Roland Werner

366 mal Hoffnung


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auch das stimmt: Ich brauche die anderen! Ich brauche zum Glauben die Gemeinschaft der Glaubenden. Ich brauche die Erfahrung der anderen Christen, ihre Weisheit, ihren Rat, ihre Unterstützung. Das gehört so unmittelbar zum christlichen Glauben hinzu, dass es sogar im Glaubensbekenntnis erscheint. Und was da bekannt wird, gehört zum unaufgebbaren Kern.

      Es stimmt: Wir brauchen die „Gemeinschaft der Heiligen“. Nur durch dieses Miteinander können wir zu dem werden, was wir sein sollen. Gemeinsam erfahren wir die Gegenwart von Jesus, gemeinsam erleben wir seinen Geist.

       Unsere Städte – Gottes Stadt

       So wie wir es gehört hatten, so haben wir es dann auch gesehen in der Stadt des HERRN, der die Heere befehligt, in der Stadt unseres Gottes: Gott lässt sie fest stehen in Ewigkeit.

      PSALM 48, 9

      Über den Dächern der Stadt

      Wölbt sich der Himmel

      Schemel des Höchsten

      Hoffnungshorizont

      In den Häusern der Stadt

      Wohnen wir Menschen

      Schönes und Schweres

      Lebenshorizont

      In den Kirchen der Stadt

      Singen wir Lieder

      Hören und Beten

      Glaubenshorizont

      In den Straßen der Stadt

      Tönt eine Stimme

      Ruft heim zum Vater

      Liebeshorizont

       Gemeinschaft oder Hierarchie?

       Sie kamen nach Kafarnaum. Im Haus angelangt, fragte Jesus seine Jünger: „Worüber habt ihr euch unterwegs gestritten?“ Sie schwiegen, denn sie hatten sich gestritten, wer von ihnen wohl der Größte wäre.

      MARKUS 9, 33

      Christliche Gemeinschaft ist eine Familie. Schwestern und Brüder, die zusammengehören. Unter ihnen soll es keine Unterschiede geben. Jesus lehrt das ganz eindeutig: „Aber ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist.“ (Matthäus 23, 8 - 11)

      Doch die Neigung, sich untereinander zu vergleichen und voneinander abzusetzen, ist tief in uns verwurzelt. Selbst in der Gegenwart Gottes hören wir mit diesen unheilvollen Spielchen nicht unbedingt auf. Es ist tragisch, wie wir es in der Geschichte der Kirche geschafft haben, genau die Hierarchien wieder aufzubauen, die Jesus niedergerissen hat. Dabei sind das eigentliche Problem gar nicht die Titel, die ja zum Teil auch ihren Ursprung im Neuen Testament haben. Das Problem ist der Geist, in dem sie manchmal verwendet werden. Doch Gott schaut tiefer. Er schaut auf das Herz.

      Entscheidend ist nicht, welche Titel wir tragen, sondern ob wir zu denen gehören, die sich um Jesus versammeln: „Und er antwortete ihnen: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!“ (Markus 3, 33 - 35)

      Genau hier ist Jesus zu finden, bei den „Zwei oder Drei“ oder Sieben oder Zwölf oder Einhundertzwanzig, die um Jesus herum sind. Dort ist er in der Mitte. Es hängt eben nicht an den Menschen, an den Begabten, Berühmten und Besonderen. Es hängt vielmehr an Jesus, der uns nahe sein will. Alle Hierarchien und Herrschaften kommen zum Ende, wenn Jesus in unserer Mitte ist.

       Die Einladung gilt

       Christus spricht: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

      MATTHÄUS 11, 28

      Mancher mag über diese Einladung lachen. Dann ist das Christentum also doch eine Religion für die Schwachen! Eine psychologische Krücke für Versager, für Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen! Dieser Vorwurf ist immer wieder laut geworden. Nietzsche, der Prophet des Nihilismus, hat ihn vehement erhoben. Ihn störte, dass die Christen so bescheiden, demütig und schwach waren.

