Martina Parker

Zuagroast


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Er wusste auch nicht, was aus dieser Frau geworden war. Sie war irgendwann verschwunden. Stattdessen war jetzt diese weinerliche, unfähige Person an seiner Seite, für die er zunehmend nur noch Verachtung empfand.

      Aus Evas Sicht sah das Ganze etwas anders aus. Je mehr Eva versuchte, sich von ihm zu distanzieren und zu emanzipieren, desto mehr tat er alles in seiner Macht Stehende, um sie klein zu halten. Paul war ein guter Rhetoriker. Er hatte immer schon verstanden, Eva in ihrer Meinung über andere Menschen zu beeinflussen. Er säte so lang Zweifel, bis sie ihrer eigenen Meinung nicht mehr traute. Fast wäre ihm das auch mit ihren Eltern gelungen.

      »Dass du so ein Psycherl bist, liegt sicher an deiner Kindheit, deine Eltern haben dich zu wenig geliebt.« Evas Proteste blieben ungehört. Paul lachte nur verächtlich und wusste es besser. Das sei ja typisch für eine psychisch Kranke wie sie. Sie würde es einfach nicht einsehen wollen, dass sie ein Problem hätten. Und Kindheitstraumata würde man halt verdrängen. Das wüsste doch jeder! Was hätte sie da noch sagen sollen? Der Stich ging mitten ins Herz. Eva hatte geheult. Paul hatte die Heulerei als hysterisch und verrückt bezeichnet. Typisch für eine Mimose wie sie. Aber er hatte erreicht, was er wollte. Er hatte sie verunsichert. Eva lag nächtelang grübelnd im Bett und dachte über ihre Kindheit nach. War da tatsächlich etwas vorgefallen? Hatten ihre Eltern sie wirklich nicht geliebt? War sie etwa nicht liebenswert genug gewesen? Ihr Verstand sagte ihr, dass sie ein ganz normales mittelprächtiges Verhältnis zu ihren Eltern hatte. Im Gegensatz zu Paul, der für seine ehemals berufstätige Mutter nur abschätzige Verachtung übrighatte. »Ein karrieregeiles Weib, das familiär über Leichen gegangen ist, bloß um eine überforderte Sekretärin ohne Aufstiegschancen zu werden.« Das war nicht seine Vorstellung von Familienleben.

      »Würmchen, träumst du schon wieder, mach uns noch einen Kaffee, der ist ja schon ganz kalt.«

      Pauls Stimme schreckte Eva aus ihren trüben Gedanken hoch.

      »Nein, lass nur«, sagte Vera, »wir müssen echt weiter. – Letta!« Sie rief den Namen ihrer Tochter laut Richtung Haus. Aber der Ruf hatte gegen Dua Lipas lautstarken Gesang keine Chance.

      »Ich hol sie schon«, sagte Eva. »Carla wird enttäuscht sein, dass ihr schon fahrt. Sie findet Letta toll. Das hat sie mir nach der Tanzstunde gesagt. Außerdem hasst sie es, hier nur mit uns rumzusitzen.«

      »Letta auch. Sie kann uns ja morgen besuchen kommen«, sagte Vera.

      »Wir hören uns, du kannst ja mal über mich schreiben«, sagte Paul und küsste Vera auf die Wangen. Ein Hauch Terre d’Hèrmes blieb an ihr hängen. Paul ging mit federnden Schritten zum Haus zurück. Vera und Letta radelten davon.

      Eva machte sich daran, das Geschirr abzuräumen. Pauls Tablet lag noch immer auf dem Terrassentisch. Sie sah eine Push-Nachricht im Facebook Messenger aufpoppen. Ihr Blick blieb am Display hängen. Sie erstarrte, als sie den Text las: Sylvia Zieserl hat deine Freundschaftsanfrage bestätigt.

      Trauerarbeit

      Akt 4

      Zweieinhalb Monate nach seinem Tod ging ich für die Trauerbewältigung zu einer Psychologin. Es hat mir genau gar nichts gebracht. Sie hat gemeint, ich müsse lernen zu verzeihen. Was für ein Schwachsinn. Sie hat nur meinen Verdacht bestätigt, dass die Leute Psychologie studieren, weil sie selbst einen Pecker haben. Meine Freunde meinten, sie hörten mir zwar gerne zu, aber wirklich helfen könnten sie mir nicht. Ich war allein.

      Kapitel 8

      Eva bei der Nachbarin

      Im Mittelalter gestand die Justiz Tieren Gefühle, ein Bewusstsein und in Folge auch Schuldfähigkeit zu. In einem Prozess des Jahres 1520 wurden Holzwürmer angeklagt, Möbel beschädigt zu haben. Auch Maikäfer gerieten ins Visier der mittelalterlichen Justiz: Sie hatten Felder leer gefressen und erhielten drei Tage Zeit, sie wieder zu verlassen.

      Eva hatte lange überlegt, wie sie sich bei der Nachbarin für die regelmäßige Eierlieferung revanchieren konnte. Nachdem sie tagelang darüber nachgedacht hatte und ihr keine zündende Idee gekommen war, hatte sie sich für ein eingetopftes Usambaraveilchen und eine Flasche Prosecco entschieden. Damit lag sie goldrichtig. Die Nachbarin hatte bereits eine ganze Sammlung Usambaraveilchen in allen Lilaschattierungen im Stiegenhaus stehen.

