der durch Jäger entsteht.
Frager: Bitte erläutern Sie das etwas genauer.
Huter: Nun ja. Ein Konzern wie Waldweide nimmt eine Menge Geld in die Hand, damit wir unseren Kunden am Ende zu einem erschwinglichen Preis gesundes Fleisch aus der besten aller möglichen Nutztierhaltungen anbieten können. Ein Jäger hingegen braucht – platt ausgedrückt – nur für seine Patrone zu zahlen. Die kostet nicht mehr als zwei oder drei Euro. Er erhält also beim Abschuss eines Jungbullen schnell mal 220 Kilogramm Rindfleisch sozusagen zum Nulltarif.
Frager: Aber seit der Novellierung der Jagdgesetze und der Einführung eines Markensystems nach kanadischem Modell dürfen die Jäger ihr Fleisch gar nicht mehr verkaufen.
Huter: Das stimmt und das ist auch gut so. Aber mit dem Fleisch eines Bullen wird eine Jägerfamilie fast ein Jahr lang satt und fehlt uns somit als Konsumentin. Das unterscheidet sie von einem Wolfsrudel. Außerdem ist es der Politik bis heute nicht gelungen, den Schwarzmarkt für Wildfleisch trockenzulegen.
Frager: Auf der anderen Seite beklagen sich Vertreter Ihrer Branche ständig über die Nahrungskonkurrenz durch Herden von Auerochsen, Wisenten, Wildpferden und Onager, die Ihnen auf den freien Weideflächen entstehen. Wären die Raubtiere allein denn wirklich in der Lage, das heute zu beobachtende exponentielle Wachstum dieser Herden in Schach zu halten?
Huter: Ich plädiere hier sicherlich nicht für eine Abschaffung der Jagd als solcher. Aber nur gemeinsam mit Luchs, Bär und Wolf wird es der Jägerschaft gelingen, die Größe der wilden Herden auf einem erträglichen Maß zu halten.
Frager: Herr Huter, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Ich bringe die letzten Meter Hochwald hinter mich. Der Weg verläuft hier unter einer schönen, hundertjährigen Eichenallee. Der örtliche Baumschutzverein hat erreicht, dass sie aus der Holznutzung genommen wurden. Theoretisch dürfen sie nun also ihre tausend Lebensjahre vollmachen. Man munkelt im Dorf, dass auch hier ein wenig Lobbyarbeit der Hirtenkonzerne mitgespielt hat. Schließlich brauchen sie die Eicheln für ihre Schweinemast.
Bruchhausen liegt auf einer weiträumigen Terrasse zwischen dem Rheintal und den Höhenzügen des Westerwaldes. Nach steilem Aufstieg radele ich nun also auf ebener Erde. Hier, wo bis in die ausgehenden 2010er-Jahre der düstere Fichtenforst des Grafen Renesse das Bild bestimmte, ist ein schöner Hutewald entstanden. Ich erinnere mich noch genau an das Bild der Verwüstung, das im März 2019 das Sturmtief Gisela hinterlassen hatte. Damals sah es ein wenig so aus, als hätten Riesen hier Mikado gespielt. Was Gisela übrig ließ, holte sich im folgenden Dürresommer der Borkenkäfer. Da der erbenlose und schon recht betagte gräfliche Besitzer der Gemarkung nicht in eine weitere Aufforstungsmaßnahme investierte, bekam die Natur freie Hand und es konnte sich eine bunte Baummischung entwickeln, die vornehmlich aus Wildkirschen, Eschen, Ebereschen, Ahorn und Eichen besteht. Schwarz und süß hängen die reifen Kirschen. Lärmend macht sich ein Schwarm von Staren im Geäst zu schaffen. Wieder halte ich mein Rad an und mache Platz für einen Waldweide-LKW. Er bringt die Schweineherde. Hinter ihm fährt der Technikwagen mit den Ernterobotern. Gleichzeitig nähert sich meckernd aus den Tiefen des Hutewaldes die Ziegenherde mitsamt dem Schäferhund und zwei Ziegenhirten. Einer von ihnen ist mein guter Freund Yonis, der Mitte der 2010er-Jahre als Geflüchteter aus Somalia bei uns strandete und einem alten Hirtengeschlecht entstammt. Der andere, ein stämmiger Bursche mit blauen Augen und blonder Kurzhaarfrisur, ist sein Lehrling. Erfreut begrüßen wir uns per Handschlag.
»Ich hab’ deinen Honig dabei.«
»Sehr gut. Komm, Timm. Ich lade dich auf eine Tasse Tee ein. Bis die ihre Schweine abgeladen haben und wir unsere Ziegen aufladen können, haben wir locker noch eine halbe Stunde Zeit.«
Obwohl mir eigentlich mehr nach Weiterradeln zumute ist, kann ich die Einladung natürlich nicht ausschlagen. Yonis gibt dem Lehrling kurz ein paar Anweisungen und gemeinsam gehen wir zu seinem Tiny-Home-Hirtenwagen. Auf engstem Raum beherbergt das Gefährt eine kleine Küche, eine Schlafgelegenheit, ein Bad und einen Wohnraum. Das intelligente Konzept bietet konzentriert jeglichen Komfort des 21. Jahrhunderts. Den Strom liefert ein Solarmodul, Wasser kommt entweder aus dem Tank oder dem Hydranten. Ich gebe ihm die beiden Honiggläser, die er bei mir bestellt hat. Yonis setzt Wasser auf, nimmt zwei Tassen, gibt Teebeutel hinein, und als der Kessel zu pfeifen beginnt, überbrüht er sie mit sprudelnd kochendem Wasser.
