das nicht gefällt, schlüpft sie einfach zur Vorderseite wieder hinaus.
Gepflegte Unterkühltheit, moderne Sachlichkeit – dafür steht die Bauhaus-Schule auch noch 100 Jahre nach ihrer Gründung. Was 1919 in Weimar als Experiment begann, um Kunst und Handwerk zu verbinden, entwickelte sich zu einer einflussreichen Stilrichtung, die die Architektur bis heute prägt. Der Bauhausstil: nüchtern, schnörkellos, reduziert. Betonkästen. Flachdach. Fertigteile. Glatte Fassaden. Glasvorhänge.
Erschwinglicher Wohnraum war knapp in der Weimarer Republik. Bauhaus-Gründer Walter Gropius schien die Antworten zu kennen. Er brüstete sich mit der Aussage, er könne preiswerten Wohnraum für alle schaffen. Die Stadtväter von Dessau waren begeistert und beauftragten ihn 1926, eine Wohnsiedlung zu bauen. Das Ganze sollte ein Vorzeigeprojekt werden. Modern, sozial, günstig. Denn Gropius hatte versprochen, billiger zu sein als die Konkurrenz – und schneller. Häuser quasi am Fließband. Das Tempo, in dem diese Siedlung aus dem Boden wuchs, war tatsächlich atemberaubend – in kürzester Zeit entstand Wohnraum für Tausende Menschen. Doch schon bald nach dem Einzug bemerkten die Bewohner massive Baumängel. Die Wärmedämmung war miserabel, die Wände viel zu dünn. Risse entstanden. Die Reparatur- und Umbaukosten verschlangen mehr Geld, als geplant. Das Sozialprojekt wurde zu einem sozialen Problem. Es eskalierte. Die Sozialdemokratie wandte sich vom Bauhaus ab. Und Gropius verließ die Stadt und das Bauhaus.
Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Hätte Paul nur sein Architekturstudium beendet. Vielleicht wäre er dann klüger gewesen. Doch so wiederholte sich die Story eins zu eins bei ihm und seinem »Seewinkler Inselparadies«.
Paul war von dort weggezogen. Er hatte seine Baufirma in den Konkurs geschickt und am nächsten Tag als Planungsunternehmen neu gegründet. Er war jetzt als One-Man-Show unterwegs. Er war ein Visionär: Planen, konzipieren, andere begeistern – das konnte er immer schon besser, als Sachen praktisch umsetzen. Er hatte die Baumängel auf die Subfirmen geschoben. Es gab ein paar Bürgermeister und Kommunalpolitiker, die viel Geld und eine Menge Wählerstimmen verloren hatten, und denen er besser nicht mehr über den Weg lief. Aber mitgefangen hieß mitgehangen. Wer mit Paul gepackelt hatte und sich auf korrupte Grundstücksbeschaffungen und -umwidmungen eingelassen hatte, hielt die Goschn. Fakt war: Paul war ohne größeren persönlichen Imageschaden aus der ganzen Sache herausgekommen.
Nur die Käufer gaben keine Ruhe. Es war schon gut, dass er jetzt in Buchschachen saß.
Paul pfiff fröhlich vor sich hin, während er sich anzog. Er wusste immer schon, wie er sich am besten in Szene setzte. Für das heutige Treffen mit dem Zieserl und dem Bürgermeister wählte er einen kakifarbenen Anzug von Dsquared2, dazu ein hellblaues Hemd über einem weißen T-Shirt, beides von Arket, und teure weiße Sneakers von Yeezy. Er war sicher, dass diese Marken den Hinterwäldlern hier nichts sagten, deshalb band er sich seine Vintage Rolex ums Handgelenk. Ein diskreter Hinweis für die ganz Blöden, dass er ein Erfolgstyp war.
Er sprühte sich ein bisschen Terre d’Hermès auf, fuhr sich durch die Haare und betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Die Irene, mit der er im Nordburgenland ein Pantscherl gehabt hatte, hatte gemeint, er sähe ein bisschen aus wie eine Mischung aus Leo Hillinger und Ryan Gosling, nur mit längeren Haaren. Sie war unglaublich verbrunzt in ihn gewesen. An die Irene hatte er jetzt schon länger nicht mehr gedacht. Aber die würde sich eh auch nicht mehr so schnell bei ihm melden. Schade eigentlich, er hatte sie gemocht. Sie war lustig und unkompliziert gewesen.
Eva beobachtete Paul, wie er sich umständlich fertig machte. Könnte er bitte endlich das Haus verlassen? Sie hatte Vera und Johanna eingeladen, weil sie ein paar Fragen zu den Obstbäumen hatte, die sie gekauft hatte und in den nächsten Tagen pflanzen wollte. Und sie wollte partout nicht, dass die beiden Paul in die Arme liefen.
Paul bemerkte, dass Eva ihn beobachtete.
»Du stehst grad so gemütlich, mach mir noch einen Kaffee, bevor ich fahr«, feixte er.
