einmal voll ins Schwarze getroffen. Eigentlich sollte ich ihr dankbar sein.
Es war weit nach Mitternacht, als ich zu Hause ankam. Meine Schwägerin hatte die Zeitungen und meine Post auf dem Esszimmertisch gestapelt. Ich warf einen flüchtigen Blick darauf, fand nichts Besonderes und ging gleich zu Bett.
Nach nur drei Stunden Schlaf wachte ich auf und stolperte zum Kühlschrank, um einen kleinen Imbiss zu nehmen. Ich machte mir einen starken Kaffee, holte die neue Zeitung aus dem Briefkasten und vertiefte mich darin. Es war gerade sieben Uhr, als ich mich anzog und zu einem Ausgang startete. Leichter Nebel lag über den Wiesen und es war kühl, es würde ein schöner Tag werden. Im Hühnermoor angekommen, fand ich alles so vor, wie ich es verlassen hatte. Nach einem Moment des Zögerns, setzte ich all meine Kräfte ein, zog an dem Ast und mit klopfendem Herzen beobachtete ich, wie das morastige Wasser nach und nach das Bündel mit der Toten freigab. Erschöpft sank ich neben dem Fang zu Boden, riss daran und obwohl ich wusste, was mich erwartete, erfasste mich ein würgendes Gefühl der Übelkeit, als ich plötzlich das fast bis zur Unkenntlichkeit verquollene Gesicht vor mir sah. Mit zitternden Gliedern erhob ich mich, registrierte im Unterbewusstsein, dass wirklich nur ein Ohrring da war, entfernte mich ein Stück vom Fundort und holte mein Handy aus der Tasche.
Bis zum Eintreffen der Polizei hockte ich mich etwas abseits auf den Boden und überlegte, wie der grausige Fund ins Moor gelangt war. Der Bulli, der vor einigen Tagen etwa fünfzig Meter von hier abgestellt war, konnte damit in Zusammenhang stehen. Ich ging zu der Stelle, an der das Fahrzeug gestanden hatte, aber es waren keine Reifenspuren mehr zu sehen, schließlich waren drei Tage vergangen. Gerade als ich zurückging, rollte langsam ein Polizeiwagen heran und blieb direkt vor mir stehen.
Himmel, dachte ich, sie sind nur zu zweit gekommen, als hätte ich ihnen einen Bären aufgebunden.
Eine junge Frau mit perfekt sitzender Uniform und ebenso perfektem Make-up, sprang aus dem Wagen.
»Guten Morgen«, grüßte sie freundlich. »Sind Sie die Dame, die uns angerufen hat?«
»Allerdings«, gestand ich leicht gereizt und ging ohne Umschweife durchs Gebüsch, den schmalen Weg entlang, bis an den Rand des Moores.
»Hier liegt sie«, sagte ich trocken und zeigte auf den feuchten Stoffballen.
Die Polizistin strebte darauf zu, zog mit spitzen Fingern den bunten Stoff zur Seite und wurde augenblicklich kalkweiß im Gesicht. Sie trat entsetzt einen Schritt zurück, wandte sich angewidert ab und wankte zitternd zum Wagen zurück. Ihr Kollege stand in der offenen Fahrertür, beobachtete sie grinsend und empfing sie mit den Worten: »Sieht aus, als könntest du einen Schnaps vertragen!«
Sie antwortete nicht, griff an ihm vorbei ins Wageninnere, holte das Mikro heraus und forderte mit belegter Stimme die Kriminalpolizei und einen Polizeiarzt an.
»Sieh zu, dass du in die Gänge kommst«, pfiff sie ihren Kollegen an. »Sperr den Weg ab, damit wir keinen unerwünschten Besuch bekommen.«
Der Kollege machte sich immer noch grinsend an die Arbeit, holte rot-weißes Band und Stäbe aus dem Kofferraum, sicherte die Fundstelle ab und erst danach wagte auch er einen Blick auf die Tote und das Grinsen in seinem Gesicht wich einer vom Schreck geprägten Grimasse. Im Nu wechselte seine frische Farbe in einen grünlich blassen Ton. Mit einer plötzlichen Drehung erbrach er sich hinter einem Strauch und kam verzagt wieder hervor. Seine Kollegin eilte mit versteinerter Miene hinzu und bedeckte die Leiche mit einer grauen Decke.
Ich beobachtete die Szenerie, als stünde ich auf einer Bühne, was sicher auf Außenstehende als kalt und herzlos empfunden wurde, aber ich wusste ja seit ein paar Tagen von der Toten und meine Gedanken befassten sich unablässig mit dem Mörder, den ich zu kennen glaubte, obwohl ich keinen Beweis dafür hatte.
Es dauerte nicht lange, bis Arzt und Kripo eintrafen. Der Kommissar, ein Mann Ende dreißig, schlank, fast hager, mit dichten dunklen Haaren, stellte sich mit Hauptkommissar Tann vor. Er warf einen kurzen Blick auf die Leiche und kam dann zu mir.
