verpflanzt wurde. Sie einfach auszurupfen und auf den Komposthaufen zu werfen, hätte sie nie übers Herz gebracht. Johanna liebte diese Feenblumen seit ihrer frühesten Kindheit.
Als Zehnjährige hatte sie sich immer in den Nachbarsgarten geschlichen. Ihre Eltern bezeichneten dieses Stück Land als verwildert, Johanna als verwunschen.
Der verwunschene Garten gehörte zu einem Wochenendhaus, das reichen Wienern gehörte, die nur zwei- bis dreimal im Jahr herunter in den Süden kamen und deshalb die Blumenschönheiten, die hier neben Giersch und Ackerwinden gediehen, nur selten zu Gesicht bekamen. Johanna genoss deren Anblick dafür umso mehr. Die Akeleien sahen genauso aus wie die Blumen in den Illustrationen in Johannas Märchenbüchern – glockenförmige Blüten, auf denen Feen und Waldgeister schaukelten. Johanna liebte die Akeleien der Nachbarn, und manchmal bildete sie sich sogar ein, eine Fee zu sehen. In ihren Träumen war sie die Herrin dieses Zaubergartens. Jetzt, 40 Jahre später, hatte sie ihr eigenes magisches Gartenreich geschaffen und genoss es. Jedenfalls solange sie an der richtigen Stelle Blau sah.
Eigentlich war Johanna nur an einer einzigen Pflanze gescheitert, und das war ausgerechnet die, wegen der sie das blaue Beet ursprünglich geplant und angelegt hatte: dem Rittersporn.
Die blaue Staude war fixer Bestandteil jedes englischen Cottagegartens. Aber der südburgenländische Lehmboden war anscheinend nicht das richtige Substrat für den Rittersporn.
Johanna war keine, die schnell aufgab, aber irgendwann musste auch sie erkennen, beim Gärtnern galt die Regel: Standort ist alles. »20 Jahre bin ich beim Versuch, Rittersporn im Südburgenland anzupflanzen, gescheitert«, erzählte sie gerne ihren Gartenbesuchern. Denn egal ob gekaufte Pflanzen, geschenkte Ableger oder Pflänzchen, die sie selbst aus Samenkörnern zog, bei Johanna mochte der Rittersporn einfach nicht sein. Nicht einmal die wunderschöne zierliche Wildform, die sie jahrelang von einer Freundin überreicht bekommen hatte, hatte im burgenländischen Lehmboden überlebt. »Jojo, des Südburgenland, dei Stroßn san aus Luam, owa dahuam is dahuam.«9 Die Strophe aus dem Mundartgedicht hätte passender nicht sein können.
Irgendwann hatte auch Johanna eingesehen, dass die Natur am längeren Ast saß, und ersetzte den Rittersporn durch den robusten, aber giftigen Eisenhut. »Der passt sowieso besser zu mir«, scherzte sie dann. Sie spielte auf ihren kräftigen Körperbau und ihre resolute Art an. Letztere legte sie aber nur an den Tag, wenn ihr jemand wirklich »blöd daherkam«.
Im Grunde ihres Herzens war Johanna ein gutmütiger und großherziger Mensch.
Wenn sie nicht in ihrem Garten anzutreffen war, war sie in ihrem Geschäft gleich nebenan. Das Geschäft war eine Mischung aus Bauernladen und Gemischtwarenhandlung. Johanna nahm sich den Luxus heraus, neben Brot, Fleisch, Milch, Eiern und Gemüse auch das zu verkaufen, was ihr selbst gefiel. Mit Pflanzenfarbe gefärbte Schafwolle und originelle Keksausstecher, handgebundene Rosshaarbesen, lokales buntes Keramikgeschirr, Tischtücher aus Bauernleinen und dazu jede Menge Kramuri.
Wäre Johannas Hofladen in der Stadt gewesen, wäre sie damit wahrscheinlich reich geworden, aber hier in dem 300-Seelen-Dorf waren die meisten Kunden Pensionisten, die kein Auto hatten, um in den nächstgelegenen Supermarkt zu fahren. Und der Bedarf der Alten an Geschirr, Besen und Keksausstechern war längst gedeckt. Sie kamen für einen Laib Brot oder einen Liter Milch oder einfach nur zum Tratschen. Johanna störte das nicht. Sie hatte sogar einen kleinen Tisch und ein paar grün lackierte Sessel neben die Budel gestellt, damit sich die Besucher zum Tratschen hinsetzen konnten. Denn zum Tratschen kamen sie alle.
Weil man im Südburgenland jeden Besucher bewirtet, stellte sie ihren Stammkunden auch immer eine Kanne mit Kaffee oder einen Tee aus selbstgepflückten Kräutern und eine Mehlspeise hin. Dafür verrechnete sie natürlich nichts. Eine Tatsache, die der Finanzbeamte aus Oberwart bei einer Kontrolle fassungslos zur Kenntnis genommen hatte. Erst hatte er ihr nicht geglaubt und wollte eine Gastgewerbekonzession sehen, dann hatte er geglaubt, sie wolle ihn bestechen, weil Johannas warmer gedeckter Mürbteigapfelkuchen gar so gut war. Aber die hatte ihn nur ausgelacht.
