Michael Borgolte

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte


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Jahrhundert auch vom Sanskrit ins Chinesische übersetzt wurde, soll Amitābha das Gelübde abgelegt haben, die Wesen, die sich ihm anvertrauen, in sein himmlisches Reich aufzunehmen. Allein durch die ständige Rezitation der Formel „Verehrung des Buddha Amitābha“ – bei der es manche bis zu hunderttausend Anrufungen am Tag gebracht haben sollen – erwartete man die Rettung.

      Als Begleiter des Buddha war in China und im Mahāyāna überhaupt der Bodhisattva Avalokiteśvara sehr populär;545 in China trug er den Namen Guanshiyin oder Guanyin und wurde meist in weiblicher Gestalt als ‚Göttin der Barmherzigkeit‘ vorgestellt.546 Er gilt als reinste Verkörperung eines Bodhisattva, der erst alle anderen Wesen zur Erlösung führen will, bevor er selbst ins Nirvāṇa eingeht.547 Das in ganz Ostasien populäre ‚Lotos-Sūtra‘, das im Jahr 406 u. Z. ins Chinesische übersetzt worden war, legte im Hinblick auf diesen Bodhisattva sogar dem ‚historischen‘ Buddha folgende Worte in den Mund: „Angenommen, da wären unermessliche hunderttausende und Abermillionen von Lebewesen, die alle Übel und Leiden erfahren. Wenn sie von diesem Bodhisattva Avalokiteśvara erfahren und einen [sic!] Herzens seinen Namen ausrufen, dann wird der Bodhisattva Avalokiteśvara ihre Stimmen wahrnehmen und alle werden von ihren Leiden befreit werden.“548 Die Verehrung dieser Erlösergestalt bezeugen u.a. Malereien in den Höhlen von Dunhuang und anderen Höhlentempeln an der Seidenstraße.549

      Dem Kult des Avalokiteśvara zugehörig war die Stiftung eines uigurischen Paares wohl aus Kočo, dem Hauptort der Oasa von Turfan.550 Beide hatten das Bild des Bodhisattva (unter dem Namen Cakravartin-Cintāmaṇi) im späten 10. oder frühen 11. Jahrhundert auf eine Stoffbahn aus Baumwolle malen und dazu eine Inschrift anbringen lassen; drei Fragmente des für einen Tempel bestimmten Banners befinden sich heute in den Berliner Sammlungen. Glücklicherweise ist der Text ihrer Verfügung weitgehend erhalten; aus ihm geht hervor, dass die Stifter nicht nur auf die Hilfe Avalokiteśvaras setzten, sondern auch auf Maitreya hofften: „In einem gesegneten Monat, an einem erwünschten Tag, zu einer auserwählten guten Stunde, im gesegneten Maus-Jahr, im dritten Monat, am Dreizehnten. Ich, der Laie Nam Čor mit starkem Glauben und meine Ehefrau Kiu Šun, wir haben ständig gedacht: Der Körper ist vergänglich, die Habe vergeht. Wir wollen nicht am vergänglichen Körper und an der vergehenden Habe kleben, wir wollen an unsere Seelen denken. Es könnte ja sein, dass wir nicht wieder einen menschlichen Körper erlangen! Deshalb haben wir ergebenst die Figur des Cakravartin-Cintāmaṇi-Bodhisattva malen lassen. Dieses Puṇya, die gute Tat, möge Frucht zeigen! Wir beide und unsere lieben Vertrauten Kutlug Sıŋgur, Ädgü Sıŋgur, Ogul Sıŋgur, Kutadmıš Alp Sıŋgur, unser älterer Bruder Alp Y(ä) gän, unsere Schwiegertochter Yumšak und alle (anderen), wir mögen in der gegenwärtigen Existenz ohne Krankheit und Gebrechen, ohne Gefahren und ohne Leid, glücklich sein! Ferner wenden wir dieses Puṇya, die gute Tat, auch zu unseren verstorbenen Eltern, und wenn es auch bis zur siebten Generation Söhne und Töchter gibt, so mögen sie von den schlechten Wegen erlöst und oben im Tuṣita-Himmelsland wiedergeboren werden! Wir aber mögen kraft des Puṇya, der guten Tat, zur späteren Zeit den Buddha Maitreya schauen, den lieblichen Körper des Buddha Maitreya mit jambunāda-Gold [ausstatten], und (wenn) unsere Kräfte schwinden, mögen wir aus dem [jämmerlichen] Saṃsāra erlöst werden, alle Leiden der fünf Existenzen [mögen schwinden!].“551 Der buddhistischer Lehre widersprechende Passus über die unvergängliche Seele552 mag auf Einflüsse des auf der Seidenstraße und besonders in Kočo selbst verbreiteten Manichäismus zurückgehen.553

       Stiftung im buddhistischen Guanyin-Kloster (China): Aufschrift im Wandgemälde von 1468 in der Halle Pilu Dian

