Lüerß Werner

Markus Blume führt dich durch die Zeit


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umsteigen in die U 9, zwei Stationen bis Osloer, dann wieder umsteigen in die U 8, dann zwei Stationen bis Residenzstraße. Endlich aussteigen, der Sonne entgegen!

      Die Oberwelt hatte mich wieder. Dieser Abschnitt da unten war Vergangenheit: verlorener Job, gewonnen eine andere Welt. Ich muss mich finden, hörte ich. Neue Schritte in eine unbekannte Zeit. Bäume rauschten, bunter Blätterwald, Blumen am Wegesrand. Herzzerreißend war der Tag, was mir die Zukunft wohl bringen würde? Komm, Markus, wir schaffen das! Nimm dich zusammen, wir brauchen Kraft für das, was vor uns liegt!

      Der Haustürgriff grüßte mich wie einen alten Kumpel, kalt war seine Berührung, aber herzlich. Im Treppenhaus das schwache Licht der Abendsonne, leise Musik. Wohlriechende Düfte riefen in meiner Trüffelnasse Verlangen hervor, Magensäfte meldeten sich rebellisch: Wir haben Hunger!

      Die Wohnung im ersten Stock. Als ich den Löwenkopf zog, erklang ein schnarrendes Klingeln. Heinz machte auf. „He, wie siehst du denn aus, Markus? Bist du etwa gestürzt?“

      „Nein. Wo ist Prinz?“

      „Draußen mit meiner Frau, im Park. Am See.“

      Ich ging durch den Park, da sah ich die beiden schon von weitem auf einer Bank. Die Begrüßung war eine Freude, wie am Morgen. Zu dritt gingen wir den Weg Richtung Heim. Wilhelmine war eine schweigsame Frau. Prinz ging uns immer einen Augenblick voraus. Abschied im Treppenhaus, ihr Blick fragend auf mich gerichtet. Schweigend ging sie zurück in ihre Wohnung.

      Ich war müde und fertig, fühlte den Schlaf, aber der Hunger, ein wütender sogar, stellte seine Forderungen. Ich gab mich geschlagen.

      In dieser Nacht gegen zwei weckte mich Prinz, er zog an meiner Decke. Schweiß bedeckte meinen Körper. Na, schlecht geträumt? Nein, wirklich nicht.

      Am Morgen nach dem ersten Tag danach machte ich mich an die Arbeit – Tragweite der Zukunft, den kommenden Tragödien nicht im Geringsten bewusst.

      Das Programm Wandlitzer Allee 32: Rettung der Seelen lief an. Was kann ich, wie viel bin ich zu geben bereit?

      Ich spürte, dass ich allein war. Ja, es war meine Entscheidung, diesen Weg zu gehen. Mehr als scheitern in den Phasen des wirklichen Lebens und den Zwischen-Lebenszeiten kann man nicht. Ich hoffte, ich sei ein Kämpfer. Mit dem Blick eines Menschen mit Fantasie war ich zu allem bereit. Ich machte Kassensturz: Konto und Sparbuch 18.000 Mark, dazu der Dispo von 4.000, machte zusammen 22.000 Mark. Markus, damit kannst du kein Haus ausbauen, das reicht nicht, du musst auch an die laufenden Ausgaben denken! Ich wurde wütend. Wie der mit mir sprach – als wäre ich ein Schuljunge!

      *

      Ich besuchte Erika, berichtete ihr von dem, was geschehen war. Sie staunte.

      „Mein Junge, da haben sie aber wirklich einen Waggon voll Probleme! Ich kann ihnen, wenn Sie wollen, ein wenig helfen, aber nur, wenn sie mögen. Ich möchte ihre Kassenaufsicht übernehmen. Um Sie vor sich selbst zu schützen!“

      Ich nickte. „Ist gut. Aber Sie haben mir schon so viel geholfen.“

      „Ich habe doch keinen mehr auf dieser Seite des Lebens. Ich habe dadurch auch wieder neue Qualitäten des Lebens zu entdecken.“

      Ein wolfartiger Gesang zog durch die Wohnung: Mein kleiner Prinz war im Land der Träume angekommen.

      Eine Nacht lang, bei vielen Gläsern Rotwein, schmiedeten wir einen Plan. Wir hatten nichts zu verlieren. Die Zukunft war unser Ziel. Ja, wir konnten es schaffen!

      *

      Tage später klingelte es an der Tür. Es war schon spät.

      „Mensch, Ralf Marloff, was treibt dich denn nachts durch die Stadt?“

      Prinz stürzte sich auf den Gast, begrüßte den späten Gast auf seine Art.