Die Umsätze in Johannas Hofladen hielten sich in bescheidenen Grenzen, aber sie fühlte sich trotzdem reich, auch wenn andere das nicht verstanden. »Man ist glücklich, wenn man ein bisschen mehr hat, als man braucht, und wenn man nicht so viel hat, muss man halt ein bisschen weniger brauchen«, war ihr Motto.
Obwohl sie nur wenig Geld zur Verfügung hatte, wusste sie mit Geschick und Beziehungen das Beste daraus zu machen. Die Möbel in ihrem Geschäft waren vom Flohmarkt, das Gewächshaus war aus alten Fenstern selbst gebaut, und auch die Wege durch ihren Garten hatte sie mit alten verwitterten Steinen selbst verlegt, dazwischen wuchsen Teppichthymian und Rasenkamille, die sie selbst ausgesät hatte. Und Gemüse pflanzte sie statt in teuren Hochbeeten in ausgedienten Badewannen. Samen und Ableger verschenkte sie genauso freigiebig, wie sie ihr Gartenwissen mit anderen teilte.
Soll ich meine Rosen im Frühling oder im Herbst schneiden? Was mache ich gegen die Blattläuse? Warum haben meine Birnen innen drinnen braune Flecken? Johanna hatte auf alles eine Antwort. »Du solltest einen Gartenstammtisch eröffnen«, hatte irgendwann einer ihrer Stammkunden gesagt. Und irgendwie hatte sie der Gedanke nicht losgelassen. Ein regelmäßiges Treffen mit interessierten Gleichgesinnten, bei dem man Wissen und Samen austauschen konnte, gemeinsame Gartenausflüge machte … Das klang wunderbar.
Am nächsten Tag war Johanna zu ihrem Onkel gegangen, der bei einer Druckerei arbeitete, und hatte Flyer drucken lassen und zum ersten Stammtisch des »Klubs der Grünen Daumen« eingeladen. Jetzt stand sie supernervös in ihrem Hofladen und flehte innerlich, dass zumindest irgendwer kommen würde.
*
Kreisverkehre, überall Kreisverkehre. Als Vera hier im Südburgenland in die Schule gegangen war, hatte es die noch nicht gegeben. Jetzt schien das ganze Landstraßennetz voll davon zu sein. Bis zu einer Million Euro kostet die Errichtung eines Kreisverkehrs, hatte Vera einmal gelesen. Eigentlich unglaublich, dass ein paar Quadratmeter Asphalt so teuer waren. Hier im Bezirk mussten mittlerweile zig Millionen in die Erde versenkt worden sein.
Es gab sogar einen zweispurigen Turbokreisverkehr vor dem Einkaufszentrum am Stadtrand. Aber der schien den Verkehr manchmal eher zum Stocken als zum Fließen zu bringen. Vera wäre fast auf das Auto eines Pensionisten aufgefahren, der nach der Einfahrt in das Rondeau scharf abbremste, statt turbomäßig die Kurve zu nehmen. Jetzt stand der Wagen des Mannes in der Mitte der beiden Fahrbahnen. Der Lenker blinkte verwirrt einmal links und einmal rechts. Andere Fahrzeuge begannen zu hupen. Vera hatte Mitleid mit dem alten Mann. Als dieser den Führerschein gemacht hatte, war der korrekte Spurwechsel in einem millionenteuren Turbokreisverkehr sicher noch kein Thema gewesen.
Sie war spät dran. Heute war dieser Gartenstammtisch in Johannas Hofladen, für den sie sich angemeldet hatte. Beim Betreten des Hofladens wusste Vera sofort, welche von den Frauen in der Gruppe Johanna war. Die kleine, stämmige Frau mit den rotbraunen Locken und den wachen grünen Augen strahlte einfach eine natürliche Kompetenz aus, die sie sofort als Hausherrin offenbarte.
»Entschuldigt bitte mein Zuspätkommen … der Verkehr.« Vera biss sich auf die Zunge. Durfte man auf dem Land den Verkehr als Ausrede verwenden oder klang das blöd? »Ich meine, der Kreisverkehr.« Okay, das klang jetzt noch blöder. Zum Glück ignorierten die anderen ihre Verlegenheit.
Sie nutzte die Begrüßungsrunde, die nun folgte, um die anwesenden Frauen ausgiebig zu mustern. Was für ein bunter Haufen. Johanna trug dunkelgrüne Gummistiefel und eine giftgrüne Tunika. Farben, die ihre roten Haare noch mehr zum Leuchten brachten.
Neben ihr stand eine große, schlaksige Frau, die sich als Isabella vorstellte.
»Sie ist Kräuterpädagogin und führt die Drogerie in Pinkafeld«, erklärte Johanna.
Vera wusste nicht, was eine Kräuterpädagogin war. Inwiefern brauchten Kräuter eine Erzieherin? Sie beschloss, das bei nächster Gelegenheit zu recherchieren.
»Mathilde«, sagte eine dritte Frau und reichte Vera die Hand. Sie sah aus wie eine Rockabilly Braut. Als sie Vera die Hand drückte, schob sich der Ärmel der Bluse hoch und gab