Gisela Garnschröder

Die Leiche im Hühnermoor


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Namen auf den Briefkästen, wurde fündig und klingelte mehrmals.

      Nach zehn Minuten gab ich auf und wollte gerade wieder auf mein Rad steigen, als ein junger Mann seinen Wagen, einen ganz normalen VW Golf, an der Straße abstellte. Eilig ging er zur Haustür und schloss sie auf.

      »Kennen Sie Frau Bonder?«, erkundigte ich mich hastig.

      Er drehte sich zu mir um. Ärgerlich über die Störung fragte er zurück: »Was wollen Sie von ihr?«

      Deutlich ließ er seinen Unmut erkennen und wollte in den Hausflur gehen.

      »Ich habe sie im Stadtcafé kennengelernt«, sagte ich schnell.

      Er blieb einen Moment stehen. »Wie schön für Sie«, entgegnete er, dann knallte die Tür vor meiner Nase zu.

      Etwas empört über seine Unfreundlichkeit stand ich draußen, stieg auf mein Rad und fuhr heim.

      Drei Tage später fuhr ich noch einmal zu dem Haus und befragte eine ältere Dame, die gerade ihre Mülltonne leerte. Sofort stellte sie ihren Eimer beiseite, schaute sich nach allen Seiten um und flüsterte: »Die Kleine wurde umgebracht! Stellen Sie sich das vor! Der junge Mann ist gestern von der Polizei abgeholt worden, seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

      Die Haustür öffnete sich und ein Mann kam heraus. Die Frau schnappte sich ihren Eimer und verschwand ohne ein weiteres Wort. Nachdenklich fuhr ich davon.

      Es vergingen weitere drei Tage, da erfuhr ich von Kirsten Vollmann, dass der Freund von Sonja Bonder von der Polizei vernommen und nach einem Tag wieder freigelassen worden war, weil er wohl als Täter nicht infrage kam.

      Am Dienstag beim Nachhilfeunterricht trug Edvina Schneeberg den Ohrring nicht mehr und machte einen traurigen Eindruck. Ich erkundigte mich nach dem Grund.

      »Haben Sie denn nicht in der Zeitung von dem Mord gelesen?«, fragte sie mit Tränen in den Augen. »Sonja Bonder ist tot. Sie ist die Tochter von Muttis bester Freundin. Früher waren sie oft bei uns zu Besuch.«

      »Das tut mir leid, Edvina«, sagte ich, wagte es aber nicht, ihr zu erzählen, dass ich die Tote gefunden hatte. »Habt ihr in letzter Zeit denn noch Kontakt gehabt?«, fragte ich stattdessen.

      Sie schüttelte den Kopf. »Nachdem Mutti tot war, habe ich sie selten gesehen. Im vorigen Jahr hat sie in der Eisdiele gejobbt und war vor kurzem…«

      »Du hast sie dort getroffen?«, unterbrach ich sie überrascht.

      Sie sah mich merkwürdig an. »Kannten Sie Sonja auch?«, wollte sie erstaunt wissen.

      »Nein, ich war nur verblüfft, dass du sie im Eiscafé gesehen hast, weil ich von einer Bekannten erfahren habe, dass sie bei der Stadtverwaltung gearbeitet hat«, erklärte ich.

      »Dort hat sie ein Praktikum gemacht. Im Eiscafé hat sie sich nur etwas dazuverdient.« Edvina wollte sich wieder ihrem Text widmen, als mir einfiel, dass ich sie vorhin mitten im Satz unterbrochen hatte.

      »Entschuldige bitte, dass ich dich unterbrochen habe. Was wolltest du mir noch sagen?«

      »Nichts Besonderes«, winkte sie ab, beugte ihren Kopf über den Text und ich wagte nicht, weiter in sie zu dringen.

      Am nächsten Tag fuhr ich zum Einkaufen in die Kreisstadt, parkte wie immer am Wasserturm und schlenderte an den Geschäften vorbei bis zum Kolbeplatz. Dort machte ich Pause und bestellte im Café an der Ecke einen Cappuccino. Ich betrachtete die Menschen auf dem Platz, das Hasten und Eilen und plötzlich sah ich Edvina in Begleitung eines Herrn. Der Mann drehte mir den Rücken zu. Er war groß und hatte grau meliertes Haar. Sie standen vor dem Buchgeschäft auf der anderen Seite des Platzes und unterhielten sich angeregt.

      Gerade stellte sich Edvina auf die Zehenspitzen und gab dem Herrn einen kleinen, schnellen Kuss auf die Wange. In diesem Moment drehte er sich etwas zur Seite und mich traf fast der Schlag - der Mann dort war Alfred Derfeld!

