Frederik Weinert

Hexendoktor, Sniper oder Sexgöttin


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Die Kriminellen, meist sesshaft in Übersee, bauen via Chat und falschen Fotos Vertrauen zu ihren Opfern auf. Die Kriminellen bitten um Geldbeträge – wieder und wieder. Die Männer bezahlen, denn sie wollen der Frau ja helfen. Irgendwann verschwindet die Frau, und zurück bleibt ein gebrochenes Herz. Ist es möglich, sich über sprachliche Kommunikation zu verlieben? Ja!

      Mit Beginn des Fernsehzeitalters in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts tritt in Deutschland ein höchst interessantes Phänomen auf. Frauen verlieben sich in Nachrichtensprecher, die sie persönlich gar nicht kennen. Dennoch verschicken die Frauen Liebesbriefe, Glückwunschkarten und Geschenke an die Fernsehstars. Es entwickeln sich parasoziale Beziehungen, die durch parasoziale Interaktion entstehen.

      Definition | Parasoziale Interaktion

      Parasoziale Interaktion meint die Illusion eines gesprächshaften Austausches zwischen Medienfigur (Schauspieler, Moderatoren, Influencer etc.) und Rezipient. Bei den Rezipienten, beispielsweise den Fans in den Sozialen Medien, kann sich das Gefühl einstellen, dass sie von der Figur persönlich angesprochen werden.8 Auf diese Weise entwickeln sich recht intensive Beziehungen (Liebe, Freundschaft, Feindschaft etc.). Besonders in ökonomischen Betrachtungen sind parasoziale Beziehungen relevant, etwa zum Erfolg von Teleshopping9, Multi Level Marketing (MLM) und – jetzt neu – Influencer-Marketing.

      Wie intensiv solche Beziehungen sein können und wie schnell erreichbar sie sind, zeigt ein aktuelles Beispiel aus dem Bayerischen Wald:

      Eine Frau ist via Instagram auf einer vermeintlich offiziellen Fanseite des Hollywood-Schauspielers Keanu Reeves unterwegs. Der falsche Star kontaktiert die Frau und es entwickelt sich ein vertrautes Gespräch. Schon bald ergattert die Frau sogar die private Handynummer des falschen Superstars. Der Flirt läuft über WhatsApp weiter. Plötzlich spricht der Star über seine Geldprobleme und bittet die Frau um 39.000 Dollar.10

      Vertrauen entsteht erstens über sprachliche Kommunikation, genauer gesagt: über die Art und Weise der sprachlichen Kommunikation. Schlaue Influencer kommunizieren mit ihren Fans umgangssprachlich, authentisch und lebensnah. Zweitens sind das Bild- und Videomaterial entscheidend. YouTube-Stars filmen sich in Alltagssituationen oder beim Zocken von Videospielen per Facecam.

      Influencer posten auf Instagram kleine persönliche Videos, die sie beim Abholen eines Milchshakes im Drive-in-Restaurant zeigen. Die Fans fühlen sich geehrt, dass sie in solchen alltäglichen Situationen, die ja wirklich banal sind, dabei sein dürfen. Sie glauben, den Influencer gut zu kennen, denn nun wissen sie ja, dass ihr Star nicht auf Vanille-, sondern Erdbeergeschmack steht. Der Star wird zum Freund und somit glaubwürdig.

       Verlässlichkeit fühlt sich gut an

      Im Umgang mit unseren Freunden im echten Leben, zum Beispiel mit alten Schul- und Sandkastenfreunden, kann es immer wieder mal zu Diskussionen und Konflikten kommen. Gerade wenn man sich sehr häufig sieht und viel miteinander unternimmt, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Konflikt. Oftmals handelt es sich um Kleinigkeiten, die im Nu wieder ausgebügelt sind. Dennoch ärgern wir uns vielleicht manchmal über unsere Freunde, weil sie zu spät kommen, kurzfristig absagen oder miesepetrig sind. Das ist natürlich menschlich, bringt allerdings eine gewisse Dynamik in unser Leben, die nicht vorhersehbar ist.

      Parasoziale Beziehungen haben in dieser Hinsicht viele Vorteile. Es gilt als bewiesen, „dass parasoziale Freundschaften im Vergleich zu normalen Beziehungen verlässlicher und vorhersehbarer sind“11. Warum sind parasoziale Beziehungen zu Influencern verlässlicher?

