Jannis B. Ihrig

Die zweite Reise


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rief einer von ihnen und alle drei richteten ihre Waffen auf ihn. Sinnas machte keine Anstalten, den Befehl zu befolgen. „Hoch mit den Händen, damit ich sie sehen kann“, forderte der Soldat in der Mitte. Sinnas reagierte aber immer noch nicht. „Bist du taub? Ich sagte …“ Dem Soldaten blieb das Wort im Hals stecken, denn der Cyborg schnellte nach vorn, packte mit je einer Hand seine beiden Kameraden und schleuderte sie mit den Köpfen voran gegen die Wand. Das geschah so schnell, dass der verbliebene Soldat sein Lasergewehr erst hochreißen und einsetzen konnte, als seine Kameraden bereits ausgeschaltet waren. Der Laserstrahl verpuffte wirkungslos am Schutzschild des Cyborgs, der dem Soldaten mit einer schnellen, kaum wahrnehmbaren Bewegung das Gewehr aus den Händen schlug, bevor dieser ein zweites Mal abdrücken konnte. Der Soldat wusste nun, dass er keine Chance gegen den deutlich größeren Cyborg hatte, und blieb gelähmt stehen, um auf den letzten Schlag zu warten. Doch der kam nicht. Stattdessen legte der Cyborg ihm seine Hand auf die Schulter und befahl: „Zeige mir den Weg zum Ausgang. Dann wird dir nichts passieren.“

      „Frau Doktor, der Proband hat einen unserer Wachtrupps außer Gefecht gesetzt und einen Soldaten als Geisel genommen.“ In der Kommandozentrale herrschte Betriebsamkeit, aber keine Hektik. Auch wenn die Situation ungewöhnlich war, so blieben die geschulten Männer und Frauen, die für die Verwaltung und Überwachung des Außenpostens zuständig waren, ruhig. Das Problem war weniger schlimm, als es auf den ersten Blick aussah. Zwar war der entflohene Proband mit neuartigen kybernetischen Teilen versehen worden und schien trotz der fehlenden Programme in der Lage zu sein, diese in einem begrenzten Maße benutzen zu können, aber trotzdem war er nur eine einzelne Person. Eine einzelne Person, die sich in einer Basis voller erfahrener Soldaten und kampfstarker Militärroboter der Gamma- und der Beta-Stufe aufhielt.

      „Wir sind da. Hinter dieser Schleuse ist die Fahrzeughalle. Dort führt ein Tor nach draußen.“ Sinnas nickte. Der Soldat hatte ihn vermutlich wie befohlen zum Ausgang gebracht. Zumindest hoffte Sinnas, dass er es getan hatte. Der Soldat könnte ihn ebenso gut in das Zentrum der Basis geführt haben, denn die Gänge sahen alle gleich aus. Für jemanden, der sich hier zum ersten Mal aufhielt, war es unmöglich, zu erkennen, wo er war und wohin er ging. Es gab nicht einmal Schilder, die den Weg weisen konnten. Und Sinnas ahnte, egal wohin er gehen würde, der Feind würde ihn schon erwarten. Wenn er wenigstens wüsste, wer oder was genau ihn hinter dieser Tür erwartete.

      Wieder zuckte eine Bildstörung durch sein Sichtfeld. Irgendetwas schien mit seinen Augen nicht zu funktionieren. Sinnas vermutete, dass es nicht seine biologischen Augen waren, sondern kybernetische Pendants, die sich noch mit dem Gehirn abstimmen mussten. Vielleicht ermöglichten sie andere Sichtweisen? Bei Robotern war es schließlich nicht untypisch, alternative Sichtmöglichkeiten wie den Röntgenblick einzusetzen. Doch wie konnte Sinnas so etwas aktivieren, wenn er tatsächlich dazu in der Lage wäre?

      Der Soldat bemerkte, dass der Cyborg nachdachte und gar nicht mehr auf ihn achtete. Vermutlich hätte er einfach verschwinden können. Doch seine Pflicht als Soldat war ihm ständig bewusst. Er konnte nicht einfach verschwinden, ohne zu versuchen, den Cyborg aufzuhalten. Die Befehlshaber waren strenger geworden, seitdem die Putschisten an der Macht waren. Eine Flucht, selbst wenn sie das Klügste wäre, würde nicht ohne Konsequenzen bleiben.

      Langsam zog der Soldat seine Laserpistole. Der Cyborg hatte ganz sicher noch nicht bemerkt, dass er mehr als nur eine Waffe besaß. Blitzschnell hob der Soldat die Waffe und hielt sie dem Cyborg an den Hinterkopf. „Das war’s dann, Cyborg! Bleib ruhig stehen, bis meine Kameraden kommen, sonst blase ich dir das Gehirn, oder was auch immer du im Kopf hast, weg.“