»Sie haben die Leiche entdeckt?«, vergewisserte er sich und zückte seinen Notizblock.
Ich nickte stumm und sah ihn erwartungsvoll an. Anscheinend war er wohl der Ansicht, es sei an mir, mich zu äußern. So gab ich ihm meine Anschrift und meinen Namen und wartete auf seine Fragen.
Er ging hingegen zu der Toten, die mit der grauen Decke verhüllt worden war, wechselte einige Worte mit dem Arzt und winkte mich heran. Zögernd folgte ich seiner Aufforderung.
»Wann haben Sie die Tote gefunden, Frau Landner?«
Da war sie, die Frage, die ich befürchtet hatte. Die ganze Zeit hatte ich gegrübelt, was ich darauf antworten sollte. Jetzt entschloss ich mich zur Wahrheit.
»Am Dienstagmorgen, so gegen sechs Uhr in der Frühe.«
Der Kommissar sah mich erstaunt an und seine braunen Augen waren aufmerksam auf mich gerichtet.
»Am Dienstag?«, wiederholte er ungläubig und sein Notizblock glitt ihm aus der Hand. Er bückte sich schnell, hob ihn auf und ließ mich dabei nicht aus den Augen.
Ich nickte bestätigtend und überlegte mir eine plausible Erklärung. Hörte mich dann zu meiner Überraschung sagen: »Am Dienstag habe ich mich über das Kleiderbündel aufgeregt und wollte es aus dem Schlamm ziehen, es war mir zu schwer. Zu allem Überfluss begann es zu regnen und ich gab auf. Heute Morgen habe ich es dann erneut versucht.«
Kommissar Tann sah mich skeptisch an, notierte sich meine Aussage, schlug die Decke zurück, mit der die Leiche bedeckt war, und wollte wissen: »Kennen Sie die Tote?«
Ich verneinte und bemühte mich angestrengt, nicht in das wässrig aufgedunsene Gesicht zu schauen. In diesem Moment kam der Arzt, der vorher zu seinem Wagen gegangen war, zurück und erklärte: »Wir haben in ihrer Jeanstasche ein kleines Portemonnaie gefunden. Es war eine Plastikkarte der Sparkasse Gütersloh darin. Sie heißt Sonja Bonder. Höchstwahrscheinlich erdrosselt. Bei dem Lederriemen handelt es sich wohl um eine Hundeleine.«
Der Arzt war mittelgroß und schlank. Er machte auf mich einen gehetzten Eindruck. Sein Alter schätzte ich auf sechzig.
»Können Sie bereits etwas über den Todeszeitpunkt sagen, Doktor?«, erkundigte sich Kommissar Tann und ich wartete gespannt auf die Antwort.
Der Arzt hatte sich schon zum Gehen gewandt und zuckte die Schultern. »Ein paar Tage sicherlich, vielleicht auch eine Woche. Das muss die Obduktion klären. Sie lag zu lange im Wasser, um Genaueres sagen zu können.« Er holte tief Luft, sah auf die Tote, bückte sich, zog die Decke wieder über das Gesicht der Frau und eilte ohne ein weiteres Wort davon.
Der Kommissar befasste sich nun mit mir. »Sind Sie sicher, diese Frau nie gesehen zu haben?«
Ich ging in Gedanken erneut alle meine Bekannten durch und nickte. »Die Frau ist mir völlig unbekannt.«
Der Kommissar sah mich an und holte zu einer weiteren Frage aus. »Sie waren Lehrerin in Gütersloh. Könnte es eventuell eine ehemalige Schülerin von Ihnen sein?«
In diesem Moment hielt ein dunkler Kombi etwas entfernt an dem schmalen Fußweg, was mich einer Antwort enthob. Zwei Männer stiegen aus, holten einen Metallsarg aus dem Auto und kamen zu uns herüber. Sie legten die Tote hinein, gingen den Weg zurück, schoben die grausige Fracht in den Wagen und fuhren mit knappem Gruß zu den Beamten, die dort den Weg absperrten, davon. Einige Leute von der Spurensicherung streunten weiterhin durch das Gelände, fanden aber augenscheinlich nichts.
Ich überlegte, ob ich von dem Bulli erzählen sollte, der vor Tagen etwas weiter im Gebüsch gestanden hatte, verwarf den Gedanken sofort und fragte stattdessen den Kommissar: »Kann ich gehen oder benötigen Sie mich noch?«
Er war mit den Gedanken woanders, schrak ein wenig auf und lächelte schwach. »Gehen Sie nur, ich habe ja Ihre Adresse. Wenn Unklarheiten bestehen, melde ich mich.«
Langsam verließ ich die Stätte des Grauens. Am Ende des Weges schaute ich mich um. Kommissar Tann war an den Rand des Moores getreten und sprach mit einem Kollegen der Spurensicherung.