Bohémien. Der siebente und der achte Bezirk in Wien und das Lendviertel in Graz sind voll von solchen Leuten.«
Die Zieserls lauschten gespannt. »Das Ganze muss natürlich eine finanzielle Win-win-Situation für uns sein«, sagte Paul und rieb den Daumen der rechten Hand gegen den Mittelfinger. »Die Bürgermeister müssen halt mitspielen, wegen der Umwidmung, aber im Nordburgenland war das auch kein Problem. Da wäscht eine Hand die andere. Da kennst du sicher die richtigen Leute. Win-win, sage ich nur. Wir müssen halt schauen, dass die Grünen nicht zu schnell Wind von der Sache kriegen. Die wehren sich ja gegen jede Bautätigkeit und verstehen einfach nicht, dass eine attraktive Wohnanlage mit einladenden Grün- und Kommunikationsflächen auch dem Schutz von Grund und Boden dient.«
»Ich hab eh gute politische Beziehungen, auch in der Bundesregierung«, sagte Harald Zieserl stolz.
»Was stinkt denn da so grauenhaft?«, fragte Sylvia und rümpfte angewidert die Nase.
Eva stürzte in die Küche. Auf der linken Herdplatte stand die Plastiktortenform mit der Mohntorte, die sie am Nachmittag gebacken hatte. Die Herdplatte war an, das Plastik war geschmolzen und stank entsetzlich.
Eva versuchte, die Form wegzuziehen, aber sie klebte an der Platte fest. Ihr Versuch, den Herd auszuschalten, war ebenfalls ergebnislos. Das Ding piepste nur wie verrückt.
Paul war ihr gefolgt. Sie bemerkte seine steile Zornesfalte. Er hasste solche Ungeschicklichkeiten, weil sie seine perfekte Performance störten. »Was hast du da wieder angestellt«, zischte er sie an, »eine Plastikschüssel auf einen aufgedrehten Herd stellen. Wie blöd kann man sein?«
»Ich schwöre, der Herd war nicht an!«, sagte Eva. »Ich war seit einer halben Stunde nicht mehr in der Küche. Der muss von allein angegangen sein.«
»Jaja, von allein«, höhnte Paul. »Das war vermutlich der Heilige Geist. Mach das weg und dann lass dir was einfallen wegen dem Dessert. Ist noch Eis eingefroren? Dann nimm das. Und servier ja nicht den Kastanienreis, den die Putzfrau ständig aus Ungarn daherzaht, der besteht nur aus Bohnen und Zucker. Ich mach inzwischen einen Eiswein auf.«
Er rannte wieder zurück zu den Gästen. Eva hatte er finster angestarrt, aber sobald er in Sichtweite der Zieserls war, knipste er wieder sein Siegerlächeln an.
»Kleines Problem mit dem Herd.«
Eva hatte es inzwischen geschafft, den Herd abzudrehen. Sie kratzte mit dem Ceranfeldschaber das weiche rauchende Plastik von der Platte. Sie hatte den Dunstabzug auf Höchstleistung aufgedreht und eine Duftkerze angezündet, aber es stank immer noch fürchterlich. Schnell richtete sie in kleinen Schälchen Eis an. Sie konnte sich noch immer nicht erklären, warum der Herd angegangen war. Sie wusste zu 100 Prozent, dass sie diese Platte den ganzen Abend lang nicht bedient hatte. Vielleicht wurde sie auch verrückt. Paul warf ihr ständig vor, dass sie ein Traummännlein war, das Geister sah und ein Fall für den Psychologen war.
Eva griff zum Tablett, stellte die Eisschälchen, Waffeln und eine Schüssel Schlagobers darauf und ging damit zurück zu Paul und seinen Gästen. Wenigstens würde er sie nicht weiter sekkieren, solange die beiden da waren. Dass sie sich nachher etwas anhören würde können, war sicher.
Die wahre Schuldige kam freilich nicht nur ungestraft davon, sie wiederholte sogar ihre Missetat: Die fette Fliege kreiste summend um den Herd und ließ sich dann zum zweiten Mal an diesem Abend gemütlich auf dem Pluszeichen des Displays nieder, an dem kaum sichtbar ein Tropfen Uhudlergelee klebte.
6 Dann ist ihm auch noch die Frau abhandengekommen
7 War das die Wienerin, der du immer die Eier hinaufbringst«, fragte die eine und fügte ein bisschen süffisant hinzu: »Warum tust du das, bei so einem Wagen kann sie sich auch Eier kaufen?« »Ja, weil ich neugierig bin«, sagte die andere. »Außerdem ist das keine Wienerin, sondern eine aus dem Nordburgenland.« »Jesus«, sagte die erste. »Nordburgenländer sind das … Geh, hör mir auf. Da ist mir ja ein Dunkelhäutiger noch lieber.«
8 Zaha Hadid war eine bekannte irakisch-britische Architektin.
Kapitel 3
Skikurs
Ob und wann er darf, darüber entscheidet bei den Taufliegen immer das Weibchen – und es macht es dem Auserwählten nicht leicht. Anstatt dem Werben zügig nachzugeben, weist es dieses zuerst zurück. Doch hat das Männchen es geschafft, sie zu begatten, hat es gewonnen. Denn seine Samenflüssigkeit löst bei ihr ein mysteriöses Post-Sex-Verhalten aus: die Abwehr weiterer Verehrer und vermehrte Eierproduktion.
