Lehrbüchern errichtet, die größtenteils im Mittelalter verfasst wurden. Vorlesungen erläuterten diese Lehrbücher und die Studenten wurden für ihre Leistungen darin benotet, auswendig lernen zu können, was ihnen in den Vorlesungen erzählt wurde und was sie in Büchern gelesen hatten. Jede Abweichung von dem, was in Buch oder Vorlesung gelehrt worden war, wurde bestraft.
Dementsprechend gab es eine direkte apostolische Sukzession der Unkenntnis, die sich durch die Jahrhunderte noch vertiefte. Das Geschäft eines jeden Arztes schien großenteils darin zu bestehen, die Dinge, die ihm gelehrt worden waren, zu bewahren und für sie zu kämpfen. Weder verstand er sie, noch begriff er ihre Bedeutung, doch er gründete sein Wissen darauf, was das Buch sagte. Wenn man die Wahrheit oder die Genauigkeit seiner Aussagen anzweifelte, berief er sich voll Stolz auf eine bestimmte Seite und einen Absatz dieses Buches. Das genügte.
Doch Doktor Still genügte es nicht. Er nahm Anstoß an den Büchern. Die erste Position in seinem Diagnoseplan bestand darin, den Patienten in einen entspannten, hoffnungsvollen Gemütszustand zu versetzen, wobei Vertrauen eine ausgezeichnete Rolle spielen konnte.
Dementsprechend erlaubte er es dem Patienten, zu erklären. Mag er auch im Voraus alles gewusst haben, was ihm der Patient zu erzählen hatte, verstand er doch, dass er so etwas wie ein Beichtvater für den Betroffenen war.
Wenn er dann den Mann in einen entspannten körperlichen Zustand gebracht hatte, frei von Spannung, Angst und Sorgen, begann er mit seinen Manipulationen. Er fand den schmerzenden Punkt und kam für sich dahinter, warum der Punkt schmerzte. Für gewöhnlich stellte er fest, dass es dort einen Druck des Knochens auf die Arterie gab, welcher den Blutfluss störte. Seine Aufgabe bestand dann darin, die Knochen so anzupassen, dass der Druck erleichtert und der Blutfluss wieder ausgeglichen wurde.
Zielsicher entdeckte er, dass Druck auf Nerven oder Arterien Krankheiten hervorrief. Schritt für Schritt kam er zu der Erkenntnis, nachdem er viele Tausende an Fällen behandelt hatte, dass diese sogenannten Krankheiten in verschiedene allgemeine Typen zerfielen. Auf diese Weise wurde aus der Manipulation der Knochenstruktur des Körpers eine Wissenschaft, und dem folgte die Linderung für die Betroffenen. Doch Doktor Still vergaß nicht, dass der gesunde Menschenverstand nicht nur in der Heilkunst, sondern auch im Leben an erster Stelle stand.
Damit es ihm gut geht, muss ein Mann nicht nur gut mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Nachbarn auskommen. Er muss auch gut über sich selbst und über die Natur denken. Er muss Pferde lieben, Rinder, Geflügel und Haustiere; und je stärker er sich für die großartige wimmelnde, atmende Welt jenseits der Türen interessierte, desto besser stehen seine Chancen, dass er gesund bleibt.
Doch darüber hinaus ist der Körper des Menschen ein mechanischer Apparat, und wenn die Gelenke verschoben sind oder anomal, so folgt dem gewiss eine Fehlanpassung, und diese Fehlanpassung wird Krankheit verursachen.
Osteopathie ist schlicht die Anwendung des gesunden Menschenverstands. Das Offensichtliche ist das Letzte, was Menschen lernen, und zwar insbesondere gelehrte Menschen, da gelehrte Menschen meistens nur gelehrt sind in der Wissenschaft der Bücher, nicht aber in der Welt der Natur.
Ein guter Osteopath muss sich nicht nur mit der Anpassung der Knochenstruktur des menschlichen Körpers auskennen, sondern er eignet sich umso besser zur Ausübung der Heilkunst, je mehr er über das Leben im Allgemeinen weiß. Wer nur England kennt, weiß wenig über England.7
Wer nur eine Sache kennt, kennt diese doch nicht recht.
Wäre Andrew Taylor Still bloß ein Arzt gewesen, versiert und sehr bewandert in allem, was die Bücher lehren, hätte er niemals die Wissenschaft der Osteopathie entwickelt.
Mühsal, Entbehrung, Hindernisse, Schwierigkeiten waren es, was ihn zurückzugehen zwang auf sein erfinderisches Genie.
Doktor David Starr Jordan sagte, dass der Wert einer Fachhochschule im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Ausstattung stehe. Das bedeutet im Grunde, dass dort, wo man viel für einen jungen Menschen macht, er niemals viel für sich selbst tun wird. Gegenstände selbst herzustellen, Erfindungsgeist, die Notwendigkeit, sich eigene Werkzeuge zu machen und das eigene Leben zu leben, sind wichtige Faktoren der Erziehung.
