Ella Danz

Trugbilder


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Winterkabeljau dauerte nur wenige Monate, und das musste man nutzen.

      Noch von unterwegs hatte er versucht, Derya anzurufen, denn der Fisch würde auch für zwei reichen. Doch sie ging nicht an ihr Handy. Nun hatte er ausnahmsweise einmal ziemlich geregelte Arbeitszeiten und bekam Derya trotzdem kaum zu Gesicht.

      Wie oft hatte sie sich vor und auch während seiner Auszeit, vor allem, als er ihr zuliebe den Privatermittler spielen musste, beschwert, dass er nie Zeit für sie hatte. Und jetzt? Jetzt war Derya ständig beschäftigt, fand nicht einmal Gelegenheit zum Telefonieren, und wenn, dann war sie ziemlich kurz angebunden. Das fand Georg zwar doof, aber sie war nun mal selbstständig mit einem Catering Service für mediterrane Spezialitäten, und die Geschäfte liefen zurzeit scheinbar auf vollen Touren. Wahrscheinlich sollte er sich für Derya darüber freuen. Seit mehr als einer Woche hatten sie sich nicht gesehen. Noch einmal versuchte er, sie zu erreichen, und sprach, als es wieder nicht klappte, seine Einladung zum Abendessen auf ihre Mailbox.

      Er hätte es schön gefunden, heute Abend Derya zu bekochen. Sie, die für ihre Kunden oft Tage in der Küche zubrachte, liebte es, von ihm verwöhnt zu werden. Andererseits hatte Georg auch kein Problem damit, nur für sich allein ein exzellentes Abendessen zuzubereiten und es in aller Ruhe zu genießen. Voller Vorfreude betrat er seine Küche, suchte alle Zutaten zusammen und begann mit der Arbeit.

      Er schichtete gewaschene, in Spalten geschnittene Kartoffeln in eine kleine Auflaufform, benetzte sie mit etwas Öl, würzte mit Salz und Kümmel und stellte alles in den Backofen. Zu glasig gedünsteter Zwiebel gab er gekochte gewürfelte Rote Beete und schmeckte mit Rotwein, Ahornsirup und ein paar Gewürzen süßsäuerlich ab.

      Als Angermüller gerade die dicken weißen Skreifilets in das erhitzte Öl in der Pfanne legen wollte, klingelte das Telefon. Ah, vielleicht konnte Derya doch noch zum Essen kommen!

      »Guten Abend, Georg, störe ich?«

      »Du störst doch nie«, antwortete Angermüller großzügig und nahm die Pfanne vom Feuer. Er hatte sofort registriert, dass Astrids Stimme nicht klang wie gewohnt.

      »Ist irgendwas mit den Kindern?«

      »Nein, mit Julia und Judith ist alles in Ordnung. Aber mein Vater ist heute in den frühen Morgenstunden gestorben …«

      »Ach, Heini? Das tut mir aber leid«, sagte Georg betroffen, »ich mochte deinen Vater, er war so ein offener, liebenswerter Mensch.«

      Georg hatte Heini als einen ruhigen, humorvollen Mann kennengelernt, für den es in dem weiblich dominierten Haushalt mit seiner Frau Johanna und den drei Töchtern manchmal nicht einfach war, sich Gehör zu verschaffen. Aus Astrids ganzer Sippe war ihm sein Schwiegervater immer der Liebste gewesen.

      »Wart ihr bei ihm?«

      »Ja, Mama hatte noch in der Nacht angerufen, und meine Schwestern und ich sind sofort zu ihr und Papa gefahren.«

      »Wie geht es Johanna?«

      »Du kennst sie ja. Sie hält sich tapfer. Aber wahrscheinlich hat sie es noch gar nicht richtig begriffen.«

      Das letzte Mal hatte er den alten Mann an dessen 85. Geburtstag gesehen, überlegte Angermüller. Auf dem Fest hatte sein Schwiegervater ziemlich munter gewirkt, eine kurze, aber launige Rede gehalten, nach Herzenslust gegessen und getrunken und die Anwesenheit von Familie und Freunden offensichtlich sehr genossen. Er schien von den vielen Infekten, die ihn immer wieder zu Bettruhe gezwungen hatten, augenscheinlich komplett erholt.

