befinden, wo die Daoisten alle verderbenden Energien lokalisierten. Diese Welt des Todes wurde durch eine riesige Verwaltung geordnet, mit Palästen, Residenzen, Büros und Gerichtshöfen. Dort wurden Aufzeichnungen über die Toten geführt und von Zeit zu Zeit überprüft. Tugendhafte Verstorbene wurden von hier in himmlische Paradiese geführt, während Sünder in „Erdgefängnisse“ gesperrt wurden, die in tiefen himmlischen Höhlen eingegraben waren. Im Fengdu verwalteten die Toten sich selbst; an der Spitze der Hierarchie stand der Nördliche Kaiser namens Beidi. Auch wenn es sich um einen Gerichtshof für Verstorbene handelte, war er mit Juwelen und Perlen reich ausgestattet und sogar eine besondere Reissorte soll dort gediehen sein; erst unter buddhistischem Einfluss wandelte sich Fengdu zu einem Ort der Qualen und des Schreckens für tote Sünder.
Im Daoismus müssen verschiedene Strömungen und Schulen mit ihren je besonderen Schrifttraditionen unterschieden werden. Ein Grundmotiv dieser Religion(en) war die ‚Selbstheiligung‘, also die Sorge des Einzelnen für sich selbst; repräsentativ für diese Haltung war das ‚Shangqing‘, das ins 4. Jahrhundert zurückging und sich in einem besonderen Ensemble von Lehren und Praktiken manifestierte.615 Unsterblichkeit wird hier nicht mehr wie noch im ‚Baopu zi‘ physisch und körperlich, sondern als eine spirituelle Qualität aufgefasst, die weniger durch Rituale und direkte Appellationen an göttliche Wesen als durch Gebete, Gesänge, die Versenkung in heilige Schriften und die visuelle Vergegenwärtigung von Geistern und Himmlischen erreicht werden sollte. Verinnerlichung war also der innovative Zug des ‚Shangqing‘ und dessen Errungenschaft für den Daoismus überhaupt. Unsterblichkeit galt als eine ‚private‘ Angelegenheit ohne Intervention menschlicher Vermittler, gestützt womöglich aber auf göttliche Helfer, die dem Gläubigen die Schlüssel zu himmlischen Palästen übergeben konnten. Letztes Ziel der Anhänger war, als Unsterblicher in der Leere zu weilen, wo aber ewige Jugend und übernatürliche Kräfte verheißen waren, mit denen sich die ganze Welt steuern ließ. Das erstrebte Dasein wurde zugleich als eine Transzendenz beschrieben, die jenseits des Dualismus von Leben und Tod, des Seins und des Nichtseins, der Helle und der Dunkelheit lag. Die Gläubigen hofften, dass ihre Namen in den von göttlichen Wesen geführten Listen des Lebens (shengji) geführt würden. Das Heil konnte man auch nach dem Tod erlangen und dabei von einem unteren Rang der Unsterblichen, des ‚Verwalters der Unterwelt‘, zu einem himmlischen Unsterblichen aufsteigen.
Auf menschlichen Beistand setzte im Unterschied zum ‚Shangqing‘ die Schule der „Orthodoxen Einheit“, Zhengyi.616 Ihr Ursprung lag bei einer dramatischen Offenbarung für den Transzendenzsucher Zhang Daoling617 im Jahr 142 u. Z.; diesem erschien der vergöttlichte Laotse618 auf dem Berg Heming, der einen neuen Bund zwischen den wahren Göttern des Daoismus und dem Volk schließen wollte. Der Vorgang gilt geradezu als Geburtsstunde des Daoismus als geordnete Religion, in der den Priestern die führende Stellung zukommen sollte.619 Zentrale Lehre in der Frühzeit der Bewegung war die Abwendung von Blutopfern für die traditionellen Götter und der gleichzeitige Verzicht der religiösen Führer auf finanzielle Entlohnung ihrer Dienstleistungen: „Die Götter essen und trinken nicht, der Meister nimmt kein Geld.“620 Die Priester wurden als „Dämonensoldaten“ (guibing) und „Weinzuteiler“ (jijiu) bezeichnet und hatten die Aufgabe, von den Anhängern die jährliche Getreidesteuer einzusammeln, „Sozialstationen“ (yishe), die von diesen Einnahmen unterhalten wurden, zu leiten und andere öffentliche Angelegenheiten wie den Straßen- und Brückenbau zu regeln. Sie leiteten drei Versammlungen im Jahr, bei denen die Gläubigen ihre Sünden bekannten, über Geburten, Todesfälle und Heiraten berichteten und ein gemeinsames Mahl eingenommen wurde.621 Seit dem 6. Jahrhundert und bis zur Gegenwart setzte sich der daoistische Klerus als Beruf mit ritueller Spezialisierung durch, der eine langwierige Ausbildung in der Tradition des Dao verlangte und sich von einfacheren Kultpraktiken abgrenzte. Die Priester, daoshi, erlangten ihr Amt häufig als Sohn oder auch Tochter eines daoshi.622 Die berufliche Spezialisierung und ständische Abgrenzung führte dazu, dass es eine daoistische Laienbewegung eigentlich nicht gab: „In der westlichen Wissenschaft bezeichnen wir nur den Priester (dao-shi) als Taoisten, den das Wissen um die göttliche Natur des Menschen und die entsprechenden religiösen Methoden auszeichnet, mit denen er dieses Wissen für das Gemeinwesen, für Staat und Gesellschaft, wie auch für Individuen und nicht zuletzt für sich selbst nutzen kann.“623 Die Schule erkannte die „Himmelsmeister“ als religiöse Führer an, die sich ebenso auf Zhang Daoling zurückführten und ihre Sukzession lückenlos bis ins 20. Jahrhundert nachweisen können.624
