leuchtete sorgfältig den Weg aus. Die Abdrücke der Reifenprofile waren durch den Regen schon fast verschwunden und weit und breit war von dem Fahrzeug nichts zu sehen. Kopfschüttelnd stapfte ich hin und her, achtete weder auf die Zweige, die mir gegen den Kopf stießen, noch auf den Regen, der heftig niederprasselte. Erst nachdem ich sicher war, nichts, aber auch gar nichts zu finden, was nicht hierher gehörte, setzte ich meinen Spaziergang fort. So fest hatte ich damit gerechnet, mit dem Wagen habe jemand Müll oder Gartenabfälle entsorgt. In Gedanken hatte ich schon Anzeige erstattet und nun fragte ich mich, warum jemand so heimlich hier auftauchte, wenn er nichts zu verbergen hatte. Ein weiteres Mal umrundete ich das Moor, ohne etwas zu entdecken.
Langsam wurde es hell. Es hatte aufgehört zu regnen. Ich blieb stehen, knipste meine Taschenlampe aus, verstaute sie im Rucksack und wandte mich zum Gehen. In diesem Moment fiel mein Blick auf eine Erle direkt neben dem Weg. Ein Ast war herausgebrochen und die Wunde schimmerte hell. Ich schaute mich um, wo der abgerissene Ast geblieben war und gewahrte ihn im Moor in einer Wasserstelle. Er war armdick und sah fast aus wie ein kleiner Baum, der im Morast steckte. Verärgert trat ich vorsichtig auf den feuchten, wabbernden Boden und wollte den Ast hochziehen. Er war so schwer, als hinge ein Gewicht daran, und ich musste meine ganze Kraft aufbieten, um die Fracht an Land zu ziehen. Ich mühte mich ab, schwitzte und stöhnte und endlich, nach mehrmaligen Versuchen gab die Erdmasse so plötzlich nach, dass ich lang hinschlug und mit einem unheimlichen gurgelnden Geräusch schoss der Ast und mit ihm einige bunte Stofffetzen aus dem brackigen Wasser empor.
Erschöpft rappelte ich mich auf und schaute nach dem bunten Müllberg, der nun aus dem Wasser ragte. Diesmal griff ich kräftig mit beiden Händen zu, um im selben Moment das Bündel entsetzt fallen zu lassen. Ich hatte die kalte Hand eines menschlichen Wesens gespürt. Mit klopfendem Herzen und vorsichtigen Blicken in alle Richtungen, öffnete ich das Bündel - und starrte auf die Leiche einer jungen Frau. Eine kalte Faust griff nach meinem Herzen und presste es zusammen. Schweiß trat mir auf die Stirn und mein Atem keuchte. Verstohlen schaute ich mich erneut ängstlich um. War außer mir jemand hier? Ich hörte nur das Rauschen der Bäume. Der Dunst versteckte die leisen Schmatzgeräusche des modrigen Bodens unter seinem unheimlichen Tuch. Ich war allein. Niemand war da.
Die Tote vor mir war blond, sie trug Jeans und einen roten Pullover. Ihre Haut wirkte gespenstisch aufgequollen, um ihren Hals lag ein Lederriemen, der deutliche Spuren auf der Haut hinterlassen hatte. Sicher war sie schon einige Tage tot. Während ich sie betrachtete, beruhigte sich mein Herzschlag und urplötzlich schob sich das Bild einer anderen Frau in mein Gedächtnis. Daraufhin schaute ich mir die Tote genauer an und erstarrte. Die Frau trug nur am linken Ohr einen Ohrring, ein Granat in Tropfenform, am rechten nicht. Verwirrt griff ich nach meinem Handy, doch meine Gedanken waren bei dem fehlenden Ohrring, und abrupt steckte ich das Handy in die Tasche, machte das Bündel wieder zu, richtete mich auf, fasste den Zweig, der die Leiche unter Wasser gehalten hatte, und stieß ihn samt seiner grausigen Fracht zurück in den Sumpf.
Sorgsam verwischte ich meine Fußspuren und achtete darauf, dass alles so war, wie ich es vorgefunden hatte, schlich zum Weg zurück und lief mit klopfendem Herzen und keuchendem Atem nach Hause.
Wenige Stunden später befand ich mich auf dem Weg nach Baden-Württemberg. Vor zwanzig Jahren hatte ich mehrere Jahre in Singen verbracht und fuhr regelmäßig mehrmals im Jahr dorthin. Das Häuschen hatte ich abgeschlossen und den Schlüssel meiner Schwägerin übergeben. Gerda war überrascht von meiner unvorhergesehenen Abreise und schaute kopfschüttelnd meinem roten BMW hinterher.
»Jetzt tickt sie ganz durch, deine Schwester. So Hals über Kopf abzuhauen!«
Hermann Landner lachte. »Du kennst sie ja. Sie ist immer für eine Überraschung gut!«
Es war in einem kleinen Ort nahe Heidelberg vor über zwanzig Jahren. Alfred und ich hatten ein Zimmer in einem Landgasthaus gemietet. Es waren große Ferien und am zweiten Abend unseres Aufenthalts kam Alfred mit einem Rosenstrauß und machte mir einen Heiratsantrag, den ich gern und sofort annahm. Der Verlobungsring war ein schlichter Goldreif mit einem kleinen eingefassten Granaten. Noch nie war ich so verliebt gewesen und so uneingeschränkt glücklich.
