die immer dann aussetzte, wenn sich ein ehrenhafter Kampf anbot. Allerdings, wenn Janok so nachdachte, hatte er auch nie einen Grund gehabt, nach Norden zu gehen. Dann wären ihm aber einige gute Kämpfe entgangen. Vielleicht war er als einer der fünf ungleichen Reiter tatsächlich an ein Schicksal gebunden, dem er unbewusst folgen musste. ‚Na gut‘, dachte Janok grimmig. ‚Ich tue, was du willst, Schicksal. Besorge mir dafür aber ein paar richtig gute Kämpfe.‘
Es schien, als hätte das Schicksal seinem Handel zugestimmt, denn Janok hörte plötzlich ein monströses Knurren hinter sich. Entweder hatte das unbekannte Wesen eine kräftige Stimme oder es war selbst monströs. Janok blieb stehen, blickte aber noch nicht nach hinten und tastete nach seinen Schwertern. Als seine Hände ins Leere griffen, fiel dem Ork wieder ein, dass seine Zwillingsschwerter von demselben Verrückten zerstört wurden, dem er gerade hinterherrannte.
Schimascha ging an der Felswand entlang und fragte sich, ob es eine gute Idee war, Janok allein in den Wald zu schicken, denn ihr war eingefallen, dass er unbewaffnet war. ‚Pah, der reißt doch mühelos jeder Bestie den Kopf ab‘, versuchte Schimascha sich selbst zu beruhigen, bevor sie sich ärgerte, dass sie sich um diesen Idioten Sorgen machte.
Dann aber wurde ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt. Vor ihr, unmittelbar an der Felswand, befand sich ein kreisrundes Loch im Boden. Es hatte einen Durchmesser von ungefähr einem Meter und war wegen des dichten Schneefalls nicht sehr gut zu sehen. Wäre Schimascha etwas schneller gegangen, hätte sie das Loch wahrscheinlich übersehen und wäre hineingefallen, da man so ein Loch hier nicht erwarten würde. Sie bückte sich und versuchte, etwas im Loch zu erkennen, das Tageslicht verlor sich jedoch in der tiefen Dunkelheit. ‚Das Loch ist vermutlich sehr tief. Wenn Erwin da reingefallen ist, könnte er sich schwer verletzt haben‘, vermutete Schimascha. Also rief sie hinein: „Erwin! Kannst du mich hören?“ Die Antwort bestand aus mehrstimmigen, schrillen Schreien, die eines verdeutlichten: Das Loch war nicht durch Umwelteinflüsse entstanden.
Noch besorgter als zuvor kamen April und Neptunia zurück zum Eingang der Schlucht, durch die sie das Tal betreten hatten. Sie waren ungefähr einen halben Kilometer an der Felswand entlanggegangen, ohne auch nur eine Spur von Erwin zu finden. Überraschenderweise fanden sie Gribus und Tropandus vor, die ihnen entgegenkamen.
„Ich hoffe, es gibt eine gute Erklärung dafür, warum auf einmal ein Gang vom Keller hierher ins Tal führt“, forderte Tropandus höflich und man sah ihm an, dass ihm die gesamte Situation über den Kopf wuchs.
Neptunia zuckte mit den Schultern: „Bis jetzt wissen wir nur, dass Erwin verschwunden ist. Und alle Hinweise deuten darauf hin, dass er es war, der den Tunnel ins Gestein gebrannt hat und so entkommen ist.“
„Aber warum?“, wollte Gribus wissen.
April seufzte traurig: „Wir wissen ja nicht einmal, was überhaupt mit ihm los ist.“ Eine einzelne Träne der Sorge kullerte über ihre Wange.
Gribus schien Aprils Kummer nicht zu beachten, denn nachdem er sich noch einmal umgeblickt hatte, fragte er stattdessen: „Wo sind die anderen? Waren nicht Janok und Schimascha bei euch?“
April nickte und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter: „Wir haben uns aufgeteilt, damit wir in verschiedenen Richtungen suchen können. Ich hoffe, sie haben ihn gefunden.“ April deutete in die beiden Richtungen, in die die anderen gegangen waren.
Wie der Zufall es wollte, kam Schimascha genau in diesem Moment zurück. Sie sah furchtbar aus, denn an mehreren Stellen waren kleine Bissspuren in ihrer Kleidung und auf ihrer Haut.
