Timm Koch

Lasst uns Paradiese pflanzen!


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merken sie wahrscheinlich auch was. Aber ok, der Stress ist auf jeden Fall deutlich reduziert. Das soll man ja auch schmecken können. Aber darum geht es ja eigentlich gar nicht.«

      »Hör mal Timm, was anderes. Du kommst doch mit deiner Bienenhaltung billig an Zucker ran.«

      »Magst du den Honig nicht? Der ist doch lecker und viel gesünder als dieser weiße Raffinadezucker.«

      »Ja. Natürlich hast du recht. Aber weißt du, damals, zu Hause in Somalia, da haben wir den Tee immer mit weißem Zucker getrunken. Bei dem Geschmack muss ich immer an zu Hause denken. Heut­zu­tage ist das Zeug ja unerschwinglich geworden. Das fing mit dem Bidihandel an. Du weißt es ja selbst am besten. War ja auch deine Idee, Timm, dem Ganzen einen einfachen Namen zu geben. Biodiversitätszertifikatehandel kann ja auch kein Mensch aussprechen. Ich habe drei Wochen geübt, bis ich es halbwegs hinbekommen habe. Zucker hat jedenfalls schwer Bidipunkte aufgebrummt bekommen: Monokultur, Flächenfraß, hoher Einsatz von Pestiziden – das war ja schon mal ein guter Batzen. Dazu kam dann noch, dass Zucker, durch seine Sonderstellung im Markt, schädlich für die Imker und für die Produzenten von Fruchtsirupen war. Das gab dann noch mehr Bidipunkte. Als man dann auch noch merkte, wie die Fettleibigkeit abnahm und das Gesundheitssystem ordentlich entlastet wurde, weil Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen deutlich zurückgingen, haben sie die Zuckersteuer noch obendrauf gepackt. Heute ist das Zeug so teuer wie Goldstaub. Also, kannst du mir zwei, drei Kilo bringen? Ich tausche gegen Ziegenkäse.«

      »Na gut. Ich werde sehen, was ich machen kann. Du weißt, dass das verboten ist, oder? Also bitteschön absolutes Stillschweigen.«

      Wir besiegeln diesen Handel, indem wir beide einen Schluck Tee trinken und die Blicke in die Ferne schweifen lassen.

      »Die Kirschernte«, fährt Yonis fort, »ist in vollem Gange. Wenn du von hier aus weiter in Richtung ›Auge Gottes‹ fährst, gelangst du in die großen Obstwälder. Wo früher die Fichtenmonokulturen standen, wachsen jetzt Äpfel, Birnen, Pflaumen, Walnüsse, Kastanien, Ebereschen und natürlich auch Kirschen. Der Witz dabei: Es sind alles Ertragssorten, die fette Früchte liefern. Diese neuen Wälder geben uns nicht nur absolut hochwertiges Holz, sie nähren auch uns und unser Vieh. Die Ernteroboter, die auf den Ertragssorten zum Einsatz kommen, sind viel ausgeklügelter, als die Dinger, die der Schweinehirt gerade an die Wildkirschen hängt. Im Ertrags-Obstwald sind die mit Ultraschall ausgestattet, um zu sehen, ob die Früchte Würmer haben. Falls ja, fallen sie runter für die Schweine und die Hühner. Falls nein, landen sie im Erntekorb auf dem Rücken der Maschine. Wenn die voll ist, klettert sie den Baum wieder runter und wartet auf den Arbeiter mit seinem Esel, der den Korb leert.«

      »Ist schon irre, wie schnell die Roboter Pestizide überflüssig gemacht haben.«

      »Naja. Im Prinzip könnten sie auch den Esel mitsamt Treiber überflüssig machen. Der Abtransport würde auch vollautomatisch funktionieren. Man hat Modelle entwickelt, die so leicht sind, dass ihre Waldbodenschädigung mit der von Eselshufen zu vergleichen wäre. Aber die Dinger bekommen so viele Bidipunkte aufgebrummt, dass sich ihr Einsatz nicht lohnt. – Wegen Eselsverhinderung.«

      »Eselssalami ist ja auch was sehr Feines.«

      »Ja, und bei Eselskäse kostet das Kilo über tausend Euro. Die Reichen lieben das Zeug. Diese Biodiversitätskonzepte sind schon sehr schlau. Durch die vielen Nist- und Versteckmöglichkeiten und das reichhaltige Nahrungsangebot für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Insekten kommt ein sogenannter »Schadorganismus« wie die Kirschfruchtfliege, die für die Würmer in den Kirschen verantwortlich ist, gar nicht so häufig vor, dass er Probleme machen kann. Am Ende machen die Insektenlarven noch ein kleines Proteinplus aus, das den Schweinen anscheinend ganz gut bekommt.«

      »Ja klar. Zur Not setzen die Obstkooperativen Pheromonfallen ein. Kirschen aus heimischen Obstwäldern sind ja ein wichtiges Wirtschaftsgut.«

      Ich trinke meinen Tee aus, verabschiede mich und schwinge die alten Knochen wieder auf das H2-Rad, um meiner alten Leidenschaft zu frönen: der Vogelbeobachtung. Den 8X50-Feldstecher führe ich griffbereit in meiner Satteltasche aus Rindsleder mit. Auf meiner Rundfahrt begegne ich Rebhühnern und Wachteln, die sich in den offenen Obstwäldern pudelwohl fühlen. Ich höre den Kuckuck rufen und die Wachtel schlagen und Spechte an Baumstämme hämmern. Die Welt ist schön und bunt und voller Nahrung. Sie ist Lebensraum für Mensch und Tier gleichermaßen.