      Typisch für den Mahāyāna-Buddhismus war es, dass die Frommen das Heil nicht nur für sich selbst suchten, sondern es auch für ihre Familienangehörigen und schließlich für alle Wesen erlangen wollten. Man war sich dieses Unterschieds zum älteren ‚Mainstream-Buddhismus‘ auch durchaus bewusst. In einer chinesischen Schule wurde ausdrücklich gelehrt: „Das Kleinere Fahrzeug hat kein anderes Ziel als persönliche Anliegen. Das Streben dieses persönlichen Interesses ist das Gift für Familien, Klöster, Königreiche und religiöses Leben, denn es zerstört die Erleuchtung (bodhi) beim Handelnden. Das Größere Fahrzeug strebt im Unterschied dazu sowohl nach Erfüllung des persönlichen Interesses als auch nach derjenigen aller anderen. Das ist der Grund, warum die Bodhisattvas in ihrer Gesinnung des großen Mitleids die Methode des ‚Unerschöpflichen Behälters‘ eingerichtet haben. Von den zehn Tugenden ist Barmherzigkeit die erste; unter den vier Wegen der dringenden Bitte ist Freigebigkeit der vornehmste.“554 Das Streben der Gläubigen musste sich darauf konzentrieren, mit Hilfe der Bodhisattvas religiöse Verdienste zu akkumulieren und dadurch sich selbst und anderen, vor allem den Ahnen und anderen Familienangehörigen, das Heil zuzuwenden, wenn möglich bis zum Erreichen des Nirvāṇa.

      Im Mahāyāna wurde der Mönch zum Dienstleister des Heils auch für andere. Durch die Laien wurde er in die Lage versetzt, Verdienst zu erwerben, das wiederum auf diese übertragen werden konnte und ihnen in verschiedener Weise zugutekam. „In diesen Vorstellungen von Verdienst“, hat Volker Olles formuliert, „einer Art spirituellen Kapitals (…), liegen die weltanschaulichen Grundlagen des religiösen Stiftens in China.“555 Dessen herausragende Erscheinungsform waren zweifellos die Klöster, die ihrerseits, wie Olles für China geltend macht, stets Stiftungen gewesen sein sollen.556 In einer erzählenden Quelle aus der Mitte des 10. Jahrhunderts wird beispielsweise berichtet, dass der Eunuch Yü Ch’ao-en im Jahr 767 u. Z. ein Landgut, das er vom Kaiser als Geschenk erhalten hatte, für die Stiftung eines neuen Klosters zur Verfügung stellte, damit dort „das Glück jenseits des Grabes“ für die Kaiserin Chang-ching gefördert werde.557 Das Kloster Ayuwang konnte sich schon Jahrhunderte lang der Unterstützung durch verschiedene Kaiser erfreuen, als der Mönch Deguang (1121–1203) den Hofdichter Lu You (1125–1210) die folgende Inschrift für eine Stele verfassen ließ: „Während der Regierungen des Jiayou [1056–1063] und des Shaoxing [1131–1162] statteten Kaiser das Kloster Ayuwang mit Schriftwerken von ihrer eigenen Hand aus. Damit wurden zehntausend Dinge geschmückt. Daraufhin taten alle Götter des Berges und die Geister des Meeres ihr Äußerstes, um ihre Pflichten zu erfüllen. Alle wilden Tiere, die Riesenschildkröten und die Wassereidechsen, die Kraken und die Krokodile, zogen sich unterwürfig zurück. Alle üblen Nebel und bösartigen Dämpfe verschwanden und verschafften reine Luft. Schiffe von weither legten an und Kaufleute kamen aus allen Himmelsrichtungen herbei; Gold floss aus dem Süden und Muscheln ergossen sich auf den Markt und in die Läden – niemand konnte ihre Mengen zählen! Die Deiche und Gräben wurden befestigt und die Ernten waren überreich. Ah! Welche Blüte! Jetzt machte der Mönch Deguang einen guten Nutzen von den kaiserlichen Geschenken und vermehrte sie alle. Er betete für das lange Leben der Kaiser und der Kaiserinnen. Er errichtete segenspendende Werke für die ganze Welt und setzte sie instand, sich zu vervielfältigen; es war alles grenzenlos und friedlich auf ewig. Eine Stele wurde zurechtgemeißelt, und die Inschrift diente zum Bericht dieser Dinge. Es ist klar, dass Buddhisten im Kloster Ayuwang ein friedliches Leben verbringen, hingegeben der Verbreitung des buddhistischen Gesetzes und der Rückerstattung für die Wohltaten der Kaiser; so sollte es auch in Zukunft weitergehen.“558

      Wie sich in diesem Text bereits andeutet, mussten die Mönche kaiserlicher Klöster mit ihren religiösen Zeremonien u.a. für die kaiserliche Familie und die Krieger im Felde, für die Sicherheit des Staates oder den Schutz vor Naturkatastrophen wirken, überliefert ist aber sogar ein Ritual für „menschliche Könige“.559 Besondere Klöster wurden zum Gebet für ein langes Leben des Kaisers eingerichtet.560 Neben den kaiserlichen Klöstern gab es die Gründungen vornehmer Familien sowie einfacher Menschen, die sich für eine Stiftung auch zusammentaten. Der Zeitzeuge Falin (572–640) zählte für das Reich der Nördlichen Wei (386–534) 47 große Staatsklöster, 839 Klöster von Prinzen, Herzögen und herausragenden Familien sowie 30.000 oder mehr Klöster gewöhnlicher Stifter; unter den Ch’en (im Norden, 557–589) seien 17 neue Staatsklöster errichtet worden sowie 68 Klöster von Beamten, mit denen anderer Wohltäter im Ganzen 1.232 neue Einrichtungen der Art.561 Verbreitet war offenbar der Typ des ‚Verdienstklosters‘; ein solches Haus wurde gewöhnlich mit kaiserlicher Erlaubnis in der Nähe des Begräbnisplatzes einer wohlhabenden Familie