Timm Koch

Lasst uns Paradiese pflanzen!


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Wissenschaftler fanden in den 1990er-Jahren heraus, dass alle unsere Kultursorten auf die wilden Äpfel des Tian-Shan-Gebirges zurückgehen. Da Äpfel nicht selbstfruchtend sind, sondern immer einen Partner brauchen, um sich zu vermehren, sind sie genetisch äußerst vielseitig. Der sehr heterogene Apfelurwald, in dem kein Apfelgewächs dem anderen gleicht, spiegelt sich hierzulande in der Sortenvielfalt.: Allein für Deutschland gehen Pomologen von über 800 verschiedenen Sorten aus. Für Europa rechnet man mit bis zu 20 000 Sorten. Für die Verbreitung der wilden Äpfel spielen Bären eine wichtige Rolle, denn die Apfelsamen passieren das Verdauungssystem der gefräßigen Raubtiere, ohne Schaden zu nehmen. Am liebsten fressen sie leckere, reife Früchte, was eine positive Auslese zur Folge hat. Auf Wanderschaft nehmen sie die Samen mit auf die Reise und scheiden sie dann stets mit einer ordentlichen Startdüngung wieder aus. Die größte Verbreitung erfuhr der Apfelbaum natürlich durch uns Menschen. Anfangs gelangten die Früchte des Tian-Shan über die Seidenstraße nach Europa und wurden hier weitergezüchtet.4 Von Europa aus gelangte der Apfelbaum auf dem Seeweg in die neue Welt und nach Australien. Bei modernen Züchtungen wird, außer auf den Geschmack und gute Lagerfähigkeit, vor allem Wert auf Resistenz gegen Krankheiten gelegt, wie etwa dem Apfelschorf, der von einem Pilz mit dem Namen Venturia inaequalis verursacht wird. Die Weltapfelproduktion lag im Jahr 2018 bei rund 86 Millionen Tonnen.5 Mit rund vierzig Millionen Tonnen jährlicher Ernte ist China der größte Produzent, gefolgt von den USA mit rund fünf Millionen Tonnen und Polen, das im Jahr 2019 auf vier Millionen Tonnen kam. Aufgrund von Spätfrösten, Dürren und anderen meist klimatisch bedingten Faktoren, unterliegen die Erntemengen großen Schwankungen.

      Apfelbäume sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Wie jeder weiß, spielen Bienen eine wichtige Rolle in der Bestäubung ihrer Blüten. Es gibt Imker, die kommerzielle Bestäuberdienste in Apfelplantagen anbieten. Apfelbauern zahlen fünfzig Euro und mehr pro Bienenvolk, das während der Blüte in ihren Pflanzungen aufgestellt wird. Auch das Holz des Apfelbaums ist von außerordentlicher Güte. Es ist rötlich braun und weist viele verschiedene Nuancen und Spielarten in seiner Maserung auf. Zugleich ist es sehr hart. Von Pilzen kann es rasch zersetzt werden und sollte deshalb nicht im Außenbereich verwendet werden, gegen Insekten hingegen ist es fast immun. Wegen seiner geringen Verfügbarkeit ist Apfelholz sehr teuer, ein Kubikmeter Schnittholz wird mit bis zu 2 500 Euro gehandelt.6 Während es heute vor allem beim Bau edler Möbel Verwendung findet, nahm man es früher auch für Weinpressen oder Werkzeugstiele. Auf Streuobstwiesen werden Apfelbäume meist etwa achtzig bis hundert Jahre alt. In dieser Zeit entwickeln sie Stämme mit einem Durchmesser von fünfzig Zentimetern und mehr.

      In der Nähe von Oberpleis, auf der dem Rhein abgewandten Seite des Siebengebirges, gibt es die Baumschule Neuenfels, wo ich schon so manchen Apfelbaum für meine verschiedenen Pflanzprojekte gekauft habe. Der Inhaber Wolfgang Neuenfels ist ein sehr freundlicher Mensch mit großem Fachwissen. Er war es auch, der mich eines Nachmittags im frühen März mitnahm auf seinen lehmigen Acker und mir die Technik zeigte, mit der man ein Edelreis auf eine Unterlage pfropft. Edelreiser nennt man kurze, vitale Zweige, die im Januar vom Mutterbaum der jeweiligen Sorte geschnitten und bis zu ihrem Einsatz im März in einem Eimer voll Sand aufbewahrt werden. Es gibt verschiedene Methoden der Veredelung. Bei der sogenannten Geißfußveredelung etwa spitzt man den Edelreis ein wenig an, schiebt die Stelle unter die aufgeschlitzte Rinde der sogenannten Unterlage, bindet das Ganze mit einem Gummiband fest zusammen, versiegelt es mit Baumwachs, damit die Feuchtigkeit nicht entweichen kann und hofft, dass es anwächst.

      Apfelbäume werden also in der Regel vegetativ durch Transplan­tation, also eine Art Klonung, vermehrt. Ausgangspunkt ist in der Regel ein Baum, der durch freie Abblüte, also eine dem Zufall überlassene Bestäubung, entstanden ist und dessen Früchte und Wuchseigenschaften den Züchter überzeugt haben. Dieses Exemplar bekommt einen Sortennamen verpasst – zum Beispiel Boskop – und wird dann der Urvater aller Apfelbäume dieser Sorte. Ein Sortenzulassungsverfahren dauert heute etwa zwanzig Jahre.