Wir kannten uns erst wenige Monate, doch mir kam es vor, als seien wir immer zusammen gewesen, so wohl fühlte ich mich in seiner Gegenwart. Er war etwa einen Kopf größer als ich, schlank und hatte stets ein Lächeln auf den Lippen. Seine braunen Augen nahmen manchmal einen etwas melancholischen Ausdruck an, was ihn in den Augen der Frauen besonders interessant machte. Es störte mich, dass er oftmals in Anwesenheit einer schönen Frau anzutreffen war. Natürlich bemerkte er meine Eifersucht, nahm mich in den Arm und flüsterte: »Du bist die einzige Frau, die mir wirklich etwas bedeutet.«
Das beruhigte mich ungemein und einige Wochen später machten wir unsere Verlobung offiziell. Eine große Feier in meinem Elternhaus mit Freunden und Bekannten führte Alfred in die Gesellschaft unseres Dorfes ein, aber es hätte solcher Unterstützung gar nicht gebraucht. Alfred Derfeld hatte sich durch sein liebenswürdiges und hilfsbereites Wesen in unserem Ort schnell Freunde gemacht. Er nahm sich ein Zimmer in der Nähe und gehörte bald einfach dazu. Die Hochzeitsvorbereitungen waren in vollem Gange, die Feier sollte Ende Oktober stattfinden. Wir sahen uns Wohnungen an und überlegten, ob wir eventuell ein Haus kaufen sollten, als Alfred plötzlich den Wunsch äußerte, für einige Tage dem ganzen Wirbel zu entfliehen. Ich ließ mich nur zu gern überreden und wir fuhren in den Herbstferien in das Hotel, in dem wir uns kennengelernt hatten. Diesmal hatte Alfred eines der zum Hotel gehörenden Wochenendhäuser gemietet.
Schon bei der Ankunft wirkte er abwesend und verschlossen. Ich schob es auf die bevorstehende Hochzeit. Am zweiten Tag erklärte er mir, er müsse dringend mit seinen Eltern reden und ließ mich allein am Urlaubsort zurück.
Seine Eltern waren trotz Einladung nicht zur Verlobung erschienen, Alfred gab berufliche Gründe dafür an. Ich hatte sie nie gesehen, auch sonst wusste ich nichts von seiner Familie, außer, dass sie in Heidelberg wohnten. Ich hätte sie gern kennengelernt, aber da er mich nicht mitnahm, schloss ich daraus, dass seine Eltern nicht mit mir einverstanden waren.
Die beiden Tage ohne ihn verbrachte ich mit Wandern und Bummeln. Als ich am zweiten Abend in das Häuschen zurückkam, war er noch immer nicht da. Ich ging ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen und erstarrte vor Schreck. Eine blonde Frau lag voll bekleidet auf dem Bett, die Augen weit aufgerissen. Ein Tüllschal war wie einen Strang um ihren Hals gezogen, der tief ins Fleisch einschnitt.
Ich trat vorsichtig zu ihr und berührte sie an der Schläfe. Sie war tot! Ein gellender Schrei ertönte, so laut und schrill, dass ich erst Sekunden später registrierte, dass er aus meiner Kehle stammte. In Panik rannte ich hinaus und lief zum benachbarten Hotel hinüber. Es gab einen riesigen Tumult und in Windeseile hatte sich das Geschehen im ganzen Ort herumgesprochen.
Die Polizei riegelte den Fundort ab, löcherte mich mit Fragen und hielt mich stundenlang fest. Zum Glück hatten mich mehrere Menschen, kurz bevor ich das Wochenendhaus betrat, gesehen und man konnte mir keine Schuld an ihrem Tod nachweisen. Auch nach Alfred wurde ich befragt. Da er seit zwei Tagen fort war, kam er somit als Täter nicht in Betracht. Die Tote war nach Angaben der Polizei erdrosselt worden, wahrscheinlich mit dem Tüllschal, den ich an ihrem Hals gesehen hatte.
Die junge Frau hatte als Verkäuferin in einer Lotto-Annahmestelle gearbeitet und war überall im Ort bekannt. Wir hatten sie bei unserer Ankunft gesehen. Sie hatte Alfred mit ihren blauen Augen angehimmelt und mir war aufgefallen, dass sie zwei unterschiedliche Ohrringe trug, eine schlichte Creole am rechten Ohr und am linken eine kleine Kette mit einem Kreuz am unteren Ende, welches fast bis auf ihre Schulter baumelte. Als der Rechtsmediziner sie untersuchte, trug sie nur die Creole, die Kette mit dem Kreuz fehlte.
Ich durfte unter Aufsicht einer Polizistin meine Sachen zusammenpacken, worüber ich insgeheim froh war, denn ich hätte keine einzige Stunde mehr in diesem Holzhaus verbracht. Danach wurde das Häuschen von den Beamten versiegelt und mir wurde ein Zimmer im Hotel zugewiesen. Obwohl ich völlig erledigt war, tat ich die ganze Nacht kein Auge zu.
Am nächsten Tag wurde mir von den Kriminalbeamten eröffnet, dass man die Tat zu einer Serie von Wochenendmorden zählte. In den vergangenen Monaten hatte es in der näheren Umgebung bereits