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Jürgen Rath
KONSTANTINOPEL VON UNTEN
UND ANDERE SCHRECKLICHKEITEN
Geschichten von der Seefahrt
literatur verlag josefine rosalski, berlin 2015
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Jürgen Rath, KONSTANTINOPEL VON UNTEN UND ANDERE SCHRECKLICHKEITEN – Geschichten von der Seefahrt
Literaturverlag Josefine Rosalski, Berlin 2015
© edition ♦ karo 2015, 1. Auflage
Literaturverlag Josefine Rosalski, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Porträtfoto des Autors: © Jürgen Rath
Umschlaggestaltung: K. B. Baring, Hamburg
Umschlagillustrationen K. B. Baring, Hamburg; Ph. Rath, Hamburg
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
ISBN 978-3-937881-73-7
INHALT
WETTLAUF MIT DEM TOD
Es war ungemütlich an diesem 3. Dezember 1909. Der Sturm blies bereits am Morgen in einer Stärke, die Schlimmes befürchten ließ. Graue Wellen, wandernden Bergen gleich, drängten in den Jadebusen hinein, die Luft war eisig, nur wenige Grade über null. Vormann Tiarks hatte bereits am frühen Morgen seine Männer zusammengerufen. Sie standen nun vor der Rettungsstation Horumersiel, angetan mit Ölzeug und Südwester, die Korkwesten umgebunden, um sofort hinausfahren zu können, wenn es erforderlich sein sollte.
»Sieht aus, als würde es noch schlimmer werden«, sagte Bootsmann Behrens und rieb sich die kalten Hände.
Tiarks hüllte sich in Schweigen.
»Auf See möchte ich jetzt nicht sein«, sagte Behrens.
Tiarks nahm seine Pfeife aus dem Mund. »Du musst nicht mit raus, Heinrich. Wir haben genügend Freiwillige.«
»Ich habe keine Angst. Nur so ein merkwürdiges Gefühl.«
»Deine Frau wäre sicherlich froh, wenn du aufhören würdest mit dem Rettungsdienst. Außerdem brauchen wir dich dringend an Land. Du bist der einzige Schuster im Ort.«
Heinrich Behrens blickte über die aufgewühlte Brandung. »Greta zündete jedes Mal eine Kerze an, wenn ich rausfahre. Vielleicht höre ich wirklich bald auf. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste.«
»Du könntest jetzt schon aufhören.«
»Nein, nein. Eine Fahrt mache ich noch. Es sieht verdammt danach aus, als würden mich die Leute da draußen brauchen.«
In diesem Augenblick drang ein verwehter Schrei vom Dach des Rettungsbootsschuppen zu den Männern hinunter: »Schiff mit Notflagge in Nordost! Distanz drei Seemeilen.«
Es war 11.00 Uhr vormittags.
Die Lore mit dem schweren Rettungsboot rumpelte den Deich hinunter, über den Strand, in die See, wo ein Wasserschwall das Boot stoppte. Die Männer, die schon im Schuppen ins Boot gestiegen waren, fuhren die Riemen aus und legten sich ins Zeug.
Sie kamen gut durch die Brandung, denn hier unter Land waren die Wellen nicht sehr hoch, und außerdem hatten sie es oft genug geübt. Doch draußen war es mühsam und kräftezehrend, gegen den Sturm anzurudern. Immer wieder schlug das Boot quer, wenn es von einer Welle getroffen wurde. Und nicht selten fiel ein Mann von der Ruderbank, wenn er mit aller Kraft ruderte und plötzlich der Widerstand fehlte, weil der Riemen nicht mehr ins Wasser tauchte.
Vormann Tiarks stand hinten im Boot und suchte die See ab. Wegen der fliegenden Gischt war nur wenig zu erkennen. Schließlich, als sie auf einen Wellenkamm gehoben wurden, sahen sie das Schiff mit der Notflagge nicht weit von ihnen entfernt. Es war die holländische Tjalk Ora et Labora, die ungewöhnlich tief im Wasser lag. Der Schiffer stand an Deck und winkte mit einem Tau.
»Die ist leckgesprungen«, rief einer der Bootsleute, »die will abgeschleppt werden.«
»Mit unserem Boot können wir keine vor dem Sturm treibende Tjalk schleppen«, gab Behrens zu bedenken.
Vormann Tiarks überlegte einen Augenblick, dann hatte er die Lösung gefunden. »Wir rudern zu dem Kriegsschiff dort drüben hin. Das soll uns helfen.«
Auf der vor Anker liegenden Kurfürst Friedrich Wilhelm war man bereits auf die Probleme der Tjalk aufmerksam geworden. Das Kriegsschiff nahm den Anker auf und dampfte dem Rettungsboot entgegen. Die Marinesoldaten ließen zwei Trossen hinunter, die Rettungsmänner ruderten damit zum Havaristen, der bereits nahe an der Mellumplatte trieb. Heinrich Behrens, der vorne im Boot stand, reichte dem Schiffer die beiden Trossen. In diesem Augenblick wurde das Boot von einer hohen Welle getroffen. Es holte über, die Männer klammerten sich am Dollbord fest, und als sich das Rettungsboot wieder aufrichtete, war Bootsmann Behrens verschwunden.
Die Männer beugten sich über die Kante, sie starrten ins Wasser, und als der Bootsmann wieder an die Oberfläche kam, griffen sie zu und zerrten ihn an Bord. Heinrich Behrens stand das Erschrecken