solle, das war die Frage.
Doktor Still stand ein für die Freiheit, nicht nur seine eigene, sondern auch für andere Leute, weiß wie schwarz.
Und als Old John Brown nach Kansas kam, etwa im Jahr achtzehnhundertsiebenundfünfzig, da war es beinahe die natürlichste Sache der Welt, dass er Doktor Still über den Weg lief.
Als sich das erste Parlament von Kansas versammelte, im Jahr achtzehnhundertsiebenundfünfzig, war Doktor Still eines der Mitglieder.
Die Frage der Sklaverei schien, wie alles andere auch, eine Frage des Standpunkts zu sein. Die, welche Sklaven besaßen, betrachteten die Abolitionisten als „Negerdiebe.“
Ihr Argument war es, dass, wenn die Abolitionisten keine Sklaven halten wollten, sie es nicht müssten. Sie sollten sich aber auch nicht bei denen einmischen, die welche hatten.
Es war eine wunderbare Erfahrung für Doktor Still, als Kämpfer, als praktizierender Arzt, als Wundarzt in der Armee. Er half, in den Bürgerkrieg einzutreten, noch fünf Jahre bevor auf Fort Sumter geschossen wurde.2 Um Freund und Feind kümmerte er sich gleichermaßen. Wenn zu kämpfen war, kämpfte er. Er kämpfte für das, was er für richtig und wahr und gerecht hielt; und wenn es Knochen einzurenken, hungrige Leute zu verpflegen und Kranke zu versorgen galt, so war er zur Stelle. Ob sie nun Grau oder Blau trugen3, machte keinen Unterschied. Für immer und ewig stand der Wundarzt Still auf der Seite der Menschlichkeit. Er war ein Mensch. Er stand direkt an der Schusslinie – und war seitdem stets dort.
Doch die eine Sache, mit der dieser Mann die Menschheit beeindrucken sollte, sollte erst später kommen. Die Wissenschaft der Osteopathie existierte damals nur als ein Keim in seinem Verstand. Er war von Natur aus ein zweifelnder Mensch, doch, seltsam genug, aber es entspricht dem Gesetz des Paradoxen, ein Zweifler ist ein Mann mit mehr als nur Glauben. Um voranzuschreiten, muss man glauben, dass etwas Besseres vor einem liegt, und natürlich zweifelt man dann an der Vollkommenheit der gegebenen Ordnung.
Doktor Still, glücklich verheiratet, war sesshaft geworden, um eine Farm zu betreiben und die Medizin auszuüben.
Nur ein Mann, der sehr auf sich gestellt ist, am Rande der Zivilisation, und in herrlicher Indifferenz allem gegenübersteht, das zuvor getan und gesagt worden ist, konnte die Verknöcherung der orthodoxen Medizin aufbrechen.
Doktor Still war ein Naturforscher. Jede Pflanze und jedes Kraut, jede Wurzel, jede Blume und jedes Blatt mit heilenden Eigenschaften waren ihm bekannt. Er heftete seinen Glauben an die einfachen Dinge.
Und wir müssen bedenken, dass es die Zeit war, als alle Ärzte nur Linderung verschafften. Wenn sie einen Menschen von seinen Schmerzen befreien konnten, beglückwünschten sie sich, als wäre er geheilt.
Doktor Still hatte genügend Vorstellungskraft, um zu erkennen, dass hinter den Symptomen eine Ursache stand. Und beständig war er bestrebt, den Grund, weshalb etwas war, ausfindig zu machen.
Ich glaube, dass er der erste Mann in der Geschichte ist, der unumwunden sagte, dass es so etwas wie Krankheit streng genommen gar nicht gibt.
Stattdessen handelt es sich bei diesen individuellen, besonderen Sachen, die wir Krankheiten nennen – sechshundert verschiedene und mehr sind in den Büchern verzeichnet –, nur um Symptome unter jeweils bestimmten Bedingungen.
Verletze ein Mensch die Gesetze der Natur, sei er unter- oder überernährt, sei er geistig verwirrt, wirke der Druck eines Knochens auf die Arterien, sodass der Blutfluss beeinträchtigt werde, oder auf einen Nerv, so vermag dieses Individuum eine oder ein Dutzend dieser sogenannten Krankheiten zu haben.
Fieber, Schüttelfrost, Lungenentzündung, eine Erkältung im Kopf, geschwollene Lider, Hexenschuss, die Brightsche Krankheit, Rheumatismus, Koliken, Pseudokrupp, Masern – alle diese Sachen gehen auf eine spezifische, individuelle Ursache zurück. Und diese Ursache zu bestimmen, dies machte Doktor Still zu seiner Aufgabe.
Zwischen achtzehnhundertsechzig und achtzehnhundertvierundsiebzig widmete er sich dem Nachdenken und Studieren, dem Beobachten und Vergleichen, und schließlich ergab sich in seinem Verstand die ausgearbeitete, klare, besondere Wissenschaft, die nun als Wissenschaft der Osteopathie bekannt ist.