»Schön hast du es hier drin«, sage ich. »Gemütlich.«
»Ja. Hier habe ich alles, was ich brauche. Wir haben uns jetzt einen zweiten besorgt. Dann kann Asmah mit den Kindern in den Schulferien mit mir zusammen über die Weidegründe ziehen. Die mögen das. Ansonsten weißt du ja, führe ich das Leben eines Seemanns. Nur dass mein Meer die Weide ist. Vier Wochen draußen mit den Ziegen und den Hunden – zwei Wochen bei Frau und Kindern.«
»Aber du verdienst doch gutes Geld!?«
»Natürlich. Ich will mich auch nicht beklagen. Ich sage nur, wie es ist. Mit Ziegen kenne ich mich aus. Den ganzen Computerkram drumherum, die Überwachungsdrohnen, intelligente Zäune, Schrecksysteme – das ganze Brimborium habe ich mittlerweile auch ganz gut drauf. Hier oben haben die Ziegen Brombeerranken gefressen. Jetzt kommen die Schweine drauf. Ich glaube, Stanislaw mit seinem Hühner-LKW kommt auch noch. Kirschen gibt es dieses Jahr ja wirklich in Hülle und Fülle. Du solltest mal die Ertragssorten in den Obstwaldgebieten sehen. Die hängen alle voll mit dicken Herzkirschen.«
Yonis mag es süß. Er rührt sich einen großen Esslöffel voll Honig in seinen Tee. Aus den Tassen schlürfend treten wir aus der Tür und sehen dem Abladen der Schweineherde zu. Es sind schöne fette Sattelschweine, die nun lustig grunzend im Schweinsgalopp die Laderampe des LKW heruntergelaufen kommen. Einer der Hirten belädt einen Esel mit »Berry-Pickern«. Das sind raupenähnliche Spezialroboter, die am Kopf mit Scherenhänden und auf dem Rücken mit Solarmodulen ausgestatten sind. Als die Packtaschen von Meister Langohr voll mit den etwa handtellergroßen Ernterobotern sind, setzt sich der Schweinehirt mit ihm in Bewegung und gemeinsam gehen sie die Kirschbäume ab. Bei jedem Baum hält der Hirte an, um einen der Roboter aus den Packtaschen an den Stamm zu setzen. Sofort setzt sich die Maschine in Bewegung, kriecht zum ersten kirschbehangenen Ast und macht sich daran, die Kirschstiele zu kappen. Bald schon hat ein langsamer, aber stetiger Kirschregen eingesetzt. Schmatzend beginnen die Schweine zu fressen.
»Wenn die Schweine und Hühner hier durch sind, schlägt die Stunde der Bodenbrüter«, erklärt Yonis. »Drei Jahre wird hier Getreide angebaut – und zwar kiebitz- und lerchenkompatibel in lichten Reihen. Die Bäume stehen so locker, dass genug Licht dafür einfällt. Ein paar von ihnen sollen wohl auch gefällt werden. Der junge Graf braucht schnelles Geld und der Markt für Kirschholz ist gerade ausgesprochen gut. Danach drei Jahre Schafweide, dann liegt das ganze fünf Jahre lang brach und darf verbuschen, damit der Baumbestand sich verjüngen kann, und dann bin wieder ich mit meinen Ziegen dran.«
Bei den Schweinen lässt sich mittlerweile das soziale Gefüge erkennen. Die Sauen mit den Ferkeln bilden eine große Herde. Daneben haben sich einige Grüppchen von jungen Ebern abgesondert. Einige haben einen »großen Bruder« dabei, der auf sie aufpasst. Obwohl Yonis als Muslim kein Schweinefleisch isst, kennt er sich mit den Tieren sehr gut aus.
»Sieh mal, die ›großen Brüder‹. Das sind die Zuchteber von morgen. Ihre Schützlinge sind nach der Kirschmast reif für die Grillsaison. Die sind im Winter im Stall geboren und erst mal mit dem ›tropischen Mix‹ gefüttert worden. Seit dem Aus für die großen Soya-Monokulturen exportiert Brasilien jetzt aus seinen Waldgartensystemen Trockenfutter aus Mango, Brotfrucht, Avocado und verschiedenen Palmfrüchten und anderen Obstsorten, die an Bäumen wachsen. Tropischer Mix und danach Kirschmast. Solch gute Zutaten merkt man natürlich im Fleischgeschmack. Anfang des Jahrhunderts wären die Sattelschweine fast ausgestorben, weil sie so gut Fett ansetzen. Das muss man sich mal vorstellen! Wo doch im Fett der meiste Geschmack sitzt!«
»Mir läuft das Wasser im Munde zusammen.«
»In fünf Wochen kommt das mobile Schlachthaus. Die Herde wird geteilt. Was geschlachtet werden soll bleibt da, der Rest zieht weiter. Tiertransporte zwischen den Weidegründen sind ja noch erlaubt, wie du da siehst. Tiertransporte in den