      »An seinem Geburtstag vor ein paar Wochen machte Heini noch einen putzmunteren Eindruck auf mich. Wie konnte das so schnell gehen?«

      »Na ja, kurz nach dem Fest begann Vater wieder zu kränkeln. Er musste mehrmals ins Krankenhaus, wurde immer schwächer. Und als er sich jetzt noch eine Lungenentzündung zuzog, da konnte man nichts mehr machen. Wir haben damit gerechnet. Er ist zu Hause gestorben, ohne langes Leiden, wir konnten bei ihm sein. Das ist mir ein Trost …«

      Sie stockte. Nach einem kurzen Räuspern fuhr sie fort:

      »Also, ich wollte nur, dass du das weißt, Georg. Die Bestattung wird irgendwann nächste Woche sein. Ich muss noch ein paar Leute anrufen. Dann sag ich mal tschüs …«

      »Ich danke dir fürs Bescheidgeben. Kann ich vielleicht irgendwie helfen?«

      »Vielen Dank, ich bin ja nicht allein. Julia und Judith kümmern sich sehr lieb um mich.«

      »Aber sag wirklich Bescheid, falls ich etwas für dich tun kann.«

      »Das mach ich, Georg, ganz bestimmt. Und spätestens, wenn wir den genauen Bestattungstermin wissen, melde ich mich wieder bei dir.«

      Durchs Telefon konnte Georg deutlich spüren, wie mitgenommen Astrid war. Wenn man sich so lange kannte wie sie beide, dann las man in der Seele des anderen wie in einem Buch.

      »Dann mach’s gut, Astrid. Ich denke an euch.«

      Während er sich wieder der Vollendung seines Fischgerichts widmete, füllten Erinnerungen seinen Kopf. Vor fast 20 Jahren hatte sich der Oberfranke Angermüller in Astrid verliebt und war ihretwegen in Lübeck, wo er während seines Jurastudiums ein Praktikum in der Kriminalinspektion absolvierte, hängengeblieben. Sie hatten geheiratet, die Zwillinge bekommen, schöne Jahre erlebt, schwierige Jahre gemeistert, bis sich ein unüberhörbarer Misston zwischen ihnen einschlich. Angermüller konnte nicht genau sagen, wann das angefangen hatte oder wer daran die Schuld trug. Ab einem bestimmten Moment spielten Astrid und er nicht mehr im selben Team, sondern gegeneinander.

      Warum, weshalb – oft hatte er sich darüber schon den Kopf zerbrochen und nach einem Ausweg gesucht. Ihre Beziehung war ihm so wertvoll erschienen, das tiefe Vertrauen zueinander, der feste Zusammenhalt, so leicht wollte er das alles nicht aufgeben. Immer wieder hatte er versucht, einen neuen Anfang zu machen, und war jedes Mal gescheitert.

      Auch in diesem Moment nahm er wieder einmal wahr, wie viel ihm seine Frau noch bedeutete. Seit über zwei Jahren lebten sie schon räumlich getrennt, trotzdem waren sie noch nicht geschieden. Sie schienen beide vor diesem endgültigen Schritt zurückzuschrecken, obwohl Georg schon eine ganze Weile mit Derya liiert war und Astrid – nun ja, eigentlich konnte er immer noch nicht sagen, ob sie mit ihrem Arbeitskollegen Martin mehr als eine Freundschaft verband.

      Georg wiederum scheute das Zusammenziehen mit Derya, die nicht direkt, aber mit versteckten Andeutungen des Öfteren um dieses Thema kreiste. Sie hätte einen gemeinsamen Hausstand wohl für gut befunden. Seit einiger Zeit allerdings hatte Derya nichts mehr davon erwähnt, wie ihm gerade auffiel, und er war darüber eigentlich ganz erleichtert. Trotzdem irgendwie merkwürdig, dachte er, aber wir sehen uns ja momentan sowieso kaum.

      Wenig später lagen goldgelb gegarte Kartoffelscheiben neben dem violettroten Gemüse, auf dem schneeweiße Skreifilets thronten. Schon wollte Georg den ersten Bissen auf die Gabel nehmen, da hielt er inne. Er goss sich von dem dunklen, kräftigen Negroamaro ein, den er so liebte, und hob feierlich sein Glas.

      »Auf dich, Heini! Warst ein liebenswerter Mensch, ruhe in Frieden.«

      Angermüller wollte sich gerade auf den Weg zur Arbeit machen, als seine Nachbarin mit einem magentafarbenen Rollkoffer aus ihrer Wohnung kam.

      »Guten Morgen, Frau Frederiksen. Sie wollen verreisen?«

      Er zeigte auf das Gepäckstück.

      »Dann wünsche ich Ihnen ein erholsames Wochenende.«

      »Ach, ich muss nur zu einem beruflichen Termin«, wehrte die junge Frau ab. In ihrem grauen Hosenanzug, ein ebenfalls magentafarbenes Tuch um den Hals geschlungen, wirkte sie sehr mondän.

      »Na dann, trotzdem gute Reise und viel Erfolg!«

      Sie lächelte hinter ihrer großen Sonnenbrille, die sie trotz der frühen Stunde an diesem recht trüben Tag schon wieder trug. Wenn sie sich dahinter verstecken will, dachte Angermüller, erreicht sie mit diesem auffälligen Modell eher das Gegenteil.

      »Vielen Dank«, antwortete die junge Frau und ging auf hohen Stiefelabsätzen