Eva lief zur Küchenzeile und tat, wie ihr geheißen. Die Anrichte war schon wieder voller Fliegen, dabei hatte sie nur kurz gelüftet.
Es läutete an der Tür. Evas Gebete waren nicht erhört worden. Die Gäste waren schon da. Überpünktlich wie alle hier im Süden. Sie öffnete.
»Wer ist da?«, fragte Paul.
»Johanna und Vera vom Gartenklub.«
Paul bedachte den Besuch nur mit einem flüchtigen Blick und einem kurzen Hallo, hörte aber ganz genau zu, als Eva die beiden begrüßte und das Gespräch begann.
Paul hielt sich nicht nur für einen ausgezeichneten Menschenkenner, sondern insbesondere für einen hervorragenden Frauenkenner.
Sein Urteil zu den beiden lautete schlicht: »Uninteressant.« Die eine mit den grünen Holzpantoffeln, dem Leinenkleid und den roten Haaren fiel für ihn in die Kategorie »burgenländische Landpomeranze«, die andere, eine schlanke Brünette mit Pferdeschwanz, sah zwar nicht schlecht aus, wirkte aber so, als ob sie gerne zurückredete. Und Frauen, die zurückreden, fand er anstrengend.
»Ich lass euch Ladies alleine, ich hab einen wichtigen Termin mit der ›Pannonia Bau‹ und der Gemeinde«, sagte Paul. »Würmchen, du kannst ja die Hausführung machen.«
»Wir wollten in den Garten gehen«, sagte Eva hastig und navigierte ihren Besuch an Paul vorbei.
Der warf demonstrativ lässig seinen BMW-Schlüssel in die Luft und fing ihn wieder auf, während er zur Garage schlenderte. »Vergiss nicht, dass du noch meine Post machen wolltest. Die Förderungsanträge müssen bis nächste Woche raus.«
»Ich weiß«, sagte Eva leicht genervt. Paul machte wieder mal auf: Wer ist hier der Boss? Das war so typisch, dass er sich vor den neuen Freundinnen deppert aufspielen musste.
Yeezy Turnschuhe, der macht wohl auf Berufsjugendlicher. Was für ein Einefetzer, dachte Vera, als sie Paul nachschaute. Dank Letta war sie bei den aktuellen Trendmarken up to date. Die Achleitners müssen echt gstopft sein. Bei Johanna kam die Botschaft überhaupt nicht an. Sie hatte nur Augen für die leuchtend orangegelbe Rose an der Garagenwand. »Eine ›Gebrüder Grimm‹, wie im Märchen, super, dass die hier Halbschatten hat, dadurch bleibt die Blütenfarbe schöner«, bemerkte sie.
Eva war froh über die Ablenkung. »Ich hab ein paar Blüten abgezupft und daraus eine Rosenbowle gemacht, mit Sekt und Erdbeeren. Darf ich euch was einschenken?« Sie verteilte das eiskalte Getränk gleichmäßig in drei bauchigen Gläsern. Vera nahm einen Schluck. Die Bowle schmeckte gut, nicht zu süß, nicht zu stark. Genau richtig für einen Frühlingstag wie heute. »Die Obstbäume, die ich gekauft habe, stehen gleich da drüben. Ich war extra in einer lokalen Baumschule, die auf alte Sorten spezialisiert ist.«
Vera studierte die Etiketten an den Stämmchen. »Klaräpfel, die liebe ich seit meiner Kindheit. Die bekommt man nie im Supermarkt, weil die gleich nach dem Pflücken mehlig werden. Aber frisch vom Baum sind sie knackig und zitronig frisch. Die besten Sommeräpfel der Welt. Und unsere Urlioma hat daraus immer Apfelmus gemacht, zu den Grumperndatschi.«
»Wie, was?« Eva verstand nur Bahnhof.
»Grumperndatschi sind Kartoffelpuffer, und die Urlioma ist die Uroma von der Letta, meine Großmutter. Sie ist vor ein paar Jahren gestorben. Wir leben jetzt in ihrem ehemaligen Haus.«
»Du hast nicht ernsthaft einen Holler gekauft«, stieß Johanna überrascht heraus und machte kugelrunde Augen.
»Ja, hab ich«, sagte Eva. »Was ist daran verkehrt? Ich mag Holler. Gekochte Hollerbeeren sind gesund, und aus den Blüten kann man Saft machen.«
»Aber einen Holler kauft man doch nicht.«
»Warum nicht?«
»Ja, weil der eh überall wild aufgeht. Hier drüben zum Beispiel.« Sie zeigte auf ein paar Sträucher auf der anderen Straßenseite. »Da geht man einfach hin und grabt ihn aus.«
Johanna schüttelte verwundert den Kopf. Holler kaufen. Diese Zuagroasten waren wirklich leicht übers Ohr zu hauen. Mehr Geld als Verstand. Aber die kauften ja auch Bärlauch, obwohl die Wälder