Frederik Weinert

Hexendoktor, Sniper oder Sexgöttin


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      Kussmund, Duckface und Fischmaul: Wir müssen weder in den Berliner Zoo noch in den Krefelder Tierpark gehen, um tierische Grimassen wie diese zu bewundern. Ein Klick auf das Instagram-Symbol auf dem Smartphone genügt – und schon wir sind drin, mitten im digitalen Mediendschungel! Prominente und welche, die es werden wollen, grinsen uns verspielt und lasziv an. Nackte Haut bringt unseren Hormonspiegel in Wallung. Die Augen der Promis sind ungewöhnlich kontrastreich, das hat etwas Magisches, vielleicht sogar Göttliches.

      Wir, die kleinen Follower, sind die Jünger, die sich wie beim letzten Abendmahl um die erleuchtete Hauptfigur versammeln. Eine Community ward geboren, eine Jüngerschaft, die fleißig Herzchen und Likes verteilt, um irgendwann selbst ins Himmelreich der Influencer aufzusteigen. Bis es so weit ist, wird Karma in Form von Fans, Abonnenten und Followern gesammelt.

      Endlich, nach vielen Monaten oder gar Jahren, ruft das Paradies, das Elysium. Für diese große Party der digitalen Unsterblichkeit gibt es sogar einen Namen: PLACE TO B AWARDS. Dieses Event, bei dem die Stars der Influencer-Branche ausgezeichnet werden, findet jährlich in Berlin statt. Für die Kinder und Jugendlichen ist die Verleihung so etwas wie die Oscars für Erwachsene. Und die Wirtschaft reibt sich genüsslich die Hände – denn der Rubel rollt!

      In meiner Tätigkeit als Autor, Wissenschaftler, Vortragsredner und Multiplikator habe ich regelmäßig Kontakt zu Influencern. Einige von ihnen sind zuverlässig, professionell und ehrgeizig. Sie fahren eine klare Linie und bauen sich so ein stringentes Image auf – und werden zur Marke! Andere hingegen setzen auf nackte Haut, Provokationen und Kuriositäten, um das Publikum irgendwie und mit allen Mitteln zu unterhalten. Das wirkt manchmal verzweifelt und erzwungen.

      Logisch, es gibt immer Unternehmen, für die es Sinn macht, mit solchen Clowns zu kooperieren. Für seriöse Unternehmen kann eine solche Zusammenarbeit allerdings tödlich enden, weil sich das Image des Clowns auf das Unternehmen projiziert. Das nennt sich Imagetransfer. Dabei ist Imagetransfer eigentlich etwas Gutes und seit vielen Jahren in der klassischen Fernsehwerbung zu finden. Sexgöttinnen wie Heidi Klum werben für Junkfood, denn wir sollen ja glauben, dass Burger nicht dick machen (sondern vielleicht sogar gut für die Taille sind!). Auch Fußballer und Sportler werben für Nutella, Grillwürstchen oder zuckrige Milchdrinks. In diesem Sinne: Alles Müller … oder was?

       1.1Influencer als Beruf

      Wenn wir Freunde oder Kollegen nach ihren Idolen und Vorbildern fragen, findet jeder einen anderen Promi gut. Manche stehen auf Dieter Bohlen und sein Modern Talking, andere finden Heino klasse. Die Jugend von heute kann mit diesen Namen nichts anfangen, himmelt dafür allerdings Gronkh, Bibi und Rezo an. Klingt nach Comic-Figuren, sind allerdings drei richtig populäre YouTube-Stars. Rezo schaffte es sogar einst dick in die Presse, als er im Mai 2019 mit einem politischen Internetvideo die CDU attackierte. Über sechs Monate später, also im Dezember 2019, hat das Video bereits 16 Millionen Klicks und 1,2 Millionen Likes.1 Diese Reichweite ist gigantisch. Internetstars wie Rezo sind Einflussnehmer – und deshalb als Influencer zu bezeichnen.

      Definition | Influencer

      Ein Influencer ist eine Person, die in den Sozialen Medien als Experte gilt. Bedingung ist eine große Anhängerschaft (= Follower), eine digitale Community. Influencer geben ihr (Nischen-) Wissen an ihre Fans weiter, punkten allerdings auch mit ihrer sozialen Autorität und ihrem Einfluss als Trendsetter. Influencer üben einen großen Einfluss auf ihre Fans aus, der zur Verhaltensänderung und vor allem „zum Kaufimpuls führen kann“2. Ab einem gewissen Schwellenwert kann der Influencer von seiner Tätigkeit leben, weshalb Influencer als moderner Beruf zu verstehen ist.3 Der Beruf erfordert keine klassische Ausbildung und gilt deshalb besonders in der jungen Netzkultur als erstrebenswert.