„Ach, du heiliger Stein, was ist denn mit dir passiert?“, fragte Gribus erschrocken. „Bist du in ein Nest voller Schneevipern gefallen?“
Schimascha sah ihn wehleidig an: „Falls deine Schneevipern blau mit weißen Streifen sind, dann ja. Sind sie giftig?“
Tropandus schüttelte den Kopf: „Sie haben nur ein leichtes Nervengift, welches dafür sorgt, dass die Bisswunden noch eine Weile brennende Schmerzen verursachen. Für größere Wesen ist das Gift ansonsten harmlos. Schneevipern greifen eigentlich auch nur Beutetiere an, die nicht größer sind als sie selbst.“
„Oder jene, die ihrem Nest zu nahe kommen“, vermutete Schimascha missmutig. „Diese verdammten Drecksviecher haben sich selbst durch meine Schuppenhaut durchgebissen.“ Die Tarborianerin blickte um sich und fragte: „Ist die Grünhaut noch nicht zurück?“
Die anderen verneinten und Schimascha blickte in den Wald, in den sie Janok geschickt hatte. Da ihr Gesicht von den anderen abgewendet war, konnten sie nicht ihren sorgenvollen Blick sehen. Es war wohl wirklich keine gute Idee gewesen, Janok allein in den Wald zu schicken. Womöglich gab es dort unter den finsteren Tannen noch schlimmere Kreaturen als die Schneevipern.
Schwere Schritte ließen plötzlich den Boden vibrieren und kündigten eine dieser schlimmen Kreaturen an. Sofort richtete die Gruppe die Blicke auf den Wald und wartete auf das Monster, das jeden Moment aus diesem hervorbrechen konnte. Und es kam. Es war ein weißer Warg und er war groß. Er hatte eine Schulterhöhe von zwei Metern und überragte sie alle. Jedoch rührte er sich nicht, sondern stand einfach da, während aus seiner rechten Seite der Lebenssaft herausfloss. Schimascha ließ das Holz ihrer Arme wuchern und formte sie zu Holztentakeln, für den Fall, dass der todgeweihte Warg in seinen letzten Zügen angreifen würde. Doch das tat er nicht. Auf seinem ausdruckslosen Gesicht erlosch der letzte Lebensfunke und der weiße Riese fiel zu Boden.
Fassungslos starrten alle das mächtige Tier an, das einfach so vor ihren Augen gestorben war. Nun konnten sie seine Verletzungen genauer betrachten. In seiner Seite klafften mehrere große, kreisrunde Wunden, aus denen Organe hingen und Blut herausfloss. Es war schwer zu sagen, ob das Tier verblutet oder an seinen Organverletzungen gestorben war. Schimascha trat vorsichtig an den Warg heran und stupste ihn mit einem Holztentakel an. Ein paar weitere, kräftigere Anstupser versicherten der Tarborianerin, dass der Warg wirklich tot war.
„Beim Dschungelgott, wer oder was hat dieses Riesenbiest getötet?“, fragte Schimascha laut.
„Was es auch immer war, ich hoffe, es ist in die entgegengesetzte Richtung gelaufen“, antwortete Tropandus und man sah ihm an, dass er einer Panik nahe war.
Plötzlich raschelte es im Gebüsch hinter dem Kadaver des Wargs. Dies gab den Nerven des Beraters den Rest. Er schrie auf, rannte kreischend in die Schlucht zurück und war augenblicklich verschwunden. Die anderen sahen ihm nach, doch dann konzentrierten sie sich auf das, was nun kam.
Das Gebüsch wurde von einer kräftigen Hand zur Seite geschoben und ein schlecht gelaunter Janok mit blutbesudelten Händen kam zum Vorschein. Als der Ork die erstaunten und zugleich fragenden Gesichter sah, beantwortete er die nicht gestellte Frage: „Nein, ich konnte Erwin nicht finden. Dieses verdammte Vieh kam dazwischen.“ Die letzten Worte brüllte der Ork und er trat gegen den Kadaver.
Schimascha sah ihn verblüfft an: „Ich dachte, Orks schätzen einen guten Kampf.“
„Nicht, wenn er zum falschen Zeitpunkt stattfindet“, gab Janok genervt von sich. „Und die Suche nach einem Elfen in leichter Stoffkleidung und ohne Schwerter ist ein falscher Zeitpunkt. Na ja, jedenfalls bin ich, nachdem ich diesem Mistvieh ein paar in die Seite gedonnert habe, noch etwas weitergegangen. Ich habe aber keine einzige Spur gefunden, weshalb ich wieder zurückgekommen bin.“
„Dann bleibt Erwin immer noch spurlos verschwunden“, fasste April zusammen und man sah ihr an, welche Schmerzen ihr diese Worte bereiteten.
„Ja, es sieht schlecht aus“, musste Gribus zugeben. „Er könnte nun überallhin verschwunden sein und dieses Tal ist groß und gefährlich.“
Alle sahen sich an und jeder, auch April, stimmte schweigend zu, die Suche vorerst abzubrechen. Wortlos gingen der Zwerg, die zwei Elfen und die Tarborianerin. Nur Janok fragte fast beiläufig: „Wer ist eigentlich gerade schreiend weggerannt?“
4. Kapitel – Was ist von mir geblieben?
Forschungsstation 67, irgendwo