      Eva hatte gewusst, dass die Nachbarin daheim war, weil es aus dem Schornstein des Hauses wild rauchte. Die Nachbarin heizte nicht, sie verheizte. Kartons, Altpapier, alle Werbebroschüren der Supermärkte, die der Postler täglich brachte. Verheizen, das war auf dem Land für viele die traditionelle Art der Müllbeseitigung. Manchmal nahm der Rauch, der über ihrem Haus in den Buchschachener Himmel aufstieg, seltsame Farben an, war lilablau wie die Usambaraveilchen und stank widerlich. Eva wollte gar nicht wissen, was die Nachbarin an solchen Tagen alles verheizte.

      Paradoxerweise legten die Nachbarn, die regelmäßig Dreck in den Himmel jagten, in ihrem unmittelbaren Umfeld größten Wert auf Sauberkeit. Das kündigte schon die Türmatte an. »Füße und Pfoten bitte abtreten.« Ein Malteser kam kläffend herbeigelaufen, als Eva läutete. Sein Fell war makellos weiß, von der Hundefrisörin gebleicht. Die Türglocke spielte »The Final Countdown« von Europe. »Der Heinzi, mein Mann, mag das Lied so gerne«, sagte die Nachbarin erklärend. »Dabei spielens das eh jeden Tag im Radio. Ich mag ja lieber den Andreas Gabalier. Aber den kann der Heinzi auf den Tod nicht ausstehen. Ich glaub, der ist ein bisserl eifersüchtig auf den Andi.«

      Eva überreichte ihre Mitbringsel. Die Nachbarin war hocherfreut. »Den Prosecco mach ma gleich auf, und dann erzählst mir, wie ihr euch so eingelebt habt.« Sie war eine kleine kräftige Person Mitte 50 mit einer Frisur, die Eva an die früheren Playmobilfiguren ihrer Tochter erinnerte. Ein dunkelbrauner Farbhelm. Dunkelbraun waren auch ihre Leggings. Farblich abgestimmt auf das beigefarbene lange T-Shirt mit dem goldbraunen Print. An den Füßen trug die Frau goldene Sandalen mit Klettverschluss und Keilabsätzen. Ein konsequenter Versuch, Bequemlichkeit mit einem individuellen Modeanspruch zu vereinen. Die Nachbarin hatte sich in der Früh geschminkt. Jetzt waren nur mehr Reste des braunroten Lippenstiftes übrig. Durch die tätowierte Lippenkontur stach das Fehlen der Lippenfarbe noch stärker hervor. Die Augenbrauen fehlten ebenfalls. Statt Härchen saßen dort dunkelbraune Striche. Die Striche wanderten rhythmisch in die Höhe, wenn die Nachbarin sprach. »Komm herein. Aber bitte putz dir die Füße ab.« Der Malteser schnüffelte an Evas Beinen, sprang an ihr hoch und versuchte, sie zu begatten. »Butzi, lass das. Pfui, Butzi. Schäm dich, Butzi.«

      Die Nachbarin schubste Butzi mit dem Fuß weg. Der schnappte nach dem Klettverschluss der Sandale, ergriff dann aber kläffend das Weite. Seine gebleichten Pfoten rutschten beim Laufen über den Laminatboden in Buchenoptik. »Entschuldige bitte«, sagte sie, »der Butzi freut sich immer so, wenn Besuch kommt.«

      Sie bat Eva ins Wohnzimmer, das penibel aufgeräumt war. Vermutlich war alles an umherliegendem Mist zuvor verheizt worden. Der Kachelofen war noch warm. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein gehäkeltes Spitzendeckerl. Die Nachbarin holte Korkuntersetzer, legte diese auf das Spitzendeckerl und platzierte die Sektgläser darauf. Bleikristall. Einen Aschenbecher aus Bleikristall gab es auch, aber geraucht wurde hier nicht. Im Aschenbecher lagen die Rabattmarkerl einer Supermarktkette. Eva blickte sich um, Einbaumöbel aus Kirsche, überall Nippes. Engel, Porzellanrosen. Ein Kalender mit Sprüchen. »Ehrlichkeit ist ein teures Geschenk, das man von billigen Menschen nicht erwarten kann«, stand da.

      »Nett habt ihr es«, lobte Eva höflich.

      »Ja gell, den Einbauschrank hat uns ein Tischler aus der Oststeiermark gemacht, der arbeitet super sauber, der saugt sogar den ganzen Dreck selber weg. Mit dem kann man auch reden, wegen der Rechnung.« Sie zwinkerte Eva verschwörerisch zu. »Falls ihr mal wen in der Richtung braucht.«

      »Du, danke, aber der Paul hat da eh seine Kontakte.«

      »Ich wollt es nur gesagt haben.« Die Nachbarin wirkte ein bisschen eingeschnappt.

      Eva blickte aus dem Fenster. Auf der Konifere vor dem Wohnzimmerfenster balancierte ein Vogel. Eine Fliege kroch über die Scheibe, aber sie würde nicht mehr lange kriechen. Eine pestizidgetränkte Klebeblume versperrte ihr den Weg. Orangefarbene Vorhänge