ebenfalls vor und schüttelte die dargebotene Hand. Sie nickte.
»Ja, ich weiß, hab ich schon auf Ihrem Namenschild gelesen.«
»Na dann, bis zum nächsten Mal, Frau Frederiksen. Ich drücke die Daumen, dass Ihre Tochter bald was von sich hören lässt.«
»Ja, ich hoffe«, seufzte Frau Frederiksen und bückte sich nach dem großen Korb, den sie neben sich abgestellt hatte.
»Hab die Blumen gegossen und den Goldfisch gefüttert. Dann geh ich jetzt nach Hause und meine Kanelsnegle nehme ich wieder mit. Hab ich extra für Tonya gebacken. Die mag sie doch so gern, jedenfalls, wenn sie mal nicht auf Diät ist«, erzählte Frau Frederiksen, schnitt eine Grimasse und zupfte sorgfältig das blau-weiß karierte Geschirrtuch über dem Inhalt des Korbes glatt.
»Wie heißt das Gebäck?«, fragte Angermüller nach, dem schon die ganze Zeit so ein angenehmer Duft in die Nase gestiegen war, und deutete auf ihren Korb.
»Kanelsnegle, nichts Besonderes, einfach nur Zimtschnecken. Die essen wir in Dänemark zum Frühstück, zum Nachmittagskaffee, ach, eigentlich immer. Möchten Sie mal kosten?«
Erwischt. Neuen kulinarischen Köstlichkeiten gegenüber war Angermüller ja immer aufgeschlossen.
»Äh, also ja, gerne.«
Frau Frederiksen schlug das Geschirrtuch zurück und griff in den Korb.
»Am besten holen Sie mal was, wo ich die Zimtschnecken drauflegen kann.«
Sie sprach das Sch wie S in Zimtschnecken, und wieder lachte sie.
»Die sind nämlich ein bisschen süß und klebrig.«
Gleich darauf hatte Angermüller drei von den köstlich duftenden Hefeteilchen auf seinem Teller.
»Mmh, die sehen ja verlockend aus.«
»Und die schmecken, sag ich Ihnen! Ja, ich muss dann mal wieder. Tonyas Schwester kommt heute zu uns zum Abendessen. Tschüs, Herr Angermüller.«
»Ja, tschüs und vielen Dank, Frau Frederiksen.«
»Gerne. Bis zum nächsten Mal!«
Kapitel II
Lustlos stocherte Vicky in ihrem Blumenkohlgratin. Es schmeckte gar nicht schlecht. Doch der intensive Schweinebratengeruch, der über dem Esstisch hing, verdarb ihr den Appetit, genau wie das andauernde Gejammer ihrer Mutter.
»Heute Nachmittag hab ich auch ihren Nachbarn nach Tonya gefragt. Ein netter Mann. Aber der wusste natürlich auch nichts.«
Etwas zu geräuschvoll legte Vicky ihre Gabel auf das Porzellan.
»Mann, Mia, ich versteh nicht, warum du jedes Mal so einen Bohei machst. Gibt doch gar keinen Grund. Sie hat dir am Sonntag diese Nachricht geschickt, dass alles gut ist, sie nur noch etwas länger braucht.«
Bei dem Gedanken an Karolines Nachrichtentext spürte Vicky gleich wieder ihre Wut im Bauch: »Super Location hier! Bin Montag spät zurück. Bitte Goldie füttern, Wasser mal wechseln, Blumen gießen. NICHT MEHR ANRUFEN!!! Hab zu tun.« Und Mia nahm das einfach so hin, tat, was Karoline ihr auftrug, und sorgte sich ohne Ende.
»Außerdem ist sie doch erst einen Tag im Verzug. Ist doch schon öfter vorgekommen, dass Karoline länger wegbleibt als angekündigt, viel länger. Denk nur an die Story mit Mallorca damals! Da ist sie fast zwei Wochen geblieben, ohne sich nur einmal zu melden.«
»Du hast ja recht. Eine Mutter macht sich halt Sorgen«, kam kleinlaut die Antwort.
»Klaro, wird ja auch erst 23, dein Baby.«
»Sie hat schon seit Sonntag nichts mehr gepostet. Dabei wollte sie Aufnahmen machen. Deshalb ist sie doch weggefahren.«
»Wahrscheinlich ist unser Supermodel nicht schön genug auf den Fotos und muss die Bilder erst noch aufpimpen, damit sie ordentlich viele Likes kriegt«, meinte Vicky spöttisch, »wenn Karoline dich für irgendwas braucht, meldet die sich sowieso. Wetten?«
»Ach, Vicky, warum redest du immer so schlecht über deine Schwester? Und warum nennst du sie eigentlich immer Karoline? Du weißt doch, dass sie den Namen nicht mag.«
Genau deswegen, dachte Vicky trotzig und schüttelte unwillig das weißblonde Haar, das sich in einem wilden Gewirr kleinster Löckchen um ihren Kopf bauschte.
