Martina Parker

Zuagroast


Скачать книгу

öffnete eine Schachtel mit Knabbergebäck. Party-Mix vom Diskonter.

      »Jetzt erzähl einmal, wie es dir geht, ich bin ja froh, dass wir endlich wieder Nachbarn haben. Schon wegen den Einbrechern. Man fühlt sich einfach sicherer. Es steht ja so viel leer im Dorf. Die Jungen wollen nichts übernehmen und ziehen weg, und dann verfällt alles. Oder sie streiten sich ewig übers Erbe. Es will ja keiner mehr was arbeiten. Hast du gehört, dass der Michelbauer oben an der Kreuzung seinen Buben enterbt hat? Weil der ist spielsüchtig. Computerpoker. Da würd nur alles den Bach runtergehen. Da ist es besser, er lasst den Buam durch die Finger schauen und verkauft den Arkadenhof teurer an so an depperten Zuagroasten.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Euch hab ich natürlich nicht gemeint, ich rede von den anderen Wienern.«

      Eine betretene Pause entstand. Die Nachbarin griff zum Glas.

      »Schön, dass ma endlich einmal auf unsere Nachbarschaft anstoßen können!« Sie prostete Eva zu. »Ich seh’ dich immer so fleißig im Garten, hast neue Beete angelegt, gell.«

      Eva nickte. »Wir haben uns Inkaerde liefern lassen. Die soll ja für immer fruchtbar …«

      »Du, ich wär da vorsichtig, Glyphosat ist krebserregend«, sagte Eva.

      »So a Blödsinn, von einem Pflanzenschutzmittel kriegst keinen Krebs. Der Krebs, der kommt von der Psyche. Die, die vor euch in dem Haus gewohnt haben, da hat die Frau einen Unterleibskrebs gekriegt. Das war nur psychisch, wegen der Scheidung.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Leute lassen sich heute viel zu leicht scheiden. Eine gute Ehe, das ist harte Arbeit. Das musst wollen. Wenn der Heinzi und ich uns nicht so bemühen täten, wären wir schon lang nicht mehr zusammen. Aber die Leute heute denken ja nur an ihr Vergnügen. Lauter Egoisten. Keine Moral.«

      Die Nachbarin blickte bedeutungsvoll in ihr Kristallglas, dann schaute sie Eva prüfend in die Augen.

      »Ich verrat dir jetzt ein Geheimnis: Kennst die Gerlinde drei Häuser unter dir?«

      Eva schüttelte den Kopf.

      »Ich glaub, die ist eine Geheimprostituierte. Jeden Nachmittag schickt die ihre Kinder auf die Straße. Weil die Mama ist müde, die Mama muss sich hinlegen, die Mama muss sich ausrasten. Und dabei sind fremde Autos in der Straße geparkt.«

      Die Nachbarin senkte verschwörerisch die Stimme.

      »Ich bin sicher, die hat Männerbesuch. So was von sicher bin ich mir. Aber von mir hast das nicht. Gell. Ob das nicht der Callboy aus Unterwart ist. Das ist ein Araber oder ein Albanier oder ein Afghane, so ein Murl von da unten halt. Der macht kleine Reparaturen und Gartenarbeiten. Aber jeder weiß, was los ist. Das kommt davon, wenn die Männer die ganze Woche in Wien sind. Früher war in Oberwart in den Discos am Donnerstag Damentag. Da bist mit der Freundin hin, und dann haben die Frauen miteinander getanzt und was getrunken und dann sind sie wieder heim. Ganz anständig war das. Aber heute hamma orientalische Callboys in Unterwart. Die Welt steht nicht mehr lang.«

      Eva stand der Mund offen. Ein Partycracker mit Sesam klebte unangenehm an ihrem Gaumen. Sie spülte ihn mit dem halbsüßen Prosecco runter, obwohl sie langsam Kopfweh davon bekam. »Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?«

      »Klar, wir haben einen Wasserfilter, da bleibt der ganze Kalk und der Dreck aus den Rohren hängen, man weiß ja nie, was da im Leitungswasser drinnen ist. Der Heinzi war mal Wasserwart, das willst gar nicht wissen, was da so in den Rohren schwimmt.«

      Eva schwirrte schon der Kopf. Aber der Redeschwall der Nachbarin nahm kein Ende. Sie hechelte einen Dorfbewohner nach dem anderen durch. Geburt, Hochzeit, Scheidung, wer gestorben war, bald sterben würde oder zumindest ins Altersheim abgeschoben wurde. Nur zur größten Enttäuschung der Nachbarin kannte Eva die Betroffenen nicht. Das machte das Ausrichten nur halb so lustig.