      Mich beschäftigt zudem, dass das teure und edle Apfelholz als Motiv bei Pflanzungen so gut wie keine Rolle spielt. Die schnellwüchsige Fichte gilt, wie bereits erwähnt, ab einem Alter von siebzig Jahren als reif für den Hieb. Sie »produziert« in dieser Zeit zwar mehr Holz als der Apfelbaum. Dafür ist ihr Holz billig und sie wirft im Gegensatz zum Apfelbaum während ihres gesamten Wachstums keinen Ertrag ab. Besitzer von Streuobstwiesen sind meistens allein auf das Obst fixiert. Große Mengen edlen Apfelholzes landen eher als Brennholz im Ofen anstatt in der Werkstatt eines Möbeltischlers. Der Heizwert ist zwar auch nicht zu verachten, aber das Holz ist zum Verbrennen natürlich viel zu schade. Ich frage Wolfgang Neuenfels, ob er Apfelhochstämme mit einem Kronenansatz von etwa fünf Metern für möglich hält. »Ja«, antwortet er. »Das ginge bestimmt. Danach wird die Sache aber wahrscheinlich etwas instabil.« Fünf Meter astreines, teures Stammholz von edelster Qualität klingen für mich nach einer lohnenswerten Überlegung, wenn es darum geht, in Europa Obstkulturwälder anzupflanzen. Der Fachmann spricht hier von »Superhochstämmen«. Man bräuchte für die Ernte dann einfach höhere Leitern, beziehungsweise Hebebühnen, oder ganz einfach schwindelfreie Spezialisten, die gut klettern können. Ob der Wert des Holzes den Mehraufwand lohnt, ist erst einmal nebensächlich, weil derjenige, der den Superhochstamm pflanzt, die Holzernte sowieso nicht mehr erleben dürfte. Bäume zu pflanzen bedeutet ja fast immer, Werte zu schaffen, von denen auch die Nachwelt etwas hat. Bei der Geschwindigkeit, mit der das Land heutzutage unter den Füßen der Ungeborenen verscherbelt wird, ist das ein nicht zu vernachlässigender Faktor.

      Vision 2038

      Der Tag ist ganz nach meinem Geschmack. Schäfchenwolken tummeln sich watteweiß im Himmelblau, Frau Sonne lächelt mir zu, es ist angenehm warm, die Vögel zwitschern und eine gehörnte Mauerbiene, frisch dem Wildbienenhotel entschlüpft, umkreist summend meinen Kopf. Mit gespitzten Lippen pfeife ich ein lustig schiefes »Brüder zur Sonne zur Freiheit«, während ich gleichzeitig am Wasserstofftank in unserem Hinterhof ein halbes Pfund H2 in mein Brennstoffzellenfahrrad tanke. Die Sonne bringt die Solarzellen auf dem Dach auf Hochtouren. Im Keller läuft leise surrend der Elektrolyseur.

      Nach einer Minute ist der Tankvorgang beendet. Ich schwinge mich auf das Rad und radele los, hinein ins saftige Sommergrün des Naturparks Rhein-Westerwald. Unterstützt von den beiden E-Motoren in Vorder- und Hinterrad ist die 18-prozentige Steigung von Rheinbreitbach nach Bruchhausen trotz meiner bald siebzig Lenze ein Klacks. Im trockenen Laub am Wegesrand rascheln flinke Eidechsen. Ich drücke auf einen Knopf am Lenker und der Bordcomputer des Fahrrads schickt mir dezentes Latinogedudel auf die beiden Knöpfe in meinen Ohren. Als der Shuffle »Que pasarà mañana« von Joan Soriano anspielt, denke ich wehmütig an den denkwürdigen Bachata, den ich vor vielen Jahren mit meiner Tanzlehrerin Clara darauf getanzt habe und will die Musik gerade ein wenig lauter stellen, als ein lautes Krachen im Unterholz den Sound in meinem Ohr übertönt. Ich halte an und stoppe die Playlist. Das Krachen wird lauter und dann kommen sie. Als erstes bricht die Leitkuh durch das Gebüsch. Hinter ihr her trabt die Herde mit den Kälbern. Als Nachzügler zotteln drei Jungbullen über den Waldweg. Insgesamt sind es wohl mehr als dreißig Tiere.

      »Auerochsen sind doch immer wieder ein Erlebnis«, denke ich mir und trete wieder in die Pedale. Der Musik überdrüssig wechsle ich auf einen Nachrichtensender. Es läuft ein Interview mit Georg Huter, seines Zeichens CEO von »Waldweide«, Europas größtem Hirtenkonzern.

      Frager: … lange Zeit galt Waldweide als entschiedener Gegner von Wolf, Bär und Luchs. Ihre Vorgänger haben sogar eine erneute Ausrottung der drei großen Beutegreifer außerhalb von Nationalparks gefordert, obwohl dies einen klaren Verstoß gegen unsere Biodiversitätsrichtlinien bedeutet hätte. Nun fordern Sie ein komplettes Verbot der Abschüsse. Woher kommt dieser Richtungswechsel um 180 Grad?

      Huter: Beutegreifer stellen traditionell eine Gefahr für Weidetiere dar. Das war seit Anbeginn des Hirtenwesens so und wird auch immer so bleiben. Dennoch ist es gelungen, durch die Kombination von mobilen Zaunsystemen, Überwachungsrobotern, Herdenschutzhunden und des beherzten, unermüdlichen Einsatzes unserer Hirten, dieser Gefahr Herr zu werden. Tatsächlich hat das Ende des staatlichen Schadensausgleiches bei Rissen zu entsprechenden, marktwirtschaftlich bedingten Investitionen in IT, Hundezucht, intelligente Elektrozäune und Personal geführt, die