Gisela Garnschröder

Die Leiche im Hühnermoor


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Feuchtigkeit, dehnen sich oder ziehen sich zusammen.«

      Ich nickte. »Daran habe ich ebenfalls gedacht. Vielleicht lag es auch an dem Telefongespräch, dass ich mich so aufgeregt habe.«

      »Telefongespräch?« Marita sah mich erstaunt an.

      »Du warst längst im Bett. Nach Mitternacht rief jemand an, er hatte sich verwählt.«

      Wir standen auf, räumten gemeinsam den Tisch ab und plötzlich meinte Marita: »Du wohnst über ein Jahr hier im Haus. Wie ist es möglich, dass du sonst nie etwas gehört hast?«

      Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, in der Regel schlafe ich fest.«

      »Dann sollten wir das Ganze vergessen. Sicher hat deine Wahrnehmung dir einen Streich gespielt.«

      Marita nahm meinen Arm und wir gingen in den Garten.

      In der nächsten Nacht schlief ich tief wie immer.

      Am Morgen bedauerte mich Marita: »Du konntest wieder nicht schlafen, nicht wahr?«

      »Im Gegenteil, ich habe von der Nacht nichts mitbekommen«, sagte ich, während ich die Frühstücksbrötchen in den Backofen legte.

      »Nun mach mal einen Punkt. Ich habe dich gehört, sogar deine Schritte auf der Treppe.« Ich sah sie so entsetzt an, dass sie blass wurde. »Die Schritte haben vor meiner Tür angehalten, ich wollte dich rufen, habe es aber unterlassen«, brachte sie kleinlaut heraus.

      Sie setzte sich an den Tisch und ich schenkte Kaffee ein. Sie führte die Tasse zum Mund und ihre Hand zitterte.

      »Es war jemand im Haus, Elli. Ganz sicher.«

      Der Duft frischer Brötchen verteilte sich langsam in der Küche, doch wir saßen am Tisch und es lief uns kalt über den Rücken.

      »Gestern hast du das noch ganz anders gesehen«, flüsterte ich schwach.

      Marita, deren Gesicht allmählich Farbe bekam, wisperte: »Tut mir leid, ich habe dir nicht geglaubt. Jetzt habe ich es selbst gehört. Du darfst auf gar keinen Fall allein hier im Haus bleiben!«

      Ich stand auf, holte die Brötchen aus dem Backofen, stellte sie auf den Tisch und zerstreute Maritas Bedenken. »Von einem Geist werde ich mich garantiert nicht vertreiben lassen!«

      Am Nachmittag, nachdem Marita abgereist war, untersuchte ich gründlich das Haus. Anschließend sprach ich mit meiner Schwägerin. Auch sie konnte sich die Geräusche nur als Dehnungsgeräusche im Holz erklären.

      Gerda war nicht gut auf mich zu sprechen, weil sie erst aus der Zeitung erfahren hatte, dass ich im Hühnermoor eine Leiche entdeckt hatte.

      »Dreimal war heute ein Reporter hier und hat mich gefragt, ob uns etwas aufgefallen sei, dabei liegt das Moor fast zwei Kilometer entfernt«, empörte sie sich. »Wenn du schon dort des Nachts Leichen aufstöberst, dann informiere uns bitte demnächst.«

      Ich wollte keinen Streit und entschuldigte mich bei ihr, worauf sie leicht grinsend bemerkte: »Besser, du findest sie als ich.«

      In dem Moment kam mein Bruder hinzu und machte seinem Ärger Luft. »Diese Reporter stöbern überall herum. Sie stiefeln rücksichtslos durch das Korn und zertrampeln mir die Äcker!«

      Als Gerda ihm von den nächtlichen Geräuschen erzählte, fauchte er mich an: »Wenn ich eine Leiche ausgebuddelt hätte, würde ich ebenso an Halluzinationen leiden! Was stromerst du eigentlich im Dunkeln durchs Moor?«

      Damit war für ihn das Thema erledigt und ich schlief in den nächsten Tagen trotzdem gut, denn die Geräusche traten nicht wieder auf.

       III

      Mittlerweile hatte die Polizei nähere Erkenntnisse zum Mordfall Sonja Bonder. Es handelte sich bei der Toten um eine junge Frau aus Bad Oeynhausen, die einige Zeit in Gütersloh gewohnt hatte. Die Eltern hatten ihre Tochter als vermisst gemeldet, weil sie seit Kurzem wie vom Erdboden verschwunden war. Ihr richtiger Name war Sonja Manuela Bonder, sie war zweiundzwanzig Jahre alt, blond und etwa ein Meter fünfundsiebzig groß. Sie hatte im Sommer des vergangenen Jahres in Gütersloh ein Praktikum bei der Stadtverwaltung absolviert.