      „Ich bin gekommen, um dir als Bote einen Brief der Firma zu übergeben. Hier, unterschreib bitte den Zettel.“

      Ich unterschrieb. „Muss ich den auch gleich lesen?“

      „Nein.“

      Wir redeten im Flur noch ein bisschen; Beklemmung spürte man schon ein wenig. Ralf machte sich auf den Weg, ein letztes Mal gaben wir uns die Hand – Abschied von der Vergangenheit. Hatten wir noch eine gemeinsame Zukunft? Ich wusste es nicht.

      Im Zimmer öffnete ich den Brief. In kurzen Sätzen wurden meine Verfehlungen aufgeführt. Mir doch egal, Schnee von gestern, meldete sich mein Inneres. Plötzlich stutzte ich:

      Des Weiteren möchten wir Ihnen mitteilen, dass die Fristlose Kündigung in eine Ihrem Vertrag entsprechende Kündigung umgewandelt wird.

      Begründung:

      Herr Ralf Marloff hat mir gegenüber glaubhaft erklärt, dass Sie sich in einer Notwehrlage befanden und sich gegenüber Herrn Zerner nur verteidigt haben. Aus diesem Grund haben wir die Kündigung umgewandelt.

      Unterschrift der Geschäftsleitung

      Dr. Quanterna

      Personalaufsichtsrat

      Ralf, alter Junge, das werde ich dir nie vergessen! Tränen der Dankbarkeit rannen über meine Wangen. Ich hatte jetzt viel Zeit, um meinem Ziel entgegenzuarbeiten – sechs Monate! Aus- und Umbau, der neuen Heimat entgegen! Tatendrang, Wagemut und Kämpferherz, eine gesunde Mischung, die alles Fragende zurücklässt, manchmal auch Bindendes. Es gab nur ein Ziel!

      Mein Lebensmittelpunkt änderte sich, wanderte hinüber in die Welt des Handwerks – anders, aber nicht schlecht, das merkte ich schon nach kurzer Zeit. Programm bedeutet Organisation und Vordenken. Ich war in einem neuen Leben angekommen.

      Im Keller strich ich alles weiß, der Boden aus Beton bekam einen hellgrauen Anstrich, ich verlegte Leitungen für Licht und Steckdosen.

      Toll, im Baumarkt gibt ist alles, was die Arbeitshände so brauchen können!

      Markus, ich finde dich manchmal ja gar nicht wieder.

      Mein Inneres fühlte sich nicht mehr ganz gleichberechtigt, kam kaum mehr zu Wort – wie auch, so müde wie ich nun immer war!

      Tage des Schaffens vergingen.

      Am Samstag hatte ich den Keller fertig, die Heizung konnte eingebaut werden. Der Stromanschluss im Keller wurde durch eine Fachfirma angeschlossen und abgenommen. In einem Raum hinten links neben der Heizung zeigte der Elektriker mir, dass ich ab der Verteilerdose die elektrische Leitung vergessen hatte.

      Beim Anbauen der Deckenlampe vergaß ich, den Strom abzustellen. Ein furchtbarer Schlag durchzuckte mich, als ich das Kabel berührte. Ein Unsichtbarer holte mich, ich kämpfte, aber meine Finger klebten an der Leitung, ich kam nicht von ihr los. Zitternd, in unsichtbaren Schmerzen, fiel ich ohnmächtig von der Leiter.

      Ich sah mich selbst kalt am Boden liegend; schmerzendes Licht durchdrang meine Augen. Im Schleier des Vergehens sah ich plötzlich wieder die weißen Schleifen, die zum Zopf gebundenen roten Haare des Mädchens aus jener anderen Welt. Es kniete vor mir und seine grünen Augen schauten mich fragend an. War ich etwa auch schon dort, wo sie war? Sorgenfalten zierten ihre Stirn. Nein, Markus, du musst zurück in deine Welt! Dein Leben hier ist noch nicht gekommen!

      Die feuchte Zunge und ein Fiepen mit Knurrlauten vermengt zeigten mir, dass ich noch auf dem Boden der Tatsache lag, wie kommst du hier her. Fragend entsagte ich mir diese Antwort, die Hände in meinen Haaren, grübelte ich der realen Welt entgegen. Hatte ich wirklich verstanden?

       Du hast Mist gebaut, Markus, verdammten sogar, mein Alter. Willst du mich etwa umbringen?

      Er war auch wieder voll im Einsatz, Strom kann auch Leben retten, ha, ha.

      Vorsicht wurde ab jetzt mein Begleiter. Die Möglichkeit weiterer Unachtsamkeiten ließen mich weniger sorglos arbeiten als zuvor.

      Wochen vergingen, Monate. Die Zeit war eine Reise von