der Folge wurden viele Einrichtungen mit mangelhaftem Ausbildungsprogramm geschlossen.52
ABB. 17: DIESES FOTO ENTSTAND FÜR FRAU FRANK GAGE
Anfangs wurde die Schule durch die Persönlichkeit von A. T. Still geprägt. Seine Lebensfreude und sein Enthusiasmus verliehen den für das Wachstum nötigen Schwung. Er war überall; er machte Behandlungen, gab Vorlesungen, besuchte Patienten, besichtigte die Sektionsräume, und er schrieb Artikel und Bücher. Er besuchte die Wohltätigkeits-Sprechstunden und traf die Patienten. Wenn er ging, gab er ihnen die Hände und hinterließ häufig einen Fünfdollarschein in ihren Händen.53 Er mochte Menschen; sein Haus war oft voll von Studenten und Freunden. Man sagt, Mrs. Still habe nie gewusst, mit wie vielen Leuten sie für das Abendessen zu rechnen habe, weil er dazu neigte, jeden, der da war, darum zu bitten, zu bleiben und zu essen. Seine Studenten liebten ihn und nannten ihn „Pap“ oder „Daddy.“
Obwohl er körperlich aktiv war, führte er einen langen Stock mit sich – scheinbar symbolisch für den Schäfer, der seine Herde leitet; dies war allerdings eine Angewohnheit, die er nach seinem Typhusanfall 1877 angenommen hatte. Er war ein Träumer, ein Seher mit dem Drang, der Menschheit zu dienen. Er war freundlich, tolerant, geduldig und einfach. So-tun-als-ob verabscheute er. Er war exzentrisch und unorthodox, nicht allein in seinem Denken, sondern auch in seiner Art zu reden und sich zu kleiden. Seine Gestalt von 1,85 Meter Körpergröße war für gewöhnlich nachlässig mit einem Gewand bekleidet, das mehr einem Pionier zukam als einem erfolgreichen Arzt und College-Präsidenten. Einmal kamen zwei wohlgekleidete Damen den Weg zu seinem Haus hinauf und gingen an einem alten Mann vorbei, der an einer Ziegelmauer arbeitete. Sie sagten ihm, sie seien auf der Suche nach Dr. Still. Er blieb auf den Knien, seine Hosen mit Dreck bedeckt, und antwortete, dass er Dr. Still sei. Sie sagten, sie würden nach dem berühmten Dr. Still suchen. Und er antwortete, indem er mit einem Ziegel in der einen Hand und einer Maurerkelle in der anderen aufstand, dass er der Dr. Still sei, nachdem sie suchen würden. Dann sagte er: „Falls Sie nach schicker Kleidung suchen sollten, gehen Sie zum Haus und Mutter wird sie Ihnen zeigen.“54
Seine Rede war voll von Allegorien und formuliert in biblischer Sprache. Seine weisen Sprüche finden sich überall in seinen Schriften. Einige seiner Zitate wären:
„Krankheit ist bloß zu viel Schmutz in den Rädern des Lebens.“
„Gesundheit zu finden sollte Ziel des Arztes sein, Krankheit kann jeder finden.“
„Ein Maultier geht hinaus in die Wälder und isst, was ihm gut tut, lehnt ab, was nicht gut ist. Ein Mensch sollte so viel Sinn haben wie ein Maultier.“
„Ein Osteopath ist nur ein menschlicher Mechaniker, der die Gesetze verstehen sollte, die die menschliche Maschine beherrschen, und dadurch die Krankheit überwinden.“
„O Herr, benetze unsere Fersen mit dem Öl der Energie, sodass wir etwas weiter voran rutschen.“
„Zuerst sah ich die Spuren Gottes im Schnee der Zeit. Ich folgte ihnen.“
„Nun, Herr, wir flehen dich an, dass du gelegentlich unsere Köpfe mit den Hagelkörnern der Vernunft bearbeiten mögest.“
„Ich bitte den Herrn, meinen Kopf mit einem feinen Kamm zu kämmen und alle Unwissenheit aus ihm herauszubekommen, denn du weißt, der Grind der Faulheit ist ein stinkendes Gift für Wissen, für Erfolg und Fortschritt, es ist der Staub eines gierigen Geizes. Halte es fern von uns, o Herr, Amen.“55
ABB. 18 - 21: VERSCHIEDENE AUFNAHMEN VON DR. A. T. STILL
Dr. Stills Vorlesungen waren häufig voll von dunklen Gleichnissen und seltsam wirkenden Vergleichen. Insbesondere hob er hervor: „Anatomie zuerst, zuletzt und die ganze Zeit.“56 Manchmal war er streng und eindrucksvoll. Einmal bat er einen Studenten, die Mandelentzündung zu erklären. Der Student fing damit an, zu schildern, was er im Lehrbuch gelesen hatte. Dr. Still platzte heraus: „Verdammt, dieses Zeug will ich nicht hören. Ich will, dass Sie mir erzählen, was sich wirklich im Hals und in den Mandeln verändert, welche Nerven und Strukturen das Problem verursachen, und wie Sie vorgehen würden, um es zu korrigieren. Hören Sie damit auf, das was Sie in Ihren Medizinlehrbüchern gelesen haben wie ein Papagei nachzuplappern.“ Bei anderer Gelegenheit konnte er ziemlich lustig sein. Manchmal sprach er von „Herrn Wirbelsäule“ oder „Richter Herz.“
Einmal, nachdem er einen ernsten Vortrag über Osteopathie gehalten hatte, fing er an, der Klasse zu erzählen, dass er alt werde und dass seine Söhne bald für ihn übernehmen würden. Er sagte, er meine, dass seine Arbeit getan sei. Dann fiel er wie kollabiert zu Boden. Harry, der unter den Zuhörern war, eilte zu seinem Vater und begann mit osteopathischen Notfallmaßnahmen. Kurz darauf stand Dr. Still wieder auf und sagte mit einem Funkeln in den Augen, er habe nur simuliert. Alle waren sehr erleichtert und lachten herzlich über den Scherz, den der Doktor seinen Schülern gespielt hatte.