Paul erwachte mit einer Morgenlatte. Kurz überlegte er, ob er seine noch schlafende Ehefrau damit konfrontieren sollte. Aber dann entschied er, dass ihm das zu mühsam war. Er hatte gestern, nachdem die Zieserls gegangen waren, noch einen wilden Streit mit Eva gehabt. Er hatte ihr vorgeworfen, dass sie unfähig war, ein simples Essen auf den Tisch zu bringen. Gerade dann, wenn es wirklich wichtig für ihn war. Und dann hatte er sie gefragt, ob sie sich mit Absicht so blöd anstellen würde, um ihn zu demütigen. Eva hatte geheult und war hysterisch geworden.
Für Versöhnungssex war es jetzt zu spät. So wie er Eva kannte, war die schon im »gekränkt und beleidigt Modus« und würde den ganzen Tag kaum mit ihm sprechen, sondern ihn nur mit waidwundem Blick mustern. Wie er diese Märtyrernummer hasste.
Evas passive Opferhaltung widerte ihn zunehmend an. Konnte sie nicht ein bisschen Feuer im Arsch haben. So wie diese Zieserl. Jaja, die Zieserl. Er dachte an ihre Titten. Die waren echt geil. Er fuhr mit der Hand in seine Boxershorts und stellte sich vor, sein Schwanz läge zwischen ihren Titten. Er bewegte seine Hand langsam auf und ab. Dass Eva was mitbekommen würde, schloss er aus. Die hatte Ohrenstöpsel drinnen, wegen seiner Schnarcherei. Und außerdem hatte sie ihre komischen CBD-Tropfen genommen, wie immer, wenn sie was aufregte. Das war dann aber auch schon der letzte Gedanken, den er an Eva verschwendete. An die Zieserl zu denken, war weitaus vergnüglicher. Er grunzte zufrieden, als er sich seinen Fantasien hingab.
Eva wachte auf, weil sie spürte, dass sich die Matratze, auf der sie lag, rhythmisch bewegte. Sie erstarrte.
Das konnte jetzt bitte nicht wahr sein. Ihr Mann lag neben ihr und holte sich einen runter.
Was sollte sie tun? Sie könnte hochfahren, ihn anschreien, ihn beschämen. Aber stattdessen hielt sie die Augen fest geschlossen und stellte sich schlafend. Sie spürte einen Kloß im Hals. Sie biss sich auf die Zunge. Tränen stiegen hinter ihren geschlossenen Lidern auf. Sie hatte all das schon einmal erlebt. So ähnlich und noch viel schlimmer.
Es passierte in der zweiten Klasse Oberstufe während ihrer Zeit im Gymnasium. Eva war unsterblich in Paul verliebt. Sie war die Jüngste in der Klasse, gerade mal 15. Sie war noch Jungfrau. Paul wollte es tun, aber sie hatte Angst davor, dass es wehtun würde, davor, schwanger zu werden, und am allermeisten davor, sich dumm anzustellen. Dümmer als all die anderen erfahrenen Weiber in der Klasse wie die Bettina oder die Sandy, mit denen der Paul schon was gehabt hatte.
Küssen hatte Eva beim Flaschendrehen gelernt. Flaschendrehen wurde damals auf jeder Klassenparty gespielt. Sie hatte immer gebetet, dass sie nicht den pickligen Robert oder den schweißelnden Alex, sondern den Paul erwischen würde. Und dann erwischte sie ihn wirklich. Eva konnte sich noch genau an das Etikett der Flasche erinnern. Es war eine leere Mavrodaphne-Flasche – den süßen griechischen Wein hatten sie zuvor alle gemeinsam gesoffen. Eva vertrug schon damals nichts. Sie hatte rote Wangen vor Aufregung und drehte die Flasche besonders wild, als sie an der Reihe war. Die Flasche kurvte sicher achtmal im Kreis, bevor sie wackelnd zur Ruhe kam. Der Flaschenhals zeigte auf Paul.
Paul grinste und robbte auf den Knien zu ihr, dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Und der Kuss war richtig gut, nicht so nass und schlabbrig wie der vom Dietmar und den anderen Buben in der Klasse, die sie in ihrer ewigen Pechsträhne immer zu erwischen schien, wenn sie Flaschendrehen spielten. Von da an