      Faktencheck 2021

      Dass mein somalischer Kumpel Yonis und ich in 17 Jahren tatsächlich ein platonisches Gespräch solchen Inhalts werden führen können, sei dahingestellt. Fakt jedenfalls ist, dass die Welt zu Beginn der zwanziger Jahre des neuen Jahrtausends inmitten von Weltuntergangsängsten steckt. Zur Corona-Epidemie und den Folgen der Erderwärmung gesellen sich Kriege, Flüchtlingsströme, Plastikverseuchung, Korallensterben, Waldbrände und eine noch nie dagewesene Konzentration von Reichtum auf die berüchtigten 0,1 Prozent der Erdbevölkerung. Die größte Katastrophe jedoch ist die rasant fortschreitende Vernichtung der Artenvielfalt und der Kollaps unserer Ökosysteme.

      Während im dritten Jahr der Dürre im heimischen Siebengebirge der Harvester die abgestorbenen Fichtenmonokulturen zu riesigen, geradezu obszönen Haufen aufpoltert und im Zuge dessen unermüdlich immense Flächen ratzekahl abrasiert hat, wird von vielen die Wirkung von Corona auf die Welt wie eine Katharsis wahrgenommen, eine innere Reinigung durch Schmerz. Beim Weltwirtschaftsforum 2020 wird dafür die Bezeichnung »Great Reset« ins Spiel gebracht. Gleichzeitig klagen von der Trockenheit betroffene Bauern über gigantische Ernteausfälle, die sie anschließend vom Steuerzahler kompensiert bekommen. Einige warten schon mit der Idee auf, ihre gigantischen Getreidefelder mit Grundwasser am Leben zu halten. Die industrialisierte Land- und Forstwirtschaft in ihrer heutigen Form gilt weltweit als die größte Gefahr für die Vielfalt unserer terrestrischen Tier- und Pflanzenwelt. Natürlich bleiben auch die aquatischen Lebensräume nicht unberührt. Vor allem Süßwassersysteme sind von Überdüngung, Pestizideintrag und Plastikverseuchung betroffen. Von der PVC-Folie auf dem Spargelbeet über Folientunnel, die allerorts die guten alten Gewächshäuser aus Glas ersetzen, bis hin zur Gemüseverpackung produziert vor allem die Landwirtschaft jede Menge Plastik. Schätzungen gehen von 6,5 Millionen Tonnen jährlich aus, die weltweit durch die Landwirtschaft in unsere Umwelt gelangen. Land- und Forstwirte sind letztlich verantwortlich für einen schleichenden Ökozid, der sich vor unser aller Augen abspielt. In ihrer Täterrolle fühlen sie sich dennoch alles andere als wohl. Sie werfen den »Städtern« (oftmals durchaus zu Recht) vor, keine Ahnung zu haben von der Landwirtschaft, und so walzen sie regelmäßig in ihren Agrarpanzern zu Demonstrationen, auf denen gegen (!) Insekten- und Artenschutz agitiert wird. Diese Menschen in ihren kolossalen Maschinen – deren meterhohe Reifen auf dem Acker übrigens zu Verdichtungen im Boden führen, die das Leben unter der Erde empfindlich stören – haben Angst um ihre wirtschaftliche Existenz. Viele von ihnen entstammen Familien, die seit vielen Generationen Bauern sind. Sie sehen sich als letzte Bastion in einem immerwährenden Kampf gegen Banken, Molkereien, gierige Zwischenhändler und gnadenlose Discounter, und nun werden ausgerechnet sie, die Ernährer, von der Öffentlichkeit zu Parias erklärt. Neben ökologischen und sozialen Problemen hat die Landwirtschaft mit massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Immer mehr geben auf. Das Sterben der Höfe findet ungebrochen seine Fortsetzung – sehr zur Freude der Agrarkonzerne, die damit ihre Marktmacht immer weiter ausbauen. Im Übrigen landen auch sie regelmäßig in der Insolvenz, nur um dann von noch Größeren geschluckt zu werden. Wer diesen Wahnsinn verstehen will, für den lohnt sich ein Blick auf die heutigen ökonomischen Aspekte hinter den Geschehnissen auf Forst, Acker und in den Mastbetrieben und deren Geschichte.

      Ein Bauernhof ist traditionell sehr divers aufgestellt gewesen. Die Bauern zogen verschiedenes Gemüse an, kultivierten Blumen, Getreide und unterschiedlichste Arten von Obst, und hielten zusätzlich eine bunte Vielfalt an Vieh. Schweine, Rinder und Hühner teilten sich eine Welt mit Pferden, Eseln, Tauben, Gänsen, Honigbienen und Stallhasen. Außerdem mussten die Bauern und Bäuerinnen geschickte Händler sein, um ihre Waren auf dem Markt gewinnbringend zu veräußern. Obendrein existierte eine ganze Reihe handwerklicher Fähigkeiten, die eng an die Landwirtschaft angegliedert waren, wie etwa das Spinnen von Garn, die Korbflechterei,