Bei der Abschlussfeier, nachdem er die Abschlussrede gehalten hatte, überreichte Dr. Still den Absolventen stets ihre Diplome und sprach einige persönliche Worte mit ihnen.57 Folgenden Ratschlag gab er einmal einem seiner Studenten:
ABB. 22: DR. STILL DEMONSTRIERT MANIPULATIONEN
“Zögern Sie nicht, auf Ihr eigenes Urteil und Ihre Vernunft zu vertrauen und denken Sie daran, dass Sie genauso dazu fähig sind, ebenso wertvolle Erkenntnisse zu erlangen wie jeder andere. Ich wünsche Ihnen nichts anderes, als dass Sie, wenn Sie anfangen zu praktizieren, auf schwierige Probleme stoßen werden, die Sie zu lösen haben. Gehen Sie in eine kleine Stadt, leben Sie von Maisbrot und Schweineschwarte, wenn nötig, aber schlafen Sie mit Ihrem Anatomiebuch unter dem Kissen und vergessen Sie nicht, dass Sie ein Gehirn haben.“58
Die erste für die Osteopathen errichtete Klinik wurde am 25. Mai 1906 eingeweiht. Die ASO-Klinik befand sich westlich des alten ASO-Krankenhauses an der nordöstlichen Ecke der Kreuzung von Jefferson und Osteopathy Street. Der rote dreistöckige Ziegelbau ermöglichte es, auch größere Operationen im Rahmen der Ausbildung zu unterrichten.59 Dr. Still war stets dafür, das Messer seltener zu gebrauchen, doch begriff er, dass es in vielen Fällen notwendig war, um Leben oder Körperteile zu retten. Er sagte nun: „In unserer Satzung nehmen wir in Anspruch, Chirurgie zu unterrichten. Wenn wir es unterlassen, diesen Zweig zu unterrichten, werden wir unserer Verpflichtung gegenüber den Studenten nicht gerecht.“60 Dr. George Laughlin legte dar, dass nicht alle Osteopathen Chirurgen sein sollten, aber die, die danach verlangten, die Möglichkeit haben sollten, welche zu werden.61 Da den Osteopathen der Zugang zu regulären Krankenhäusern verweigert wurde, diente die ASO-Klinik dem gesamten osteopathischen Berufsstand, bis weitere osteopathische Kliniken errichtet wurden. Im Sommer des Jahres 1914 wurde das Dach angehoben und das Gebäude um einen vierten Stock erweitert, sodass die Kapazität deutlich zunahm. Auch ein Aufzug wurde ergänzt. Sie mussten nun nicht länger eimerweise Wasser, Tabletts mit Essen, Vorräte und sogar Patienten die Treppen hinauf und hinunter tragen.62
Im Jahr 1905 gewann Dr. Still eine landesweite Zeitungsumfrage, wer den Nobelpreis für Physiologie und Medizin bekommen solle, mit 22.061 Stimmen. Er gewann den Preis nicht, da sein Name nicht an die zuständigen Behörden weitergeleitet wurde. Stattdessen erhielt in diesem Jahr Dr. Robert Koch aus Berlin den begehrten Preis für seine Arbeit zur Tuberkulose.63
ABB. 23: DR. STILL VOR DER ABSCHLUSSKLASSE DES JAHRES 1909
DER ALTE DOKTOR
Im Alter wurde Dr. A. T. Still liebevoll der „Alte Doktor“ genannt. Seine Söhne, die nun alle D.O. s waren, waren die jungen Dr. Stills. George Laughlin, A. T. Stills Schwiegersohn, sagte, dass Dr. Still nie ein Bankkonto gehabt oder einen Scheck ausgestellt habe. Im Grunde genommen war er sehr