      Die Röte schoss mir ins Gesicht und mein Herz raste. Jetzt hakte sich Edvina bei ihm ein und sie kamen geradewegs auf mich zu. Instinktiv nahm ich die Zeitschrift, die ich mir zuvor gekauft hatte, aus der Tasche und vertiefte mich darin, in der Hoffnung, nicht von ihnen gesehen zu werden. Zu spät! Edvina steuerte auf meinen Tisch zu, blieb vor mir stehen und grüßte: »Guten Tag, Frau Landner.«

      Ich legte die Zeitschrift neben meine Tasse und sah direkt in Alfreds bleiches Gesicht. Keiner von uns beiden brachte ein Wort heraus.

      Edvina sah konsterniert von einem zum anderen und fragte erstaunt: »Kennt ihr euch?«

      In dem Moment erwachte ich aus meiner Erstarrung, reichte Alfred die Hand und sagte betont locker: »Lange nicht gesehen. Wie geht es dir?«

      Er fing sich nicht so schnell, räusperte sich, nahm meine Hand, als sei sie ein rohes Ei, drückte sie lasch und ließ sie fallen wie glühendes Eisen.

      »Du, du hast dich kaum verändert, Betty«, stammelte er.

      Ich war aufgestanden und sah in diese braunen Augen, die trotz der vielen vergangenen Jahre eine Hitzewelle bei mir auslösten und war mit einem Schlag wieder jung.

      Edvina hatte uns eine Weile beobachtet und meldete sich zu Wort: »Papa, wir müssen weiter.«

      »Ja«, antwortete er zerstreut. »Geh inzwischen vor«, und als sie zögerte, fügte er noch »Bitte!« hinzu.

      Sie setzte sich langsam in Bewegung, nicht ohne sich mehrmals erstaunt nach uns umzusehen.

      »Ich muss unbedingt mit dir reden, Betty«, drängte er, als seine Tochter gegangen war.

      »Ja, wir sollten reden«, stimmte ich ihm zu.

      »In Ordnung, ich ruf dich an«, erwiderte er knapp und eilte seiner Tochter hinterher.

       IV

      »Diese Lehrerin ist wirklich ein Problem«, knurrte Alfons Weiß und warf seinem Kollegen Tann ein Blatt Papier auf den Schreibtisch.

      »Lass diese Scherze!« Demonstrativ legte Josef Tann den Bericht zur Seite und widmete sich seinem Computer. Weiß zog sich einen Stuhl heran, holte einen Apfel aus seiner Tasche und biss herzhaft hinein. Tann zog eine Augenbraue hoch, speicherte seinen Text ab und nahm sich nun den Bericht vor.

      Nachdem er ihn gründlich studiert hatte, fragte er: »Wieso hast du ein Problem mit Lehrerinnen?«

      Weiß aß den Rest seines Apfels und grinste. »Weil Lehrerinnen immer alles besser wissen, deine eingeschlossen.«

      Tann grinste ebenfalls. »Meine ist zurzeit voll eingespannt als Mutter, die zählt nicht. Aber ich gehe sicher recht in der Annahme, dass du von dieser Frau Landner sprichst, oder?«

      Weiß stimmte ihm grimmig zu. »Sie mischt sich in alles ein. Im Stadtcafé hat sie Erkundigungen eingeholt und sogar vor dem Haus, in dem die Bonder gewohnt hat, ist sie gesichtet worden.«

      »Interessant! Könnte es sein, dass sie den Fund der Leiche absichtlich so spät gemeldet hat?«

      »Möglich! Aber warum?«, sinnierte Weiß. »Du kannst mir sagen, was du willst, irgendetwas stimmt nicht mit ihr.«

      Tann winkte ab. »Übertreib mal nicht! Sie ist neugierig, weiter nichts.«

      »Hoffentlich hast du recht! Trotzdem werde ich die Dame hin und wieder observieren.« Weiß stand auf und schob den Stuhl an seinen Schreibtisch zurück.

      »Ich werde mal im Internet forschen. Ich meine, irgendwann von einem ähnlichen Fall gehört zu haben«, informierte Tann seinen Kollegen, der bereits an der Tür war.

      Weiß stutzte. »Eine Moorleiche? Hier in der Gegend?«

      »Nein, keine Moorleiche, eine Leiche, der ein Ohrring fehlte«, präzisierte Tann.

      »Nie gehört«, brummte Weiß und verließ das Büro.

      Tann arbeitete noch eine Weile, rief seine Kollegen in München