      »Ja habt ihr denn noch gar niemanden kennengelernt?«, fragte sie schließlich frustriert.

      »Doch, kennst du die Zieserls? Die waren gestern bei uns zu Besuch.«

      »Soso, die Zieserls.«

      »Ist was mit denen?«

      »Na, die Zieserl is ka Guade.«

      »Wie meinst du das?«

      »Ich mein, dass die ein fleißiges Wischperl hat.«

      »Ein was?«

      Eva stand noch immer auf der Leitung.

      »Na, die is a Flitschn. Du, da würd ich aufpassen! Die Zieserl hat kan Genierer. Die krallt sich deinen Mann, so schnell kannst nicht schauen. Übrigens, wenn ihr bei euch den Weg weiter Richtung Wald fahrt, gibt es da eine Stelle, da ist alles voll mit Gummis. Die fahren da alle in den Wald zum Pudern. Magst vielleicht einen Eierlikör? Ich hab noch einen von Ostern über. Die Hendln legen grad wie verrückt.«

      Eva verneinte. Ihr wurde schlecht. Sie wusste nicht, ob von dem bösen Getratsche oder von dem vielen Alkohol oder von dem giftigen Rauch, der vermutlich immer noch wie eine Glocke über dem Haus schwebte.

      »Ich glaub, ich muss jetzt gehen, die neue Putzfrau kommt heute zum ersten Mal, und der muss ich alles erklären.«

      »Ich hoff, es ist keine Ungarin, die putzen alle so langsam«, sagte die Nachbarin.

      Eva schaute auf die Uhr. Die ungarische Putzfrau würde erst in einer halben Stunde kommen. Aber sie hatte Lust auf eine Dusche. Obwohl sie die letzte Stunde in so einem blitzsauberen Haus gewesen war, fühlte sie auf einmal richtig dreckig.

      Kaum hatte Eva das Haus verlassen, griff die Nachbarin zum Telefon. »Gerlinde, hallo, ich bin’s. Bist allein? Wie, nein. Dann schick die Kinder halt raus, wenn die so einen Lärm machen. Ich muss dir was erzählen. Du, die Zuagroaste war grad bei mir. Du wirst es nicht glauben, die Zieserl war auch schon bei denen. Ich fress einen Besen, wenn die nicht schon längst was mit dem Architekten laufen hat. Der ist ja genau ihr Typ. Erinnerst dich noch an den Fleischhacker, mit dem die Zieserl vorher das Pantscherl gehabt hat? Der hat genauso ausgeschaut. Der gleiche Typ. So ähnlich wie der Hillinger, ja.

      Wie die sonst ist, die Eva? Ja eh nett. Ein bisserl naiv. Die kauft auch diese sauteure Unkrauterde. Die Blöden sterben halt nicht aus. Und wenn sie aussterben, ziehen neue her. Du, Gerlinde, ich muss aufhören, bei mir läutet es. Mein Gärtner ist da.«

      »The Final Countdown« ertönte. Die Nachbarin öffnete die Tür. Der Mann war Anfang 20, und hätte er nicht diesen dunklen Dreitagebart gehabt, hätte man ihn noch jünger geschätzt. Seine Gesichtszüge waren fein, mit hohen Wangenknochen und schräg geschnittenen Augen, dunkelbraun wie Schokolinsen. Sein dichtes schwarzes Haar hatte er mit Gel gebändigt. Er war nur einen knappen Kopf größer als die Nachbarin. Und wirkte auf eine anziehende Art feminin und maskulin zugleich. Er trug Jeans, T-Shirt und Turnschuhe. Seine Kleidung war alt, aber gepflegt, genauso wie das Fahrrad, das er bei sich hatte.

      Die Nachbarin ging in die Garage und kam mit einer Unkrautspritze zurück. »Du heute Terrassenfugen sauber machen, verstehen? Aber aufpassen, nix einatmen, ist giftig. Und danach reinkommen, duschen. Ich auf dich warten.«

      Kapitel 9

      Veras Alltag

      Katzen sind Raubtiere und fressen im Notfall alles, was ihnen das Überleben sichert – auch wenn es Herrchen oder Frauchen