Am zweiundzwanzigsten Juni achtzehnhundertvierundsiebzig, als er seine These ausgearbeitet hatte, entließ er sie in die Welt.
Das war ein großer Meilenstein auf dem Weg des Fortschritts.
Die Wissenschaft der Medizin reicht zurück bis auf Hippokrates, der in Athen in jener herrlichen Epoche lebte, die man als das Zeitalter des Perikles kennt.
Vor Hippokrates waren Medizin und Priestertum eins. Zauberformeln hatten eine große Bedeutung in der Heilkunst. Es war allgemeine Überzeugung, dass Krankheit durch einen Teufel verursacht würde, der den menschlichen Körper in Besitz nehme. Deshalb spielten grässliche Geräusche und abstoßende Gerüche eine Rolle, um den Eindringling auszutreiben, der seinen Anspruch erhoben hatte.
Hippokrates scheint herausgefunden zu haben, dass bestimmte Gifte unmittelbare chemische Wirkungen hatten. Er kannte vier starke Arzneimittel, die etwas bewirkten, was er genau vorhersagen konnte, und zwar ein abführendes, ein harntreibendes, ein schweißtreibendes und ein Brechmittel. Indem man diese Arzneimittel verabreichte, ließen sich Ursachen und Wirkungen verfolgen, Abfolge und Konsequenz, und insofern war es wissenschaftlich.
Das Verabreichen von Giften beruhte auf dem alten Irrtum, dass die Person von einem bösen Geist besessen wäre. Der ganze Zweck der ekelerregenden oder giftigen Arzneimittel bestand darin, den Eindringling auszuräuchern und es ihm so unangenehm zu machen, dass er nicht an Ort und Stelle bleiben konnte.
Durch all die Jahrhunderte, über zweieinhalbtausend Jahre, trat dieser Aberglauben zu Tage. Gelegentlich, hier und da, gab es zweifellos vernünftige Ärzte. Aber deren Stimmen vernahmen wir nur in pianissimo.
Es war ziemlich anmaßend von einem Arzt, der an einer allopathischen Schule ausgebildet worden war, seiner Alma Mater abzuschwören, die Verbundenheit mit seinen Berufsbrüdern aufzukündigen und zu erklären, die gesamte sogenannte medizinische Wissenschaft gründe auf einem Aberglauben.
Das ist im Grunde das, was Doktor Still im Jahr achtzehnhundertvierundsiebzig tat. Aber das war keine übereilte Verallgemeinerung, sondern seine Schlussfolgerung war über lange Zeit herangereift, und er zögerte noch einige Jahre, ehe er sie vorlegte.
Nur ein Mann, der in Zeiten der Pioniere geboren und aufgewachsen war, inmitten der Umgebung des Pionierlebens, konnte den Mut und die Kühnheit haben, in dieser Weise alle Brücken zurück niederzubrennen, ohne an eine Fähre oder eine Unterführung zu denken. Notfalls hätte er sich allein direkt ins Freie gestellt und es ausgefochten. Genau das tat er auch. Sogar alles in seinem Wortschatz drehte sich in diese Richtung. Er wurde verleugnet und verurteilt als Fanatiker, als Dummkopf, als Abtrünniger und Rebell.
Doktor Still jedoch blieb bei der geraden Richtung seines Weges.
Statt seinen Patienten in schlechtem Latein geschriebene Rezepte mitzugeben und sie mit Begriffen und in einer Sprache zu verwirren, die sie nicht verstanden, sprach er mit ihnen deutlich in Worten, deren Bedeutung sie begriffen. Er zog den Patienten in sein Vertrauen, freundlich, schonend und bestimmt. Er erlaubte es ihnen, ihren Fall vorzubringen und ihre Symptome zu erklären, da Doktor Still sehr gut verstand, dass dies Teil des Heilungsprozesses war.
Doktor Still begriff, dass wir von dualer Natur waren. Der Mensch besteht aus Materie und Seele.4
Wenn die Seele den Körper verlässt, ist der Mensch tot; doch solange die Seele ihr Lehmhaus5 bewohnt, ist sie mehr oder weniger Herr darin. Der Geist ist der König.6
Und so bestritt Doktor Still auch nicht den Einfluss der Seele auf die Materie, was die alten Männer der Medizin im Grunde getan hatten. Er war kein Metaphysiker. Denn ein Metaphysiker ist jemand, der seine Ansichten sogar vor sich selbst verbirgt.
Die alten Schulen der Medizin waren so gewissenhaft darin, die Leute zu betrügen, dass sie sich im Laufe der Zeit auch selbst betrogen haben. Insofern stellten sie das geflügelte Wort unter Beweis, dass die Strafe für einen Lügner darin besteht, dass