Ich kenne Doktor Still seit vielen Jahren. Ich habe seine Vorlesungen gehört. Ich habe ihn in der Klinik beobachtet. Ich habe mit ihm Gestrüpp auf einer Lichtung verbrannt, über viele Themen mit ihm diskutiert, bin mit ihm über die Felder, durch die Wälder und hinunter zum Bach gelaufen.
Doktor Still interessiert sich stets mehr für das Leben als für die Medizin. Er interessiert sich mehr für Gesundheit als für Krankheit. Er sucht nicht nach dem Anomalen. Er besitzt die Fähigkeit, sich das Ideal vollkommener Gesundheit im Geiste gegenwärtig zu halten, und stets arbeitet er im Hinblick auf dieses Ziel. Wenn er schreibt oder spricht, redet er über Gesundheit, und stets scheint es seine Absicht zu sein, einen Seitenkanal zu öffnen, die Felsen im Kanal wegzusprengen, einen Pfad durch die Wälder frei zu machen. Er strebt hin zu einem bestimmten Punkt, und dieser Punkt ist Glück und Gesundheit.
Alles Pathologische ist ihm mehr oder weniger zuwider, und im Gespräch redet er immer über die wundervollen Dinge der Natur – über das Vieh, Dampfmaschinen sowie Maschinen im Allgemeinen und über Bildung durch das Zusammenwirken von Kopf, Hand und Herz. Gesundheit ist sein Hobby. Die Medizin ist da nur ein Zufall.
Wir haben es hier mit einer herrlichen großen, weiten, großzügigen Weltsicht zu tun. Ich denke nicht, dass er das Ausmaß an Gegnerschaft je realisiert hat, welches die Entstehung der Osteopathie mit sich brachte. Dem stand er einfach gleichgültig gegenüber. Er war von Natur aus ein Kämpfer und kämpfte für die menschliche Freiheit, das Recht des Einzelnen, sein eigenes Leben zu leben, gemäß den Vorgaben des eigenen Gewissens.
Deshalb löste er sich von der Welt der Medizin und begründete seine eigene Wissenschaft.
Zugleich war Doktor Still jedoch niemals dogmatisch in seinem Versuch, die Osteopathie zu verbreiten. Er verstand, dass es sich um eine Wissenschaft handelte, die sich selbst entwickelte und dass alles mehr oder weniger floss. Das will er nicht verfestigen oder erstarren lassen. Er sagt einfach, was er für wahr hält, und berichtet davon, was er durch seine lange und vielfältige Erfahrung festgestellt hat.
Ursprünglich hatte er nicht die Absicht, eine Schule zu begründen. Er lebte ein Leben, seine Missachtung der Verfahren der alten Schulen bestand schlicht in der Ankündigung, dass er fortan seine Patienten gemäß seiner eigenen höchsten Erkenntnisse behandeln werde.
Und die Patienten kamen zu ihm in Wagen, auf Tragen, humpelnd auf Krücken und Stöcken, und Tausende von ihnen ließen ihre Krücken und Stöcke und Stützen aufgehäuft in seinem Vorgarten zurück. Wenn die Leute zahlen konnten – alles in Ordnung. Wenn sie nicht zahlen konnten – alles in Ordnung! Doktor Still war kein großer Geschäftsmann, wenn es ums Geld ging.
Etwa um das Jahr achtzehnhundertneunzig fasste Doktor Still die Idee, eine Medizinschule zu gründen, und zwar tat er das schlicht zur Selbstverteidigung.
Zu dieser Zeit lebte Doktor Still in Kirksville, Missouri. Er war Farmer und Arzt. Die Leute kamen zu Hunderten über viele Meilen Entfernung, um von ihm behandelt zu werden. Das war mehr als ein bloß örtlich begrenzter Wahn. Die, die geheilt wurden, gingen fort und verkündeten die frohe Botschaft. Und die Leute kamen in solchen Massen, dass sie den Ort geradezu in Besitz nahmen.
Doktor Still unterrichtete eine ganze Anzahl junger Männer darin, wie sie die Manipulationen auszuführen hatten, und im Wesentlichen setzten sich seine Idee und seine Methoden dadurch in deren Köpfen fest. Sie wurden sozusagen zu Experten in der Wissenschaft der rechten Anpassung.
Einige der jungen Männer und Frauen, die geheilt worden waren, waren begierig darauf, diese Kunst selbst zu lernen, hinauszugehen und sie auszuüben. Und so wurde eine kleine Hütte mit einem Raum beschafft, wo diesen Schülern tägliche Unterrichtsstunden erteilt wurden.
Doktor Charles E. Still, Sohn des Alten Doktors, hatte verschiedene Schulen und Krankenhäuser in New York, Chicago, Philadelphia und Boston besucht. Nun klemmte er sich gemeinsam mit seinem Vater richtig hinter die Sache und arbeitete sechzehn Stunden am Tag.
So