebers an die agrochemische Industrie? – Vielleicht. In der Schweiz jedenfalls wird die Sorte von Biowinzern angebaut. Wie man hört, soll das Ergebnis ganz passabel sein. Ich kenne eine Person, die aus unserer Hausrebe einmal einen Roten gekeltert hat, vom Ergebnis war ich aber nicht wirklich überzeugt. Ein anständiger Cabernet Sauvignon schmeckt mir eindeutig besser. Für Weinenthusiasten sind neue Züchtungen oft sehr gewöhnungsbedürftig. Autochthone, oft uralte Rebsorten sind Ausdruck der Vielfalt unserer Europäischen Weinkultur und ihr Erhalt ein hohes Gut. Wie also umgehen mit dem Echten Mehltau in unseren Weinbergen, die als Monokulturen natürlich extrem anfällig für Schädlinge sind?
Der Ökolandbau behilft sich mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen. Neben rechtzeitiger Entfernung überschüssigen Laubs und einer Stärkung der pflanzlichen Zellstruktur durch Gaben von Kieselsäure hilft auch die Aktivierung des Bodenlebens durch Kompost, die Reben widerstandsfähiger zu machen. Wenn alles nichts nützt, spritzt auch der Biowinzer seinen Wein. Präparate auf Molkebasis machen dem Pilz das Leben schwer und sind für den Rest der Lebewesen im Weinberg kein Problem. Schwefelpräparate hingegen, obwohl im Biolandbau zugelassen, wirken zwar gegen den Mehltau, schädigen aber die wichtigen Raubmilben und sind auch für das gerade erst mühsam aufgebaute Bodenleben nicht sonderlich förderlich. Die Dinge sind manchmal einfach etwas komplizierter, als wir das beim Apfelwickler beobachten konnten.
Die Erkenntnis, dass Streuobstwiesen Orte sind, die auf besonders viele Tierarten eine enorm hohe Anziehungskraft ausüben, ist nicht neu. Zum Glück sind sie im Zuge der Industrialisierung unserer Kulturlandschaften nicht vollständig ausgemerzt worden. Das Schöne an ihnen ist, dass wir alle zu ihrem Erhalt und Schutz beitragen können. Es fängt damit an, dass wir als Kunden Bedarf schaffen können, indem wir im Supermarkt nicht zu Cola oder sonstigen Limonaden und auch nicht zum billigen Industrieapfelsaft greifen, sondern das hochwertige und zu Recht auch etwas teurere Produkt wählen, das auf einer Streuobstwiese gewachsen ist. Dieser Saft muss auch gar kein Bio-Label haben. Das kostet den Produzenten extra und ist gar nicht nötig, weil Streuobstwiesen in der Regel sowieso die Pestizidduschen erspart bleiben. Meine Frau Nilufar und ich ernten jedes Jahr im September oder Oktober zwischen einer halben und einer Tonne Äpfel. Oft stammen die von Bäumen, die als ökologische Ausgleichsmaßnahme für irgendwelche Baulandausweisungen entlang einiger Äcker rund um Bruchhausen und Unkel angepflanzt wurden. Das Obst dieser Bäume steht der Öffentlichkeit zur freien Verfügung. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Einer von uns beiden klettert in die Krone des Baumes und schüttelt. Danach sammeln wir gemeinsam die Äpfel in Eimern auf. Manchmal benutzen wir auch lange Stangen aus Haselnussruten und schlagen die Früchte von den Ästen.
Diese Äpfel fahren wir zu der Saftmanufaktur in Bad Hönningen. Dort reihen wir uns mit unserem Anhänger ein in die Reihe aus Lieferwägen, Traktoren und normalen PKWs. Alle haben Äpfel dabei. Manche bringen ganze Kipperladungen, andere nur ein paar Säcke voll. Vom Kleinbauern über den Hobbygärtner,bis zu Streuobstwiesenvereinen ist alles dabei. Wir leeren unsere Äpfel in eine Waage und nehmen im Tausch und gegen eine kleine Bearbeitungsgebühr frisch gepressten Saft vom Vortag mit. Allein durch die Ernte haben wir den Apfelbäumen einen Gefallen getan. Wir haben dem Baum die Fruchtlast genommen und damit die Gefahr des Astbruchs gebannt. Oft haben wir Bäume auch von Brombeeren befreit, um überhaupt an die Äpfel heranzukommen. Nicht selten sind wir dabei an vernachlässigte Bäume geraten, die komplett von Brombeeren zugerankt waren und seit der Ernteaktion wieder freistehen und Licht bekommen, damit sie weiterwachsen können. Wer solche Säfte trinkt, fördert also nicht nur die kleine Saftmanufaktur und die Streuobstwiesen, sondern auch Menschen wie uns, die sich so auf einfache Art und Weise den Überfluss der Natur zunutze machen.
Der nächste Schritt in diese Richtung, den jeder von uns gehen kann, ist, die Patenschaft für ein Stück Streuobstwiese zu übernehmen. Hier hat man vielfältige Möglichkeiten. Man kann beispielsweise ein Zertifikat über den symbolischen Besitz von zehn Quadratmetern Streuobstwiese erwerben oder einem Apfelbaum oder einem Bienenstock. Die Lage der Wiese sollte darin klar gekennzeichnet sein und zugänglich sein. Zuweilen dürfen sich die Paten auch über kleine Abgaben an Honig oder Apfelsaft freuen. Wer gerne selbst mit anpacken will, der kann sich bei Initiativen der Umweltinitiativen BUND oder NABU als freiwilliger Helfer melden.
Das Berliner Start-up Ostmost geht den entscheidenden Schritt weiter und macht Streuobstwiesen zum zentralen Teil