Michael Borgolte

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte


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zum Opfer bringe, doch wenigstens in der Todesstunde solle man sein Vermögen als „gutes Reisegeld“ für die andere Welt einsetzen.237 Salvian hielt diejenigen, die ihren Kindern etwas hinterlassen wollten, für sündhaft; wer so handle, arbeite aber zugleich gegen sein eigenes Interesse, die Wohlfahrt im Himmel.

      Bei den Gaben an die Kirche, sei es zur Förderung von Gottesdienst, Gebet und Messe, sei es zur Unterstützung der Bedürftigen und Armen, müssen Schenkungen in einem Akt von Stiftungen unterschieden werden, die auf Dauer Erträge aus bereitgestelltem Stiftungsgut erbringen sollten.238 Die frommen Werke wurden hier auch postmortal durch die ‚Stiftungsorgane‘ im Namen und in Stellvertretung des Stifters ausgeübt und konnten auf lange Sicht oder auf Dauer seinem Seelenheil dienen. Schenkungen an die Kirche waren aber auch grundsätzlich dauerhafte Gaben und ohne ausdrückliche Anweisung stiftungsähnlich, da sie der Kirche nicht entfremdet werden durften.239 Im Mittelalter sind unzählbare Seelenheilgaben an Kirchen oder Klöster urkundlich notifiziert worden. Die donationes pro anima sollten, wie betont wurde, die venia peccatis oder venia delictis, die Verzeihung für Sünden und Missetaten, erwirken.240 Sehr häufig wird das Motiv in die Formel pro remedio animae, „für das Heil der Seele“, pro redemptione animae, „für den Rückkauf der Seele“, oder Ähnliches gefasst. Ziel der Schenkungen und Stiftungen war die aeterna beatitudo,241 die aeterna retributio, die ewige Seligkeit und Rückerstattung.242 Man stellte sich durchaus vor, dass die Schenkung ein Geschäft auf Gegenseitigkeit begründete; für die gute Gabe erwartete der Geber die Gnade Gottes beim Gericht. Ganz in der Art des Wirtschaftsverkehrs sprechen die Urkunden von der merces boni operis, dem Lohn für das gute Werk, der merces animae meae, dem Lohn für die eigene Seele.243 Der eigentliche Geschäftspartner waren deshalb nicht das begünstigte Kloster oder die Kirche, sondern Gott als Richter und Herr des ewigen Lebens. Oft wird zur Begründung aus der Bergpredigt zitiert: Date et dabitur vobis; darin kommt die Zuversicht zum Ausdruck, dass Gott die fromme Gabe nicht vergessen werde.244 Auch wenn die entsprechenden Motivenberichte stereotyp wirkten und waren, blieb das Seelenheilsmotiv stets präsent, so dass die geistlichen Urkundenschreiber auch immer neue Wendungen erfanden. In einer St. Galler Urkunde von 852 formuliert beispielsweise der Mönch Iso, vielleicht auch ein Historiograph des Klosters, für den Tradenten Wolfhugi: „Nachdem das menschliche Geschlecht durch die Schandflecken der Sünde verwundet und wegen der Schuld des Ungehorsams von den Freuden des Paradieses ausgeschlossen ist, hat Gott unter anderen Heilmitteln der Welt auch jene Arznei gegeben, dass die Menschen mit ihren eigenen Schätzen ihre Seelen von der Unterwelt der Hölle zurückkaufen können, so wie er durch Salomon sagt: Der Rückkauf der Seele ist der Reichtum des Menschen. Daher hat die göttliche Gnade auch durch sich selbst gemahnt, indem sie im Evangelium sagt: ‚Gebt und es wird euch gegeben werden‘, und wiederum ‚Gebt Almosen und alles ist euch rein.‘“245

      Die caritas, die das christliche Stiftungswesen von Anfang an ebenso geprägt hat wie das Motiv des Seelenheils, stand in der Tradition der ägyptischen Wohltätigkeit und damit des revolutionären Umbruchs der Achsenzeit; zugleich löste sie den griechisch-römischen Euergetismus ab. Eingeschlossen waren dabei die Freilassungen von Sklaven, die ebenso wie die materiellen Wohltaten zugunsten der Kirche beziehungsweise der Armen nach dem Willen Konstantins des Großen religiosa mente („aus frommer Gesinnung“) erfolgen sollten.246 Frühe Zeugnisse für den Wandel bieten Rechtstexte des 6. Jahrhunderts; so haben eine Kirchenversammlung im westgotischen Reich Spaniens (506) ebenso wie eine Synode im Reich der Merowinger (551) Schenkungen an die Kirche „zum Heil“ beziehungsweise „zum Rückkauf der Seele“ geregelt,247 während bereits die ältesten Formularsammlungen zur Herstellung von Urkunden sowie die fränkische Lex Ribuaria die Freilassung zum Nutzen des Seelenheils vorsahen.248 Bei den Stiftungen an der Schwelle zum Mittelalter wirkten allerdings die Motive der vorchristlichen Zeit noch nach; dafür steht etwa die Reihe der römisch-rechtlichen Testamente, die 739 u. Z. ausläuft.249 Ein besonders eindrucksvolles Beispiel stammt von dem Bischof Berthram von Le Mans und datiert vom 27. März 616.250 Obwohl sich Berthram für seine letztwillige Verfügung auf die Furcht vor der fragilitas humana („menschlichen Hinfälligkeit“) beruft und damit ein vorchristliches Motiv verwendet, ruft er bei seinen konkreten Verfügungen immer wieder die Formeln pro remedio oder pro mercede animae meae auf. Abgesehen von Legaten für seine Verwandten, setzt er seine Bischofskirche, besonders aber eine von ihm errichtete Peters- und Paulsbasilika zu Erben ein, an denen Kleriker, Kanoniker, Arme und Freigelassene, die alle von seinem Vermögen profitieren, auf Dauer seine memoria, die commemoratio nominis Berthrams, also sein Gebetsgedächtnis, pflegen sollten.