      Auch heute meint mancher, er sei aufgrund seiner Bildung oder Herkunft über den einfachen Glauben an Jesus erhaben. Wer an Jesus glaubt, wird als naiv angesehen. Skepsis und Unglaube gelten als wissenschaftlich und aufgeklärt.

      Doch merken wir bei genauerem Hinsehen, dass dieses simple Schwarz-Weiß-Bild nicht stimmt. Es gibt dafür zu viele gebildete und mit beiden Füßen im Leben stehende Persönlichkeiten, die sich zu Jesus bekennen. Und doch stimmt es: Gott leistet es sich, vor allem die Schwachen zu sich zu ziehen. So sagt es schon Paulus: „Es gibt ja nicht viele unter euch, die nach allgemeinen Maßstäben als Weise angesehen werden, und auch nicht viele Einflussreiche, nicht viele aus den höheren Gesellschaftsschichten! Sondern Gott hat gerade die auserwählt, die als ungebildet gelten, um so die Weisen in den Schatten zu stellen … Gott hat die herausgesucht, die aus keiner vornehmen Familie stammen … um so die, die etwas sind, von ihrem hohen Ross herunterzuholen.“ (1.Korinther 1, 26 ff)

      Wem gilt also die Einladung? Die Antwort ist klar: Jedem, der sie auf sich selbst bezieht. Wer sich selbst für stark, gerecht und unverwundbar hält, wird sie überhören. Wer aber seine eigene Bedürftigkeit erkennt, für den bedeutet sie himmlische Musik. Wie wir auf Jesus reagieren, hängt immer davon ab, wie wir uns selbst sehen. Die Entscheidung, ob die Einladung von Jesus auch für uns gelten soll, fällt in unserem eigenen Herzen.

       Unangenehme Nachrichten

       Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.

      MARKUS 8, 31

      Religion ist das Opium des Volkes. So lautet der unvergessliche Spruch von Karl Marx. Viele Menschen würden ihm zustimmen. Genau! Religion kann höchstens ein bisschen wohltun. Kann uns wie eine Droge etwas vorgaukeln. Ein bisschen Glanz auf unsere ansonsten graue Existenz werfen. Wofür soll Glaube sonst gut sein, wenn nicht dafür, etwas Sinn in unser ansonsten als absurd empfundenes Leben hineinzugießen? Wenn es um die Höhepunkte des Lebens geht, um Geburt oder Hochzeit, ist Religion geduldet. Sie ist dafür da, dass wir uns wohlfühlen!

      Doch da macht Jesus nicht mit. Dass es ihm nicht um die Erfüllung religiöser Gefühle ging, nicht um feierliche Stimmungen, zeigt diese Aussage. Sie wird häufig als die „erste Leidensankündigung“ bezeichnet.

      Die Reaktion der Jünger lässt nicht auf sich warten: Angst, Entsetzen, Abwehr! Das darf auf keinen Fall geschehen! Doch Jesus will seine Schüler nicht in falscher Sicherheit wiegen. Er will, dass sie der Wirklichkeit ins Auge blicken und bewusst den Weg des Leidens mit ihm gehen. Den Weg der Passion. Den Weg zum Kreuz.

      Was Jesus sagt, ist keine angenehme Nachricht. Keine Streicheleinheit für die Seele oder Balsam für das Gemüt. Doch Jesus mutet ihnen das zu. Er will ihnen auch an seinem schwersten Weg Anteil geben.

      Gleichzeitig macht er deutlich, dass dies kein sinnloser Weg ist. Das, was hier geschieht, haben schon die Propheten vorausgesagt. Es ist Teil von Gottes großem Plan. Das macht das Leiden nicht automatisch leichter. Aber es eröffnet den Blick in die Zukunft. Leiden und Kreuz haben nicht das letzte Wort. Dieser hoffnungsvolle Ausblick ist kein religiöses Opium, sondern ein Schluck aus dem Becher des Lebenswassers.

       Eine starke Herausforderung