Gisela Garnschröder

Die Leiche im Hühnermoor


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kann sich nur um einen Irrtum handeln«, wiegelte er ab, drehte sich abrupt um und kümmerte sich, ohne ein weiteres Wort an mich zu verschwenden, um die Befüllung des Sahneautomaten.

      Einen Moment lang zögerte ich, dann ging ich schnellen Schrittes davon. Warum wollte der Besitzer der Eisdiele mir keine Auskunft geben? Nachdem die beiden Kellnerinnen mir den Namen Manuela genannt hatten, war ich sicher, dass ich mich nicht irrte und sie hier gearbeitet hatte.

      Nachdenklich flanierte ich durch die Stadt und plötzlich stand ich, ganz ohne es zu wollen, vor Kirsten Vollmanns Tür und klingelte.

      Kirsten war natürlich nicht zu Hause, aber eine freundliche Sekretärin öffnete, bat mich herein und verkündete fröhlich: »Frau Vollmann wird jede Minute zurück sein.«

      Ich setzte mich in den kleinen Sessel neben der Tür und stellte erstaunt fest, dass seit meinem letzten Besuch nicht nur die Bürokraft, sondern auch noch einiges andere neu war.

      Kirsten kannte ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit. Sie hatte nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Polizei gemacht, damals ein seltener Frauenberuf, den sie später wieder aufgab, um sich selbstständig zu machen. Vor zehn Jahren, als ich zur Einweihung von Kirstens Detektivbüro eingeladen war, hatte sie nur einen Raum mit einem Schreibtisch und einem Computer, mittlerweile waren es zwei verbundene Räume mit einer Glastür, die jetzt offen stand. Die Regale an den Wänden waren bis zur Decke mit Aktenordnern vollgestopft. Die Sekretärin saß, mit einem Kopfhörer versehen und ohne sich weiter um mich zu kümmern, vor ihrem Bildschirm und hämmerte wie wild auf den Tasten herum. Ab und zu drückte sie den Knopf des Diktiergerätes, spulte das Diktat zurück und verglich konzentriert das Geschriebene mit dem Gehörten.

      Etwa eine Viertelstunde wartete ich und wollte gerade unverrichteter Dinge gehen, als Kirsten in einem sportlichen schwarzen Lederanzug hereinkam und mich herzlich umarmte.

      »Elli, wie schön! Wartest du schon lange?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Nur ein Viertelstündchen!« Mit einem anerkennenden Blick in die Runde fuhr ich fort: »Hier hat sich ja einiges verändert, da musste ich mich endlich mal sehen lassen!«

      Kirsten zog mich am Arm durch die Glastür, schloss sie hinter sich und ließ sich hinter einem riesigen Schreibtisch aus Buche nieder, bot mir den Platz gegenüber an und nahm den Hörer ab, um bei ihrer Vorzimmerdame einen Kaffee zu ordern.

      Ich sah mich um und stellte fest, dass dieser Raum ganz anders war als das Vorzimmer. Alle Möbel waren aus Buche, gegenüber der Tür lud eine gemütliche Sitzgruppe aus rotem Leder zum Verweilen ein und zu meiner Überraschung standen überall Blumen, rote Rosen wohlgemerkt.

      Kirsten lachte plötzlich schallend. »Ich habe einen Verehrer, Elli. Man kann deinem Gesicht ansehen, dass du dir wegen der Rosen Gedanken gemacht hast.«

      »Keine Spur«, sagte ich, doch das Brennen auf meinen Wangen verriet mich. Zum Glück erschien die Sekretärin mit dem Kaffee und ich wurde so einer weiteren Antwort enthoben.

      Kirsten schenkte ein und als der dienstbare Geist verschwunden war, belustigte sie sich: »Es ist immer wieder schön, zu sehen, wie es im Gehirn anderer arbeitet, wenn bei einer alleinstehenden Frau Rosen den Raum verschönern.«

      Ich führte umständlich die Tasse zum Mund und musste unwillkürlich lächeln. »Du hast recht, ich habe mir auch Gedanken gemacht und nun will ich wissen, was an der Sache dran ist!«

      »Nichts, zumindest nicht das, was du denkst. Ich hatte bei Walter Mohrer, vom Blumengeschäft Mohrer, Gestecke für das Büro bestellt, und er empfahl Rosen, das ist alles.«

      »Und Mohrer ist Familienvater mit Frau und drei Kindern!?«, scherzte ich und Kirstens schönes, dunkles Lachen erschallte erneut.

      »Du könntest bei mir anfangen, deine Fragen locken selbst dem Verbocktesten noch ein Geständnis ab.«

      »War nur so eine Vermutung«, lächelte ich und Kirsten nickte zustimmend.

