Martina Parker

Zuagroast


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irgendwie einen exotischeren Repräsentanten erwartet. Jemanden im Poncho mit Panflöte. Sie musste selber über ihr blödes stereotypes Denken lachen.

      Finz hatte einen Stoß Prospekte und mehrere Päckchen Erde mitgebracht.

      Vera überlegte, ob sie seine Erläuterungen aufzeichnen oder mitschreiben sollte. Wäre sicher nicht schlecht. Aber das Ganze mit dem Smartphone zu machen, wirkte hier in diesem Rahmen ziemlich deplatziert.

      »Hat wer einen Stift?«, fragte sie in die Runde und nahm die Rückseite eines Kassenbons, den sie in ihrer Handtasche fand, als Schmierzettel. Alle Anwesenden hatten geflochtene Weidenkörbe mit Notizblöcken und Stiften dabei. Hier war alles noch so angenehm analog.

      Finz räusperte sich und fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes braunes Haar.

      »Das Wichtigste, was ihr wissen solltet, ist, dass Erde ein Lebewesen ist. Unterirdisch wird zehn Mal so viel Leben ernährt wie oberirdisch. Pro Hektar gibt es 25 Tonnen Bodenleben – sofern die Erde intakt ist. Aber die klassische Landwirtschaft laugt den Boden aus. Egal ob Griechen oder Römer, alle großen Kulturen sind früher oder später am Boden gescheitert. Eine Zeit lang konnten sie das kompensieren, indem sie Kriege begannen und andere Länder eroberten. Trotzdem, älter als 1000 Jahre ist keine Kultur geworden. Wenn wir die Erde fruchtbar halten wollen, was gerade in Zeiten der Klimakrise und der Bevölkerungsexplosion ein riesen Thema ist, müssen wir ihr Substanz zurückgeben, und das geht nur über Humusaufbau. In Österreich haben sich bereit 3000 Landwirte diesem Ziel verschrieben, aber jeder Einzelne kann dazu beitragen, indem er anfängt, zu Hause zu kompostieren.«

      Finz hatte eine ruhige Stimme, drückte sich klar aus, schien von dem überzeugt sein, was er vertrat. »Hier«, sagte er und griff zu einem Säckchen Erde, öffnete es und reichte es herum.

      »Was ist das?« Vera befühlte den Inhalt mit den Fingern. Er fühlte sich grob und fasrig an und roch leicht nach Torf. »Fühlt sich an wie ganz normale Blumenerde.«

      »Richtig«, sagte Finz und zog die Stirn in Falten. »Nur dass Blumenerde zumeist gar keine echte Erde ist, sondern ein Mix aus Torf und Nährstoffen. Torf – dafür werden jahrtausendealte Moorlandschaften zerstört. Das hat nichts mit Erde zu tun. Das ist tote Materie. Gemüse, das darauf angebaut wird, schmeckt fad. Es gibt sogar Wissenschaftler, die glauben, dass unsere modernen Zivilisationskrankheiten daher kommen, dass wir unser Gemüse auf künstlichem Substrat ohne jede Art von Bodenlebewesen anbauen. Und jetzt schaut euch das an.«

      Das zweite Säckchen machte die Runde. Diesmal war der Inhalt feuchter, krümeliger. Die Erde wirkt irgendwie fetter, dachte Vera, echter.

      »Das ist Kompost. In dieser Handvoll Erde stecken acht Milliarden Kleinstlebewesen.« Eva, die das Säckchen in der Hand hielt, zuckte erschrocken zurück, als hätte sie einen Sack voller Flöhe geöffnet. »Keine Angst, die beißen nicht«, sagte Finz und grinste. Eva lief rot an.

      »Wer von euch hat einen Komposthaufen daheim?« Alle bis auf Vera zeigten auf. »Und was kommt da alles drauf?«

      »Küchenabfälle«, sagte Mathilde.

      »Zeitungen, Gartenabfälle, Grünschnitt, Laub«, ergänzten die anderen. Die burgenländischen Landfrauen schienen allesamt Kompostexpertinnen zu sein.