Die Leistungen der Daoisten für Staat und Gesellschaft wurden allgemein anerkannt, insbesondere auch die ihnen zugeschriebene Kraft zur Heilung, die auf ihre Spiritualität zurückgeführt wurde. Am Hof der Tang-Dynastie (618–907 u. Z.) berichtete darüber ein Daoist in seiner Enzyklopädie ‚Perlenbeutel aus den Drei Höhlen‘ am Beispiel bestimmter Persönlichkeiten: „Der Taoist Ren Dun lebte zurückgezogen in den Jahren 307–313 am Berg Mao-shan in Kiangsu, wo er die Substanz ‚Rote-Mineralien-Paste‘ selbst verwendete. Wenn er unter das Volk ging, hatte er stets die religiösen Verhaltensregeln und Schriften bei sich, um das Volk anzuleiten. Trotz großen Zulaufs hat sich noch kein würdiger Schüler gefunden. – Du Gui stand in der Tradition des Zheng-yi-Taoismus. Er hatte sich schon früh der Organisation und den Registern des Himmelsmeisters angeschlossen, um im Volk zu helfen. Innerlich und äußerlich von integrer Art, hat er nicht nach Almosen getrachtet. Schließlich hatte er sich einen Amtssitz eingerichtet, von wo aus er den Menschen half. Als der Vorsitzende Minister Lu Na im Alter von 40 Jahren an einem Tumor erkrankte, hat er zu Du Gui gesagt, dass in seiner Familie nur kurzes Leben vererbt werde und zum Lebensende immer solche Geschwüre kämen. Du Gui aber hat die Gefahr für das Leben des Lu Na durch eine Gebetspetition an die Gottheiten und durch ein Medizinpulver beseitigt. Lu Na wurde, wie von Du Gui prophezeit, 70 Jahre alt. – Liu Ning-zhi hat auf der Südseite des Berges Heng gelebt, wo er Medizinen einsammelte und konsumierte. Er hatte das ‚Tao der guten Einwirkung der Himmelsmeister auf das Volk‘ erhalten und ausgeübt. Zusammen mit seiner Frau, die über die gleichen Mittel verfügte, hat er dem Volk in Not geholfen, wobei ihm wundersame Wirksamkeit beschieden war (…). – Der Taoist Wang Zhong-fu hatte sich von klein an der Sache der göttlich Unsterblichen gewidmet. Er hatte sich über 40 Jahre lang in Atemtechniken und diätetischen Praktiken geübt, ohne besondere Ergebnisse. Sein Sohn dagegen war nach achtzehn Jahren erfolgreich und fuhr am hellen Tage in den Himmel auf. Später hat dann die Vollkommene vom hl. Berg des Südens [Wei Hua-cun, Nan-yue zhen-ren] Wang Zhong-fu davon unterrichtet, dass sein Misserfolg durch Krankheiten, durch Mangelerscheinungen im ‚Palast des Hirns‘ verschuldet worden war. Jener hat dieses Problem gelöst und war dann ebenfalls nach achtzehn Jahren erfolgreich und avancierte zum Stand eines Vollkommenen des heiligen Berges der Mitte [Song-shan]. Dort steht er dem Büro der Neun Himmel vor.“625
Seit den Anfängen des religiösen Daoismus wurden Tempel errichtet und gebraucht; sie wurden als „Hotel“ bezeichnet, weil die „Weinzuteiler“ dort den (laikalen) Gästen ihre Schuldbekenntnisse abnahmen und Heilkontrakte mit den Göttern aufsetzten; später wurde die Bezeichnung aber fast vollständig von guan verdrängt, was „Observatorium“ oder „Belvedere“ bedeutet. In diesem Wort kommt die doppelte Blickrichtung zwischen dem Priester und den Gottheiten zum Ausdruck: „So wie der Taoist bei seinen Ritualen, bei Petitionen an die Gottheiten und meditativen Reisen zu den Sternpalästen der Gottheiten nach oben schaut, zum Himmel, so schauen die Gottheiten durch ihr ‚Observatorium‘, den Tempel, nach unten in die Welt der Menschen.“626 Es gab Observatorien der Gottheiten in himmlischen Sphären und solche auf Erden. Ihre Lage wurde als „Glücksorte“ bezeichnet, an ihnen begegneten sich der Mensch und die transzendenten Götter. Auch unabhängig von Priestern und Ritualen konnten die Gläubigen diese Stätten in ihrer Hoffnung auf Heil und Rettung aufsuchen; Gesellschaft und Staat waren zum Unterhalt der Tempel verpflichtet. Eine Schrift über ‚Die Gründung von Tempeln‘ schrieb vor: „Was die Verteilung und Anlage solcher göttlicher Wohnstätten auf Erden betrifft, Orte und Gebäude unterliegen alle strengen Regeln. Generell eignen sich sechs Arten von Lokalität für ihre Anlage, und zwar Berge, Städte und Vorstädte, Paläste und ihre Seitengebäude, Dörfer, einsame Orte und belebte Orte. In allen Fällen bedarf es der materiellen Unterstützung und der Patronage des Kaisers und der lokal Mächtigen sowie der Begleitung der Konstruktion und deren Erhaltung durch die