      Sofort nachdem ich diese Neuigkeiten erfahren hatte, machte ich mich auf den Weg zu Kirsten Vollmann.

      Kirsten hatte mich schon erwartet und teilte mir mit, dass ihre Nachfragen im Eiscafé ebenso negativ verlaufen waren wie meine und rätselte: »Warum sollte ein Mädchen als Bedienung aushelfen, wenn es bei der Stadtverwaltung ein Praktikum macht?«

      Ich nahm einen ihrer Reklamezettel zur Hand und sah nachdenklich auf den Spruch: ›Vor Vollmann ist kein Geheimnis sicher!‹

      »Dein Spruch ist nicht unbedingt richtig. Zumindest Raouls Geheimnis hast du nicht gelüftet«, lästerte ich freundschaftlich.

      »Es ist alles eine Frage der Zeit«, ging sie auf meinen Ton ein und zwinkerte mir zu. Sie holte einen Ordner aus dem Regal und zeigte mir ein Foto. »Ist das die Gesuchte?«

      Ich sah verblüfft auf das Bild. Es war im Sommer aufgenommen worden. Vor einem Tisch mit mehreren Personen stand eine Blondine mit einer braunen, langen Schürze. Sie hielt einen Block in der Hand, um eine Bestellung zu notieren. Die junge Frau trug ihr Haar hochgesteckt und ein roter Ohrring hing ihr bis auf die Schulter.

      »Woher hast du das?«

      Kirsten grinste. »Mein Geheimnis! Das Bild wurde am Dreiecksplatz aufgenommen.«

      »Ich sehe es. Also hat Raoul gelogen!«

      Kirsten wiegte den Kopf bedächtig hin und her und die lange Kette aus grünen Steinen schwang auf ihrem Dekolleté sanft mit.

      »Ich würde nicht behaupten, dass er gelogen hat. Ich würde eher sagen, es ist ihm entfallen.«

      Ich starrte sie ungläubig an. »Du meinst, er hat es nur vergessen?«

      »So könnte man es nennen. Es gibt Menschen, die streichen Dinge aus ihrem Gedächtnis, die ihnen unangenehm sind.«

      Ich lachte auf. »Also wirklich, Kirsten! Du willst mir doch nicht weismachen, dass Raoul es vergisst, wenn er eine Bedienung rausschmeißt, weil sie einen Ohrring im Eisbecher verloren hat. Die Kündigung war durchaus legitim. Außerdem war das erst im vorigen Jahr!«

      Sie sah mich überrascht an. »Sie hat einen Ohrring verloren?«

      Ich nickte. »Eines der Mädchen erzählte von einer blonden Manuela, deren Ohrring von einem Gast im Eisbecher gefunden wurde. Sie ist daraufhin rausgeflogen. Es war genau so ein Ohrring wie der auf dem Foto.«

      Kirsten stand auf, ging an ihr Barfach und holte zwei Gläser und eine Flasche Wasser heraus.

      »Ich habe Durst. Möchtest du auch Wasser oder soll ich einen Kaffee kommen lassen?«

      »Danke, ich nehme Wasser.«

      Nachdem sie sich gesetzt hatte, sagte sie: »Ich habe mich bei einem Juwelier erkundigt. Den Ohrring auf dem Bild gibt es aus hochkarätigem Gelbgold mit einem eingefassten Granaten, ein Paar kostet etwa fünfhundert Euro.«

      »Der Wert ist nicht so bedeutend. Wichtig ist, was das Mädchen in Gütersloh wollte und wo zum Teufel der andere Ohrring ist«, schärfte ich ihr ein.

      Kirsten sah mich siegesgewiss an. »Wir werden es herausfinden!«

      »Wenn du dabei genauso viel Glück hast wie bei der Befragung im Eiscafé, wirst du nichts herausbekommen«, erwiderte ich skeptisch.

      Sie lachte. »Sei nicht so pingelig. Sicher kennt Raoul das Mädchen. Ich glaube sogar, er hatte ein Techtelmechtel mit ihr. Ist es da nicht verständlich, dass er sich unwissend stellt? Sie war im vorigen Jahr bei ihm. Soll er sich deshalb heute völlig unnütz von der Polizei ausquetschen lassen?«

      »Und wenn er der Mörder ist?«, empörte ich mich.

      »Das ist er nicht, da bin ich ganz sicher. Ich vermute eher,