      Die Begründung ist sehr einfach, vielleicht sogar erschreckend, denn Influencer spielen eine einstudierte Rolle, die konstant und somit täglich auf die gleiche Weise wiederkehrend ist. Influencer dürfen es sich also gar nicht erlauben, sich gegenüber den Fans und Followern abweisend zu verhalten. Influencer brauchen ein Publikum, die Fanbase muss also gepflegt werden, demnach sind parasoziale Beziehungen „als eine besonders verlässliche Freundschaft“12 zu verstehen, die keine enttäuschenden Momente hat.

      Für die Fans und Follower kann es sich schön anfühlen, Vertrauen zu ihren Stars aufzubauen. Man fühlt mit den Influencern mit, und innerhalb der Community entsteht ein inniges Band der Freundschaft.

      Es gibt viele Gründe, einen Influencer gut zu finden: Spannung, Unterhaltung, Intimität, Sexualität, Verständnis und seelische Wertschätzung (gerade, wenn diese im analogen Alltag ausbleiben). Die Beziehung zu einem Influencer beginnt meistens rudimentär, indem hier und da ein Kommentar hinterlassen wird. Es kommt zu wiederholten parasozialen Kontaktaufnahmen, die mit der Zeit immer häufiger und intensiver werden. Dieser Spiralprozess führt zu einer Verstärkung.

      Es entsteht eine starke Bindung, die für ein erfolgreiches Influencer-Marketing elementar ist. Influencer sind in den digitalen Räumen wie Instagram, Facebook & Co. überdurchschnittlich glaubwürdige Personen. Nutzen Sie das!

      Das sollten Sie wissen!

      Arbeiten Sie nur mit Influencern zusammen, die mit ihrer Community gut umgehen! Achten Sie darauf, wie der Influencer mit Kritik umgeht und ob er sich hilfsbereit verhält! Vergessen Sie nicht: Nicht nur Ihr Unternehmen profitiert von einer Zusammenarbeit, sondern auch der Influencer. Es ist also eine wichtige Entscheidung, wer Ihre Produkte und Dienstleistungen in den Sozialen Medien bewerben darf.

       1.4Von Snipern und Sexgöttinnen

      Leser merken sich sowohl Bilder als auch bildhafte Ausdrücke wie Metaphern besser. Einprägsame Bilder sind deshalb wichtig, beispielsweise in der Werbung und im Boulevardjournalismus – und auch in diesem Buch! Es ist jedoch keine fixe Idee des Autors, auf den folgenden Seiten mit hippen Begriffen wie Sniper oder Sexgöttin zu hantieren, um typischen Verhaltensweisen von Influencern ein Gesicht zu geben. Klar, Begriffe wie Sniper oder Sexgöttin sind griffig, und einprägsam sind sie natürlich auch. Doch es steckt weit mehr dahinter, wie Sie nun erfahren werden.

       C.G. Jung und die klassische Werbung

      Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte der bekannte Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung die Archetypologie als universale psychologische Strukturen, „die in allen Kulturen und Epochen für unsere Entscheidungen relevant sind“13. Es handelt sich um Motive, die eine universelle Sprache sprechen, und die in den Mythen verschiedener Kulturen zu finden sind. Die Archetypen repräsentieren Verhaltensweisen, von denen sich Menschen unterschiedlich stark, wenig oder auch gar nicht angezogen fühlen. Die aktuelle Forschung geht davon aus,

      „dass diese Archetypen im kollektiven Unbewussten existieren und je nach Lebensphase und Reife […] unser Denken, Handeln und unsere Wünsche unterschiedlich beeinflussen“.14

      In der Persönlichkeits-, Unternehmens- und Teamentwicklung haben sich diese Ansätze bereits durchgesetzt – und zwar völlig esoterikfrei! Die Archetypen „geben uns ein Bild für den Helden in und außerhalb von uns selbst“15, schreibt die Tiefenpsychologin Carol S. Pearson. Wenn es um Wachstum und Entwicklung geht, können die Archetypen laut Pearson deshalb als Zielorientierung herangezogen werden. In alltäglichen Situationen könnte das beispielsweise so aussehen:

      Der Weise als Archetyp zeigt, was aus einer Situation zu lernen ist, während der Narr uns animiert, das Leben in vollen Zügen und mit sehr viel Spaß zu genießen. Der Archetyp Unschuldiger lehrt Optimismus und Vertrauen, und der Schöpfer präsentiert die Lösung für ein Problem.

      Je nach Lebenssituation und persönlicher Entwicklung fühlen sich Menschen zu bestimmten Archetypen besonders hingezogen, beispielsweise zu Kollegen und Vorgesetzten, aber auch zu Freunden und Bekannten, die spezielle archetypische Verhaltensweisen (Herrscher, Rebell, Fürsorglicher etc.) besonders prädominant ausstrahlen.

      Das sollten Sie wissen!

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