      »Womit du absolut recht hast, denn Walter ist seit Jahren geschieden und macht mir seit einiger Zeit eindeutige Angebote. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du deshalb gekommen bist, nach so langer Zeit. Was macht die Schule?«

      Jetzt war es an mir zu lachen. »Nichts, ich habe den Job aufgegeben.«

      »Was?« Ihre großen, grauen Augen sahen mich entsetzt an.

      »Du warst Lehrerin aus Leidenschaft, Elli. Wie konnte das passieren?«

      »Nun, eine kleine Erbschaft und ein Vertrag mit einem Übersetzungsbüro, schon hatte ich neue Pläne.«

      Kirsten schüttelte tadelnd den Kopf und lehnte sich zurück, bevor sie sich zu einer Äußerung entschloss, die eher ein Statement war.

      »Bei dir hat alles ein Ende. Erst die Verlobung, dann der Aufenthalt in Süddeutschland und zu guter Letzt deine Lehramtstätigkeit.«

      »Du hast meine Ehe vergessen«, sagte ich lakonisch und der überraschte Ausdruck in ihrem Gesicht, ließ mich ergänzen: »Schau an, die beste Detektivin aus dem Kreis ist ahnungslos.«

      Sie zog eine Schnute und erkundigte sich: »Also hast du Alfred doch noch geheiratet, oder?«

      Ich winkte ab und berichtete ihr von meiner kurzen Ehe mit Norbert Vemo und endete mit dem Satz: »Ich habe seit zehn Jahren nichts mehr von ihm gehört.«

      Kirsten stand auf, ging zu dem Schrank gegenüber, öffnete eine Tür, holte zwei Gläser und eine Flasche Sherry heraus, schenkte uns ein und prostete mir zu: »Auf dein bewegtes Leben!«

      Ich nahm mein Glas und und fügte hinzu. »Und auf deine Detektei.«

      In der nächsten halben Stunde unterhielten wir uns angeregt über ihren Beruf, was mich endlich dazu veranlasste, mein Anliegen vorzubringen.

      »Du musst Alfred suchen!«, bat ich sie.

      Dann erzählte ich ihr von dem Leichenfund, meiner Fahrt nach Singen und natürlich von dem Ohrring.

      Sie lehnte sich weit zurück und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre schwarze, schulterlange Mähne.

      »Und du denkst, der Chef des Eiscafés verbirgt etwas?«

      Ich nickte. »Die Kellnerin sprach von einer Manuela, die dort ausgeholfen hat und Granatohrringe trug. Der Chef kannte sie angeblich nicht.«

      »Er ist Franzose und leitet das Café erst seit zwei Jahren. Vielleicht weiß er wirklich nichts. Die Mädchen werden oft von Marietta, seiner Partnerin, angeheuert. Außerdem ist ein Jahr eine lange Zeit, trotzdem müsste er sich eigentlich erinnern. Ich kenne ihn recht gut. Mach dir mal keine Sorgen, ich werde der Sache nachgehen.«

      Wir unterhielten uns, bis ein Kunde von der Sekretärin gemeldet wurde, und verabredeten uns für die kommende Woche.

      In den nächsten Tagen ergriff mich eine Rastlosigkeit, die ich mit allerhand Tätigkeiten auszufüllen versuchte, was mir jedoch nur schwer gelang. Selbst meine Schüler - ich gab regelmäßig Unterricht in einer Nachhilfeeinrichtung - bemerkten meine Zerstreutheit und Unruhe.

      Edvina Schneeberg stand kurz vor dem Abitur und kam gewöhnlich zur Nachhilfe für Mathematik und Englisch. Sie hatte gute Fortschritte gemacht und würde das Abitur im nächsten Jahr ohne große Probleme schaffen. Edvina war Halbwaise und lebte mit ihrem Vater am Ohlbrocksweg, in einem alten, etwas heruntergekommenen Haus. Sie war fast immer allein, weil ihr Vater ständig auf Reisen war. Ich kannte den Mann nicht, war allerdings erstaunt, dass er seine Tochter so allein in dem Haus zurückließ. Edvina schien jedoch gut damit zurechtzukommen.

      Als ich sie einmal nach ihrem Tagesablauf befragte, wiegelte sie ab: »Ich habe ›Big Man‹. Er ist den ganzen Tag bei mir und beschützt mich.«

      Sie erzählte mir begeistert von ihrem Bernhardiner und ich verkniff mir jegliche Kritik an ihrem Vater, der aus beruflichen Gründen nur selten zu Hause sein konnte und seine Tochter, wie mir schien, zu oft allein ließ.

      Heute strahlte sie vor Freude, weil ihr Vater zurückgekommen