      »Und was darf keinesfalls drauf?«, fragte Finz.

      »Gespritzte Zitrusfrüchte, Unkraut, das Samen trägt, und Fleischabfälle«, sagte Vera, stolz, die Antwort zu kennen. Sie hatte zwar keinen Komposthaufen, aber einmal einen Artikel darüber geschrieben.

      »Falsch«, sagte Finz. »Das liest man zwar überall, aber es ist Blödsinn. Alles Organische kann kompostiert werden. Der Kompost muss nur heiß genug werden. Dann werden Spritzmittel abgebaut, Samen getötet. Und Fleisch verfault nicht, sondern kompostiert. Und heiß wird euer Komposthaufen, wenn ihr ihn richtig aufsetzt. Ich kann euch den YouTube-Kanal ›Erdgeflüster‹ empfehlen, schaut euch den einmal an, da gibt es einen Film zur richtigen Anleitung.«

      »Erdgeflüster«, flüsterte Vera Eva zu. Sie kam sich gerade vor wie eine schlechte Schülerin, die vom Lehrer getadelt wurde, und reagierte auf dieses peinliche Gefühl mit der gleichen Übersprungshandlung wie früher in der Schule: Sie begann, mit ihrer Sitznachbarin zu tratschen. Aber Eva ließ sich nicht darauf ein, sie nickte nur und schrieb eifrig weiter.

      »Wenn ihr Heißkompost richtig herstellt, könnt ihr sogar kranke Pflanzen kompostieren, zum Beispiel Tomatenranken, die die Braunfäule haben«, erklärte Finz. »Die Natur findet dann eine Lösung, bildet aktive Gegenspieler im Kompost, so geht moderner Pflanzenschutz. Zumindest in der Theorie. Denn in der Praxis sind die meisten Komposthaufen reine Abfallhaufen. Merkt euch eines: Wenn es stinkt, ist es kein Komposthaufen. Zu viel Rasenschnitt, zu viele Küchenabfälle, dann beginnt es zu stinken und zu faulen. Und das zieht dann nur die Schnecken an.«

      Schnecken, immer nur Schnecken, dachte Vera. Irgendwie waren diese Viecher allgegenwärtig.

      Gerade hatte Finz ein drittes Säckchen herumgereicht. Eine schwarze Komposterde, die er selbst nach einem geheimen Rezept der Inkas herstellte.

      Nix Poncho und Panflöte. Daher kam also der Name seiner Firma.

      Vera studierte Finz und fragte sich, wie es wohl gekommen war, dass ein junger Typ sich dermaßen brennend für Kompost interessierte.

      Kapitel 5

      Finz

      Oxytocin gilt als das Hormon, das uns vertrauen lässt. Das Kuschelhormon findet sich nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Pferden, Ziegen und – Goldfischen. Somit ist die Ähnlichkeit zwischen Mensch und entwicklungsgeschichtlich weit entfernten Tieren vermutlich größer, als bislang angenommen.

      Jeder Mensch hat eine besondere Begabung. Eine Stärke, Fähigkeit oder Leidenschaft, die seinen X-Faktor bestimmt. Etwas, das ihn einzigartig macht.

      Veras X-Faktor war es, Menschen mit ihren Texten zu berühren, Johannas X-Faktor war ihr grüner Daumen, Evas X-Faktor war, dass sie durch ihre Sensibilität viel mehr wahrnahm als andere Menschen. Der X-Faktor von Serafin, den alle nur Finz nannten, war Sex.

      Es war ihm lange nicht bewusst gewesen, dass er ausnehmend gut im Bett war. Wie hätte er sich auch messen und vergleichen sollen? Er merkte es einzig an den Reaktionen der Frauen, mit denen er schlief, die ihm eher früher als später allesamt verfielen. Sogar und gerade die, die ihn zuvor überheblich behandelt und unterschätzt hatten.

      Tatsächlich war