»Für mich ist und bleibt sie Karoline. Sie ist meine Schwester. Warum sollte ich sie bei ihrem Künstlernamen nennen?«
Früher war sie für alle Karoline und hatte auch kein Problem damit. Aber als sie begann, sich im Internet auszustellen, fand sie den Namen auf einmal altmodisch und unpassend, und außerdem hatte sie gelesen, es wäre ein Name, den Bauern gern ihren Kühen geben. Und ihr zweiter Name Bertonia klang ihr viel zu sehr nach dicker Berta. Und so wurde sie zu Tonya – mit dem extravaganten Y!
»Ich will doch nur, dass du dir keine Sorgen machst, Mia! Du müsstest inzwischen eigentlich wissen, dass meine große Schwester immer erst mal ihr Ding macht, und alles andere zweitrangig ist. Du wirst sehen, zu deinem Geburtstag am Wochenende ist sie bestimmt zurück.«
»Deine große Schwester kann eben Prioritäten setzen. Tonya will was aus sich machen, im Gegensatz zu dir.«
»Hat dich jemand um deine Meinung gebeten?«
Nur kurz richtete Vicky einen kalten Blick auf Ralf Ziegner, der am Kopfende saß, vor sich eine gewaltige zweite Portion Schweinebraten.
»Glaubst du, ich lass mir von dir in meinem eigenen Haus den Mund verbieten? Ausgerechnet von dir?«
Kurz überlegte Vicky, ihm eine passende Antwort zu geben. Aber es hatte keinen Sinn, und eigentlich wollte sie das auch nicht. Nicht, dass Vicky Angst gehabt hätte, mit ihm zu streiten, ihm an den kahl rasierten Kopf zu werfen, was für ein Idiot er war. Liebend gern hätte sie das getan. Aber sie wusste, wie sehr ihre Mutter unter diesen Auseinandersetzungen litt, die eh nichts brachten außer schlechter Stimmung. Sie hatte sich schon oft gefragt, wie Mia diesen Mann nur hatte heiraten können. Ob sie ihn wohl wirklich liebte? Oder wollte sie nur einfach nicht allein sein?
Vicky schluckte ihren Ärger runter. Die Klügere gab nach. Sie platzierte ihr Besteck ordentlich auf dem Teller.
»Vielen Dank für das Essen, Mia. Ich muss dann mal wieder.«
»Aber du hast ja kaum was angerührt, Kind! Ich hab doch extra für dich den vegetarischen Gratin gemacht«, beklagte sich ihre Mutter.
»Ach ja, die Dame ist ja Vegetarierin. Verdient man damit eigentlich Geld?«, nuschelte Ralf mit vollem Mund, aus dem ein paar Fleischfasern hingen, deren Anblick bei Vicky einen leichten Brechreiz auslösten. Schnell sah sie weg und atmete einmal tief durch.
»Ich hab zum Nachtisch Æbleskiver gemacht. Weihnachten ist zwar lange vorbei, aber die magst du doch so gern. Ich geb dir wenigstens ein paar davon mit«, sagte Mia und holte aus der Küche einen großen Teller mit dem duftenden Gebäck und eine Plastikdose, in die sie eine ordentliche Anzahl der außen goldbraun gebackenen, innen fluffigen Kugeln schichtete.
»Es gibt auch noch Kanelsnegle, wenn du willst …«
»Vielen Dank für die Æbleskiver, die reichen mir. Und die Zimtschnecken kannst du für Karoline aufheben, die sind doch ihr Lieblingsgebäck. Dann sag ich noch mal danke und tschüs, Mia.«
Vicky gab ihrer Mutter zum Abschied einen Kuss auf die Wange.
»Bleib ruhig hier, ich finde allein raus. Sollte ich was von Karoline hören, sag ich dir Bescheid.«
»Ja bitte, aber wahrscheinlich hast du recht, und ich bin einfach zu ängstlich.«
Mia Frederiksen lächelte schief.
»Du kommst doch nächsten Dienstag wieder zum Essen?«
»Klar, Mia. Ich komme gern. Aber erst mal sehen wir uns ja an deinem Geburtstag, sofern du mich einlädst«, scherzte Vicky.
»Aber