      Ob es ein Zufall der Überlieferung war, dass die erste Stiftung eines Papstes von einem Griechen stammte, muss offenbleiben; Johannes VII. (gest. 707) war der Sohn eines kaiserlichen Beamten gewesen.251 Als Bischof der Stadt errichtete er in der Peterskirche, also beim Grab des Apostels und nicht an seinem Bischofssitz, dem Lateran, eine Marienkapelle, in der er sich selbst als Stifter bildlich darstellen ließ. Seine Reichtümer soll er fast ganz auf die Ausstattung seiner als Grablege konzipierten Kapelle mit Mosaiken, Gold und Silber verwandt und den Rest den Armen vermacht haben. Demnach hat Johannes also auch eine Armenstiftung vorgesehen, während über die liturgische Betreuung seines Oratoriums nichts verlautet. Aufwendiger und ambitionierter plante sein Nachfolger Gregor III. ebenso für sein Grab in St. Peter (732 u. Z.); er war mit seiner Stiftung so erfolgreich, dass sich der gesamte Klerus der ehrwürdigen Kirche bis zum späten 15. Jahrhundert regelmäßig an seiner Ruhestätte versammelte und auch einige von Gregors Nachfolgern das Werk erneuerten.252

      Aus dem Italien des 8. Jahrhunderts sind, abgesehen von Rom, weitere eindrucksvolle Zeugnisse früher Seelenheilstiftungen erhalten geblieben.253 Bald nach der Unterwerfung des Langobardenreiches durch die Karolinger hat zum Beispiel ein Bürger aus Pisa namens Walfred ein äußerst konsequentes Stiftungswerk geschaffen.254 „Aus Liebe zu Christus und als Heilmittel für meine Sünden“ habe er mit seinen Besitzungen das Kloster S. Pietro di Monteverdi (754) gegründet und trete dort selbst als Mönch ein.255 Er habe sich, klagt Walfred in der Urkunde, lange Zeit dem vergänglichen Leben hingegeben, sei aber nun in Sorge, seiner Sünden wegen den Zugang zum Himmelreich verschlossen zu finden und nicht mit Christus das ewige Leben genießen zu können. Deshalb habe er sich entschlossen, ein Leben zu führen, durch das seine Vergehen ausgelöscht werden könnten; um den Zweck seiner Stiftung zu realisieren, zwang Walfred sogar seine Söhne, ebenfalls ins Kloster einzutreten und Tag und Nacht für seine Sünden Fürsprache im Gebet bei Gott einzulegen.

      Dank einer dichten Überlieferung lässt sich die Geschichte frommer Stiftungen in der lateinischen Christenheit an den Verfügungen der Könige und Kaiser verfolgen.256 Zäsuren bildeten hier weniger die Wechsel der Dynastien und Herrschaften als ein Wandel der Frömmigkeit. So wurde das Stiftungswesen seit dem hohen Mittelalter durch eine gravierende Änderung im Denken über das Jenseits beeinflusst. In der Hochscholastik, also seit dem 12. Jahrhundert, gaben die Theologen die altpatristische Vorstellung von einem allgemeinen Zwischenzustand der Verstorbenen bis zum Endgericht auf; stattdessen dachte man nun an ein individuelles Gericht, das kurz nach dem Tod über den Eingang der Seele in Himmel oder Hölle entscheide. Thomas von Aquin (gest. 1274) lehrte etwa: „Die Seelen erlangen sofort nach Lösung der Fessel des Fleisches, durch die sie imstande dieses Lebens zurückgehalten werden, Lohn und Strafe, sofern kein Hindernis vorliegt (…). Weil den Seelen ihr Ort zugewiesen wird je nach der Angemessenheit von Lohn und Strafe, wird die Seele sofort nach Loslösung vom Leib entweder in die Hölle hinabgestoßen, oder sie steigt zum Himmel auf, wenn sie nicht durch irgendeine Schuldverstrickung zurückgehalten wird, so dass das Aufsteigen [in den Himmel] bis nach der Läuterung der Seele aufgeschoben werden muss.“257 Die Sühne der Seele sollte im Fegefeuer erfolgen, das sich in der westchristlichen Imagination zur gleichen Zeit auf der Grundlage früherer Vorstellungen von einem postmortalen Reinigungsfeuer entfaltete.258 Hier, an einem bestimmten jenseitigen Ort, sollte die Seele für die im irdischen Leben zwar noch bereuten, aber nicht mehr gebüßten Sünden Qualen erleiden. Auf dem Konzil von Lyon 1274 wurde die Lehre vom Fegefeuer für die römischkatholische Kirche verbindlich. Sie lenkte die Aufmerksamkeit der Gläubigen fort vom langen Zeitraum zwischen Tod und Endgericht und hin zu der kürzeren Zeit unmittelbar nach dem Tod des Einzelnen, in der das Partikulargericht stattfinden sollte.259 Allerdings konnte niemand sagen, wie lange ein „halbguter“