      „Mama, ich will Influencer werden“, dürften die Eltern von heute immer öfter hören. Aus meinen Vorträgen und Workshops weiß ich, wie sehr die Kids von heute ihren Idolen aus dem Internet nacheifern. Doch auch Erwachsene reizt es, eine Karriere als Influencer zu starten, beispielsweise im Fitnessbereich. Doch lässt sich das wirklich planen?

      Ich habe dazu einige Prominente befragt, die mir alle sagten, es sei vielmehr Glück oder auch Zufall – und vor allem harte, harte Arbeit. Die meisten erfolgreichen Influencer stellen täglich Fotos, Videos, Texte und Storys online. Geschieht das nicht, werden die Fans nämlich nervös und wenden sich im schlimmsten Fall ab. Ein verlorener Fan kommt nicht wieder, denn die Konkurrenz ist gigantisch.

      So wie die Parteien um ihre Wählerschaft kämpfen, buhlen die Influencer um ihre Fans. Denn Fans sind wertvolles Kapital – und deshalb macht Influencer-Marketing überhaupt erst Sinn.

      Definition | Influencer-Marketing

      Unter Influencer-Marketing ist die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Influencern zu verstehen. Unternehmen nutzen die Reichweite und den Einfluss der digitalen Stars zum eigenen Zweck. Die Influencer werden „motiviert oder dafür entlohnt, Markenbotschaften mit ihren Zielgruppen zu teilen“4. Im besten Fall führt das zu einer Handlung (Kauf, Weiterempfehlung, Like, Abonnement usw.) und/oder zu einem Imagegewinn. Aus diesem Grund ist besonders eine langfristige Kooperation zwischen Unternehmen und Influencern sinnvoll.

      Was macht eine gute Beziehung zwischen zwei Menschen aus? Akzeptanz, Respekt und zueinander stehen sind drei wichtige Säulen – und genau das lässt sich auch auf die Kooperation zwischen Unternehmen und Influencern übertragen. Es geht also nicht darum, den Influencer für eine einmalige Geschichte einzukaufen, sondern sich langfristig und vor allem gemeinsam etwas aufzubauen. Es ist wichtig, sich an Absprachen zu halten, ehrlich miteinander umzugehen und nichts zu tun, was dem Partner schadet. Doch egal, ob in der Partnerwahl oder in der Zusammenarbeit mit Influencern: Wir lassen uns nur zu gerne blenden!

      Da gibt es diesen TV-Star mit 50.000 Abonnenten auf Instagram. Wäre der nicht was? Vielleicht ja, vielleicht aber auch nein. Denn stellen Sie sich vor, Sie führen ein Unternehmen in der Finanzdienstleistungsbranche. Plötzlich – und natürlich viel zu spät – finden Sie heraus, dass der TV-Star zeitgleich für einen Konzern wirbt, der Dildos und Vibratoren vertreibt. Dumm gelaufen, lässt sich allerdings mithilfe dieser Lektüre vermeiden.

      Das Beispiel zeigt, dass nicht jeder Influencer zu jedem Unternehmen passt – auch wenn der Influencer eine gigantische Reichweite hat und regelmäßig im Fernsehen zu sehen ist. Lassen Sie sich also auf keinen Fall blenden und vertrauen Sie diesem Buch und vor allem Ihrem Instinkt!

       1.2Warum ein solcher Buchtitel?

      Es ist praktisch, unsere Mitmenschen in Schubladen zu stecken. Da gibt es den Hitzkopf, der zufällig unser Nachbar ist und mit dem wir es nicht immer leicht haben. Ein paar Häuser weiter wohnt der Schnösel, weil er einen dicken Benz fährt. Die Arbeitskollegin ist die Mimose, weil ihr das Wetter entweder zu kalt oder zu warm ist.

      Selbstverständlich gibt es auch den Sonnenschein in unserem Leben, also einen sehr liebenswerten Menschen, der uns immer zum Lächeln bringt. Vielleicht kennen wir auch einen Spaßvogel oder Draufgänger, das sind häufig Menschen, die uns in jeder Situation mitreißen.

      Meistens vereinen wir verschiedene Typen von Menschen um uns, deren Durchschnitt wir selbst sind. Die Erklärung ist einfach. Mal haben wir Lust auf einen spaßigen Abend, mal ist uns nach einem intellektuellen Gespräch oder wir suchen einfach einen Menschen, mit dem wir ein bestimmtes Hobby wie Fußball, Reitsport oder Golf teilen. Schließlich ist der Mensch ein soziales Wesen.

       Vertrauen als Schlüssel zum Erfolg

      Es macht also Sinn, ein Blick auf die Soziologie zu werfen. Das ist die Wissenschaft, die sich mit den Entwicklungen des gesellschaftlichen Lebens beschäftigt. Vor allem der Soziologe Gerhard Schulze ist hervorzuheben, denn Schulze erkannte bereits