      Weil es sich bei dem Cyborg um einen Prototypen einer neuen Waffenreihe handelte, dachte der Soldat nicht daran, abzudrücken. Das war sein Fehler. Gerade noch stand der Soldat hinter dem Cyborg, doch einen Lidschlag später lag er am Boden und die Pistole zerschmettert vor der Wand des Ganges. Sinnas stand vor ihm und hatte seine rechte Hand, die leicht rauchte, ausgestreckt. Rote, eiserne Dornen waren aus der Hand herausgefahren. Der Soldat konnte es nicht fassen. Der Cyborg hatte sich, ohne dass der Soldat es überhaupt wahrnehmen konnte, gedreht und ihm die Pistole aus der Hand geschlagen. Doch was war dieser rote Haufen, der neben der Pistole lag? Plötzlich spürte der Soldat einen starken Schmerz. Er sah an sich herunter und erstarrte. Dann schrie er, als er begriff, dass der Haufen die Überreste seiner Hand waren. An seinem Arm war nur ein stark blutender Stumpf zurückgeblieben. Der Verstümmelte schrie weiter, doch als er dem Cyborg in die Augen sah, blieb sein Schrei im Hals stecken. Rote Adern durchzogen das Blau der kybernetischen Augen und liefen auf eine blutrote Pupille zu. ‚Das kann kein Cyborg sein‘, war der letzte Gedanke des Soldaten.

      Alles, was im Gang hinter der Schleuse passierte, blieb von den Soldaten und Robotern, die sich hier in der Fahrzeughalle verschanzt hatten, unbemerkt. Später würden sich die Menschen fragen, warum man sie nicht vor dem, was passieren würde, gewarnt hatte. Genauer gesagt, würden sich das die wenigen Überlebenden fragen. Die unbefriedigende Antwort würde lauten: Der Prototyp hatte alle Erwartungen übertroffen.

       5. Kapitel – Kalus, Meisterschwertkämpfer der Dämonen

      Dämonenhauptstadt Gula, irgendwo in den tiefen Höhlensystemen

       des eisigen Nordens

       Mittag des zweiten Tages nach dem Fall von New Paris

      „Kämpfe! Wir wollen Kämpfe sehen!“ Das Gebrüll der Menge durchdrang selbst die dicke Mauer der Katakomben und schallte bis zu der Kammer desjenigen, nach dem die Menge verlangte.

      „Die Zuschauer können es mal wieder nicht erwarten, Euch im Kampf zu sehen, Meister“, bemerkte Kalusurus.

      „Sprich nicht, sondern konzentriere dich auf meine Rüstung“, ermahnte Kalus seinen Schüler.

      Der Schüler nahm die kleine Ermahnung hin, denn es war tatsächlich eine schwierige Sache, einem Felusianer die Rüstung anzulegen. Diese Katzenwesen hatten vier Arme. Deshalb bestanden die Rüstungen aus vielen Einzelteilen, die jedes Mal Stück für Stück am Körper des Kriegers befestigt werden mussten. Außerdem galt es, darauf zu achten, dass man das Fell nicht einklemmte und die Haut nirgendwo gescheuert wurde. Kalusurus, der gerade erst fünfzehn Jahre alt und damit noch ein Kind war, bewies, dass er das Rüstunganlegen beherrschte, denn als sein Meister, dessen Alter auf die Fünfzig zuging, aufstand und probeweise mit seiner Ganzkörperrüstung aus Eisen ein paar Schritte lief, verursachte kein eingeklemmtes Haar ziehende Schmerzen und an keiner Stelle verspürte er einen unangenehmen Druck, der zu Haarausfall hätte führen können. Kalus nickte seinem Schüler zufrieden zu, der seine Lederrüstung schon vorher angelegt hatte, und setzte seinen offenen Helm auf. Schweigend nahmen Meister und Schüler ihre Waffen, vier Schwerter für den Meister und ein eiserner Stab für den Schüler, und gingen hinaus auf den Arenaplatz.

      Für die Dämonen war die Arena nicht nur ein Ort, den man zur Unterhaltung besuchte. Sie war der Schmelztiegel der Gesellschaft. Hier trafen die verschiedenen Schichten, Dämonenarten und Altersgruppen aufeinander, um bei den Kämpfen mitzufiebern. Hier kämpften sowohl aufstrebende Jungspunde als auch Veteranen für Ruhm und Ehre. Und insgeheim natürlich auch für die wertvollen Preise, die von kulinarischen Delikatessen bis zu von Meisterhand gefertigten Waffen alles umfassten. Von allen Arenen war die Gula-Arena in der Hauptstadt die größte und prächtigste. Statt aus grauem Granit, der bei den gewöhnlichen Gebäuden der Dämonen verwendet wurde, bestand diese Arena großenteils aus einem schwarzen, widerstandsfähigen Marmor. Mit einer Breite von dreihundert Metern, einer Länge von dreihundertsechzig Metern und einer Höhe von hundert Metern hatte die Arena gigantische Ausmaße und gehörte damit zu den größten Bauwerken des Dämonenreiches. Keine andere Arena war auch nur halb so groß wie sie. Deshalb galt für jeden Arenakampf-Liebhaber: Erst, wenn du die Gula-Arena besuchst hast, weiß du, was ein echter Kampf ist.

      Heute erwartete die Menge ein besonderer Kampf, ein Duell zwischen zwei Meistern und ihren Schülern. Die Namen blieben geheim, wie die Tradition es verlangte, jedoch brodelte die Gerüchteküche schon und man munkelte, dass an diesem Tag die Vertreter zweier altehrwürdiger Kriegerhäuser antreten würden. Die Menge saß deshalb sehr unruhig auf den Rängen und konnte den Beginn des Kampfes kaum erwarten.

      Die